Der ehemalige englische Nationalspieler Gary Lineker lag 1990 offensichtlich falsch, als er nach dem Halbfinal-Aus der Engländer gegen Deutschland verkündete: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten einem Ball nach und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ Zum einen sind deutsche Siege bei Weltmeisterschaften seit 2018 leider eher Mangelware. Und auch was die Dauer der Spiele angeht, stellt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar Linekers Weisheit auf den Kopf. 102 Minuten und 49 Sekunden. 104:34 Minuten. Und sogar 117 Minuten und 16 Sekunden Bei der Wüsten-WM dauern die Spiele viel länger als die so berühmten "90 Minuten". Doch was sind die Gründe für die langen Nachspielzeiten?
Über 27 Minuten Nachspielzeit
"Wir wollen nicht, dass es in einer Halbzeit nur 42 oder 43 Minuten aktives Spiel gibt, das ist nicht akzeptabel", hatte Schiedsrichterchef Pierluigi Collina kurz vor Turnierbeginn gesagt. Die italienische Schiedsrichterlegende rechnete in Katar mit im Schnitt "sieben, acht, neun Minuten Nachspielzeit". Zwischen England und Iran ließ Referee Raphael Claus dann aber gleich mehr als 27 Minuten nachspielen - 14:08 Minuten in der ersten Hälfte, und dann noch einmal 13:08 Minuten in der zweiten. Das lag natürlich auch daran, dass Irans Torwart Ali Beiranvand länger verletzungsbedingt behandelt und ausgewechselt werden musste. Und an einem Videobeweis. Dennoch auffällig: Die vier Halbzeiten mit den längsten Nachspielzeiten bei einer WM fanden alle am 2. Tag der Gruppenhase statt.
Darum sind die Nachspielzeiten so lang
Bei der WM in Katar schauen die Schiedsrichter genau hin. Jede Verzögerung verlängert die Spielzeit. Dazu zählen:
- Torjubel
- Auswechslungen
- Platzverweisen
- strittige Diskussionen
- Überprüfungen der Videoassistenten
- Verletzungsunterbrechungen
Collina verteidigt lange Nachspielzeiten: "Leute wollen mehr Fußball sehen"
FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina hat die Kritik an den ausufernden Nachspielzeiten bei den WM-Partien zurückgewiesen und die Extra-Zeiten mit dem Wunsch nach mehr Netto-Spielzeit begründet. "Die Leute wollen Fußball sehen, die Leute wollen mehr Fußball sehen", sagte der Italiener in einem Interview mit dem Weltverband: "Wir sind mit dem Ergebnis ziemlich zufrieden."
Laut Collina, der sich in seiner Analyse auf die ersten 32 Endrunden-Spiele bezog, gab es bisher durchschnittlich rund zehn Minuten Nachspielzeit pro Partie. Bei der zurückliegenden WM 2018 in Russland seien es sechseinhalb Minuten im Schnitt gewesen.
"Durch die längeren Nachspielzeiten kommen wir durchschnittlich auf fast 59 Minuten Netto-Spielzeit. 55 Minuten waren das Minimum, 67 Minuten das Maximum", erklärte Collina. Der 62-Jährige gab Behandlungszeiten, Auswechslungen, den Torjubel der Spieler und die Eingriffe des Video-Assistenten als Hauptgründe für die Nachspielzeiten an.
Lange Nachspielzeiten auch in der Bundesliga?
Die Fans der Fußball-Bundesliga müssen sich künftig auf längere Nachspielzeiten wie derzeit bei der WM in Katar einstellen. Diese Ansicht vertritt der frühere Bundesliga- und FIFA-Schiedsrichter Knut Kircher. "Große Turniere waren schon immer ein Probierfeld für gewisse Neuerungen. Dieser Trend wird sicher auch in der Bundesliga ankommen", sagte Kircher der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten.
Kircher würde verlängerte Nachspielzeiten in der Bundesliga begrüßen: "Die Spieldauer war schon immer ein Gegenstand von Debatten. Längere Nachspielzeiten sind im Zweifel der richtige Ansatz, um Diskussionen zu minimieren." Dabei gelte eine Einschränkung: Wenn das Spiel längst entschieden sei, sollten die Unparteiischen das Spiel nicht aus reinen Formalitätsgründen in die Länge ziehen.
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