Bei Durchsuchungen im „Reichsbürger“-Milieu ist ein Polizist bei einem Einsatz in Reutlingen durch einen Schuss leicht verletzt worden. Der Zustand des Beamten eines Spezialeinsatzkommandos ist nach dpa-Informationen stabil. Die Durchsuchungen am Mittwoch standen im Zusammenhang mit einer Groß-Razzia Anfang Dezember, die sich unter anderem gegen einen Adeligen als mutmaßlichen Rädelsführer richtete. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gibt es nun fünf weitere Beschuldigte. Gegen sie bestehe der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Aktionen gab es insgesamt in acht Bundesländern und in der Schweiz.
Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bestätigte, dass bei einer Durchsuchung im baden-württembergischen Reutlingen am Mittwochmorgen ein Schuss abgegeben wurde. Die Person sei vorläufig festgenommen worden, ermittelt werde wegen versuchten Mordes. Sie könnte noch am Mittwoch am Karlsruher Bundesgerichtshof dem Haftrichter vorgeführt werden.

Angreifer soll als Sportschütze legal Waffen besessen haben

Nach dpa-Informationen ist der Mann Sportschütze und besaß eine Erlaubnis zum Besitz von Waffen. Er verschanzte sich demnach beim Eintreffen der Spezialkräfte und setzte sich mit einer Schusswaffe zur Wehr.
Die fünf neuen Beschuldigten kommen aus Bayern, Niedersachsen, Sachsen und der Schweiz. Daneben wurden die Räumlichkeiten von 14 weiteren Personen durchsucht, die nicht als verdächtig gelten. Unter ihnen sind nach Informationen aus Sicherheitskreisen ein Polizist und ein Angehöriger der Bundeswehr. Weitere Festnahmen gab es laut Bundesanwaltschaft nicht.
Eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur am Einsatzort in Reutlingen berichtete, in einem Haus habe es am Vormittag fünf Mal laut geknallt. Ein Polizeisprecher vor Ort bestätigte einen Zusammenhang mit den Ermittlungen, nannte aber keine Details. Die Polizei sprengte nach dpa-Informationen eine abgeschlossene Tür.
Dem Vernehmen nach waren außer Bayern, Niedersachsen und Sachsen auch Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen betroffen. Laut Bundesanwaltschaft waren Beamte des Bundeskriminalamts und Spezialeinheiten des Bundes und der Länder im Einsatz.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden in Bayern sechs Objekte im Bereich dreier Polizeipräsidien durchsucht: Unterfranken, München und Oberbayern Süd. In Niedersachsen war ein Objekt im Raum Hannover betroffen, wie ein Sprecher des dortigen Innenministeriums sagte. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es eine Durchsuchung, wie es aus Sicherheitskreisen hieß.
Anfang Dezember hatte es eine großangelegte Anti-Terror-Razzia gegen „Reichsbürger“ in mehreren Bundesländern, Österreich und Italien gegeben. Damals waren 25 Männer und Frauen festgenommen worden. In diesem Verfahren ermittelte die Bundesanwaltschaft außerdem gegen 30 weitere Menschen. Es hatte immer geheißen, es sei nicht ausgeschlossen, dass im Laufe der Zeit mehr Beschuldigte hinzukommen.
Die neuen Durchsuchungen stehen damit im Zusammenhang. Wie die dpa erfuhr, waren unterschriebene Verschwiegenheitserklärungen, die bei der ersten Razzia entdeckt wurden, ein wichtiger Ausgangspunkt für den Einsatz am Mittwoch. Zu den Unterzeichnern gehörten nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden mehrere Waffenbesitzer.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl warnte eindringlich vor der Reichsbürgerszene und kündigte ein weiteres konsequentes Vorgehen an. „Das sind staatsfeindliche, sehr gefährliche, gewaltbereite Leute, die auch eine hohe Waffenaffinität haben“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch bei einem Besuch des Tatorts in Reutlingen.

Polizei in Reutlingen bestätigt Einsatz

Der Einsatz in Reutlingen ereignete sich bereits am frühen Mittwochmorgen in der Reutlinger Ringelbachstraße. Die Polizei hat den Einsatzort an der Ecke zur Sebastian-Kneipp-Straße weiträumig abgesperrt, auch ein Hubschrauber soll im Einsatz sein. Bisher hat die Reutlinger Polizei den Großeinsatz ebenfalls bestätigt, verantwortlich sei jedoch die Generalbundesanwaltschaft mit Sitz in Karlsruhe. Am Einsatzort heißt es von Anwohnern, ein Schuss sei während des Einsatzes zu hören gewesen.
Im Zuständigkeitsgebiet des Ulmer Polizeipräsidiums haben keine Durchsuchungen stattgefunden. Das teilte eine Sprecherin auf Nachfrage unserer Zeitung mit.

Immer wieder Vorfälle mit „Reichsbürgern“ auch in Baden-Württemberg

Die Reichsbürgerszene gilt als heterogene Bewegung, die oft starke Bezüge zu Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien hat. Meistens erkennen ihre Mitglieder die Bundesrepublik Deutschland und seine Organe nicht als legitimen Staat an, sondern beziehen sich auf (historische oder fiktive) Reiche; teils geben sie eigene Ausweise heraus oder erklären Grundstücke für extraterritorial. Häufig führen Mitglieder einen Kleinkrieg mit Behörden und Justiz.
Vorfälle mit und Angriffe von „Reichsbürgern“ haben Öffentlichkeit und Behörden in Deutschland und Baden-Württemberg in den letzten Monaten und Jahren immer wieder beschäftigt.