Zwei Monate nach den Schüssen auf Polizisten bei einer Razzia bei einem Reichsbürger in Reutlingen hat es erneut Festnahmen bei „Reichsbürgern“ in Baden-Württemberg gegeben: Nach Angaben der Bundesanwaltschaft vom Dienstag wurden dabei am Montagabend in Baden-Württemberg eine Frau im Bodenseekreis, ein Mann im Landkreis Freudenstadt sowie ein weiterer Mann in Niedersachsen im Landkreis Harburg festgenommen. Dem Trio werde die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, so die Bundesanwaltschaft. Es soll sich um Mitstreiter des mutmaßlichen Rädelsführers Heinrich Prinz Reuß. Einer der beiden Männer sitzt seit Montag in Untersuchungshaft. Die beiden anderen Verdächtigen sollten noch im Laufe des Dienstags dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) vorgeführt werden.
Laut Recherchen unserer Partnerzeitung „Neckar-Chronik“ in Horb, wurde Steffen W. am Montagabend in Horb festgenommen. Er war vor Ort als Impfgegner und AfD-Anhänger bekannt. Laut Bundesanwaltschaft soll der Mann eine führende Rolle in einer sogenannten Heimatschutzkompanie gehabt und mit Mitbeschuldigten die Übernahme einer ehemaligen Kaserne geplant haben. Darüber hinaus hieß es: „Ihm kam die Aufgabe zu, Personal für seinen Zuständigkeitsbereich zu gewinnen und dieses militärisch auszubilden.“ Laut Stimmen von Nachbarn sei W. jemand gewesen, „der seine Meinung immer lautstark kundtat“. Oft lasse er Marschmusik spielen, sodass es durch die ganze Straße schallt. Seine Impfgegnerschaft und AfD-Nähe sei bekannt gewesen, ein Bezug zu Reichsbürgern aber nicht. Steffen W. sei zudem früher bei den Ritterspielen in Horb sowie in der Reit-Szene aktiv gewesen sein, berichtet die „Neckar-Chronik“. Bereits im Dezember hatte es Durchsuchungen in vier Objekten in Horb gegeben, ein mutmaßlicher Reichsbürger namens Ralf S. wurde damals festgenommen.
Nach „Spiegel“-Informationen handelt es sich bei einer der Festgenommenen aus Baden-Württemberg um eine Frau, die bei der Bundestagswahl 2021 erfolglos für die Partei „Die Basis“ kandidiert hatte. Ihr wird laut Bundesanwaltschaft vorgeworfen, sich seit Mai 2022 in der Vereinigung um Reuß engagiert zu haben. So habe sie sich auch am sogenannten Rat beteiligt. Der „Rat“ habe zum Ziel gehabt, die bestehende Staatsordnung über den Haufen zu werfen. Die neue staatliche Ordnung in Deutschland habe mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs verhandelt werden sollen. Spätestens im November 2022 habe die Frau Kontakt zu einem Generalkonsul der Russischen Föderation gesucht und ihn danach zweimal getroffen. „Die Gespräche sollten dazu dienen, Unterstützung für das Handeln der Vereinigung zu erhalten.“
Der in Niedersachsen festgenommene Mann soll der terroristischen Vereinigung rund 140 000 Euro gegeben und sich an Treffen zur Anwerbung von Mitgliedern und Sponsoren beteiligt haben.

Reutlinger Markus L. schoss bei Razzia auf Polizisten

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik an. Die Bundesanwaltschaft hatte im Dezember 25 Verdächtige festnehmen lassen, darunter frühere Offiziere und Polizeibeamte. Weitere Beschuldigte gerieten anschließend ins Visier. Darunter auch der Reutlinger Markus L., der bei einer Razzia im März dieses Jahres auf Polizisten schoss und einen Beamten verletzte. Der aktive Sportschütze sitzt wegen des Verdachts des versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, Teil der Gruppe um den Rädelsführer Prinz Reuß gewesen zu sein. Auch ein zweiter Reutlinger aus dem Stadtteil Altenburg geriet bei einer Razzia ins Visier der Ermittler.

Immer wieder Vorfälle mit „Reichsbürgern“ auch in Baden-Württemberg

Die Reichsbürgerszene gilt als heterogene Bewegung, die oft starke Bezüge zu Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien hat. Meistens erkennen ihre Mitglieder die Bundesrepublik Deutschland und seine Organe nicht als legitimen Staat an, sondern beziehen sich auf (historische oder fiktive) Reiche; teils geben sie eigene Ausweise heraus oder erklären Grundstücke für extraterritorial. Häufig führen Mitglieder einen Kleinkrieg mit Behörden und Justiz.
Vorfälle mit und Angriffe von „Reichsbürgern“ haben Öffentlichkeit und Behörden in Deutschland und Baden-Württemberg in den letzten Monaten und Jahren immer wieder beschäftigt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte der Funke-Mediengruppe am Dienstag, Waffenbehörden müssten „Reichsbürger“ weiter konsequent entwaffnen. „Wir haben es nicht mit harmlosen Spinnern zu tun, sondern mit einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung, die von Umsturzfantasien mit Waffengewalt geprägt ist“, betonte Faeser. Behörden müssten sich engmaschig austauschen. Ende 2022 hätten noch rund 400 „Reichsbürger“ mindestens über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügt. „Wir müssen sicherstellen, dass bei jedem Anzeichen für die Gefährlichkeit eines Waffenbesitzers Waffen konsequent entzogen werden“, so die Innenministerin.