Es ist die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause. Sahra Wagenknecht hatte beantragt, eine Rede in der Bundestags-Debatte zum Wirtschaftsstandort zu halten. Das wurde von der Fraktion abgelehnt. Sie glaubt nicht, dass sie in dieser Legislaturperiode noch einmal für die Linke im Bundestag sprechen wird. Dafür in der nächsten für eine neue Partei?
Das Heizungsgesetz wurde vom Verfassungsgericht gestoppt. Wieder ein Beweis für Sie, dass wir es, mit der „dümmsten Regierung“ der bundesdeutschen Geschichte zu tun haben?
Sahra Wagenknecht: Auf jeden Fall ist es eine schallende Ohrfeige für die Ampel. Aber man hat immer noch nicht das Gefühl, dass irgendjemand in dieser Regierungskoalition jetzt darüber nachdenkt, ob es richtig ist, dem Land ein so unsinniges Gesetz zuzumuten.
Was ist denn so unsinnig?
Es ist handwerklich schlecht, sozial rücksichtlos, klimapolitisch nutzlos.
Nicht einmal die Union sieht das so. Was stört Sie denn konkret?
Es ist, auch in der geänderten Fassung, immer noch ein Gesetz, das die Menschen zwingen wird, Wärmepumpen in Häuser einzubauen, die dafür nicht geeignet sind. Die angebliche Technologieoffenheit ist eine Farce. Es weiß keiner, wo es Wasserstoffnetze geben wird, woher der Wasserstoff kommen soll und es gibt auch kaum Gasthermen, die so viel Wasserstoff verarbeiten können, wie in Zukunft verlangt wird.
Was haben Sie gegen Wärmepumpen?
Nichts, dort wo sie sinnvoll sind. In modernen Niedrigenergiehäusern etwa sollten sie eingebaut werden. Aber alle Fachleute sagen: Ältere Gebäude kann man mit Wärmepumpen nicht effizient beheizen. Man müsste das ganze Haus umbauen, was die meisten Menschen finanziell überfordert. Und woher kommt der Strom für die Wärmepumpen im Winter? Aktuell großenteils aus der Verbrennung von Kohle und Gas.
Wie sollte denn Ihrer Meinung nach in Zukunft geheizt werden?
Man sollte die vielen Milliarden, die jetzt für die Wärmepumpen vorgesehen sind, dafür nutzen, die Kommunen beim Ausbau der Fernwärmenetze und deren Umstellung auf regenerative Energien zu unterstützen. Und wenn die Regierung mehr fürs Klima tun will, sollte sie die notorisch unpünktliche Bahn attraktiver machen und dafür sorgen, dass endlich mehr Verkehr auf die Schiene kommt.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz hat den Bundestag passiert. Ein guter erster Schritt, um der irregulären Migration eine reguläre entgegenzusetzen?
Ich finde es blamabel, dass wir uns ein so schlechtes Bildungssystem leisten, dass immer mehr junge Menschen ohne Ausbildung ins Leben starten. Der Fachkräftemangel ist nicht primär eine Frage der Demografie.
Sondern?
Immer mehr Jugendlichen fehlen elementare Kenntnisse im Lesen, Rechnen und Schreiben und sie bekommen auch deshalb keinen Ausbildungsplatz. 2,6 Millionen unter Dreißigjährige betrifft das derzeit, ein Rekord. Zugleich drängt die Hälfte jedes Jahrgangs an die Unis, aber solide ausgebildete Facharbeiter oder Absolventen der für die Industrie so wichtigen MINT-Fächer fehlen. Wir haben zwei bis drei Millionen Arbeitslose, während viele Unternehmen händeringend Mitarbeiter suchen. In einigen Bereichen sind natürlich auch schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen ein Problem. Es gibt eine Untersuchung von Verdi, nach der über 300 000 voll ausgebildete Pflegekräfte in andere Berufe abgewandert sind, weil sie den extremen Stress bei gleichzeitig schlechter Bezahlung nicht mehr ausgehalten haben.
Was halten Sie von der Idee der Migrationsabkommen?
Es ist verständlich, dass Menschen versuchen, durch Migration ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Aber wir können das Problem der Armut auf der Welt nicht durch Migration lösen. Viele Städte und Gemeinden sind schon heute überfordert. Wir haben schlicht nicht genügend Wohnungen, Kita- und Schulplätze. Und betroffen sind am Ende nicht die teuren Großstadtviertel, wo die Grünen-Wähler wohnen, sondern ärmere Bezirke. Dort gibt es immer mehr Grundschulen, an denen nur noch eine Minderheit deutsch spricht, mit allen Folgen für das Lernniveau. Dass Eltern empört sind, wenn man ihren Kindern so einen vernünftigen Start ins Leben verbaut, ist verständlich. Deshalb müssen wir Zuwanderung begrenzen.
Sie wollen, dass die Sanktionen gegen Syrien aufgehoben werden – weil dann der Diktator Assad keinen Krieg mehr gegen die eigene Bevölkerung führt und die syrischen Flüchtlinge zurückkehren können?
Die Sanktionen verhindern den Wiederaufbau des Landes und sie treffen nicht Assad, sondern die normale Bevölkerung. Auch die meisten, die aus Syrien fliehen, tun das wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und nicht wegen der Diktatur.
Zum Krieg in Europa: Sie halten die ukrainische Offensive für einen Fehler. Warum?
Ich glaube nicht daran, dass die Ukraine diesen Krieg militärisch gewinnen kann. Die Offensive verschiebt die Front kaum, kostet aber Tag für Tag Hunderte junger Männer das Leben. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Also Verhandlungen?
Was denn sonst?
Was müsste die Ukraine einbringen? Die Krim?
Russland wird sich von der Krim nicht zurückziehen. Die russische Schwarzmeerflotte ist dort seit 200 Jahren. Wenn Selenskyj sagt, es wird erst verhandelt, wenn der letzte Russe von der Krim vertrieben ist, heißt das, das Sterben soll ewig weitergehen.
Was noch? Die Ukraine verzichtet auf NATO-Mitgliedschaft und den Donbas?
Die Russen haben immer kommuniziert, dass sie US-Militärbasen und womöglich Raketenstützpunkte in der Ukraine als Bedrohung empfinden. Auch wenn die Ukraine vor dem Krieg formal nicht NATO-Mitglied war, waren bereits 4000 NATO-Soldaten im Land stationiert. Es gab gemeinsame Manöver und eine massive Aufrüstung. Das alles gehört zur Vorgeschichte dieses Krieges. Und was den Donbas betrifft, wäre die ideale Lösung, zunächst einen Waffenstillstand zu vereinbaren und nach einer gewissen Zeit unter UN-Aufsicht die Menschen zu fragen, zu welchem Land sie gehören wollen. So wie im Saarland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ist der Krieg in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung zwischen Russland und den USA?
Ja, es ist letztlich ein Stellvertreter-Krieg. Nur deshalb unterstützt die USA die Ukraine ja in diesem beispiellosen Ausmaß. Die USA hätten den Krieg verhindern können, wenn sie auf den von Moskau immer wieder artikulierten Unmut angesichts der Ausweitung der amerikanischen Einflusszone in Europa Rücksicht genommen hätten.
Also führt Russland eigentlich einen präventiven Verteidigungskrieg?
Nein. Natürlich nicht. Russland hat ein souveränes Land überfallen und führt einen völkerrechtswidrigen Krieg.
Aber?
Dieser Krieg hätte verhindert werden können – und müssen. Jedes Land hat Sicherheitsinteressen. Und die Nato-Führungsmacht USA agiert durchaus nicht defensiv. Denken Sie an Serbien, den Irak, Libyen, Afghanistan. Drei dieser Länder waren Verbündete Russlands, sie wurden überfallen, um unliebsame Regime wegzubomben. Das hat nicht dazu beigetragen, dass die Nato vom Kreml als defensives Bündnis wahrgenommen wird. Und jetzt erleben wir einen neuen Rüstungswettlauf, immer mehr Drohungen zwischen den Atommächten. Wollen wir wirklich so lange weitermachen, bis es knallt?
Die AfD legt bei Umfragen immer mehr zu. Sollte man sie an Regierungen beteiligen?
Ich würde lieber über eine bessere Politik und ein seriöses Angebot an unzufriedene Wähler nachdenken. Die Stärke der AfD rührt ja primär aus der katastrophalen Politik der Ampel und der schwachen Performance von Union und Linken. Viele nehmen die AfD inzwischen als einzige Opposition wahr. Es wäre sehr wünschenswert, wenn das nicht so bliebe.
Womit wir bei der viel besprochenen Gründung einer neuen Partei wären. Was könnte AfD-Wähler veranlassen, eine „Wagenknecht“-Partei zu wählen?
Altersarmut, der klägliche Mindestlohn, die ausbleibende Kindergrundsicherung, die Niedriglöhne - alles Themen, für die sich die AfD kaum interessiert. Und der rechtsextreme Flügel, den man mitwählt, wenn man der AfD seine Stimme gibt, ist vielen nicht geheuer. Ich denke, viele wünschen sich eine Partei, die für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit steht.
Das müssen Sie erklären.
Freiheit heißt: Auflehnung gegen einen übergriffigen, bevormundenden Staat, der seinen Bürgern vorschreiben will, wie sie zu reden, zu denken, was sie zu essen und jetzt sogar noch, wie sie zu heizen haben. Wirtschaftliche Vernunft heißt, alles dafür zu tun, dass unsere Industrie im Land bleibt und nicht durch hohe Energiekosten, Bildungsnotstand und schlechte Infrastruktur ins Ausland vertrieben wird. Wir brauchen eine kluge Energiepolitik und Investitionen in Bildung, Brücken, Schienen und digitale Netze.
Würden Sie für die neue Partei das Programm schreiben?
Parteien sind immer ein Werk von vielen. Aber natürlich stehe ich für eine bestimmte Programmatik, die ich ja auch in meinen Büchern skizziert habe. Sollte es eine neue Partei geben, wird das natürlich in diese Richtung gehen.
Alle gehen davon aus, dass Sie an der Spitze der neuen Partei stehen würden. Sehen Sie das auch so? Immerhin haben Sie seinerzeit den Fraktionsvorsitz zurückgegeben, weil Sie Burnout hatten?
Zuvor habe ich die Fraktion vier Jahre lang gemeinsam mit Dietmar Bartsch geführt und 2017 einen Wahlkampf bestritten, bei dem die Linke mit 9,2 Prozent das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte erreichte. Der Burnout hatte mit endlosen internen Reibereien zu tun.
Halten Sie es noch für möglich, dass es nicht zu einer Parteineugründung kommt?
Ich würde mich freuen, wenn all den Wählern, die sich zurzeit durch keine Partei mehr wirklich vertreten fühlen, bald wieder ein seriöses politisches Angebot zur Verfügung steht. Aber die Voraussetzungen dafür kann ich nicht allein schaffen, deshalb werde ich das auch nicht allein entscheiden.
Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie sich die Sache schon deshalb gründlich überlegen wollen, weil Sie Ihre politische Karriere nicht mit einem Flop beenden möchten. Das kann man so interpretieren, dass es am Ende nur um Sie selbst geht.
Völliger Quatsch. Es geht um die Verantwortung gegenüber den Menschen, die Hoffnungen und Erwartungen in ein neues Projekt setzen und die man nicht enttäuschen darf.
Wann fällt die Entscheidung, ob eine neue Partei gegründet wird?
Noch in diesem Jahr.