Auch Deutschland setzt Corona-Impfungen mit dem Präparat des Herstellers Astrazeneca vorsorglich aus. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium am Montag mit und verwies auf eine aktuelle Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts.
Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa halte das Institut weitere Untersuchungen für notwendig. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA werde entscheiden, „ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Impfstoffes auswirken“.
Die EMA erklärte allerdings, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe. Der Nutzen der Verabreichung des Astrazeneca-Mittels sei größer als die Risiken.
Derzeit werden in Deutschland die Impfstoffe von Astrazeneca, Biontech/Pfizer und Moderna eingesetzt. Außerdem erteilte die EMA vergangene Woche die Zulassung für das Vakzin von Johnson & Johnson.
Bislang wurden laut Robert Koch-Institut in Deutschland rund 1,7 Millionen Dosen des Impfstoffs verabreicht, bei rund 9,4 Millionen Erst- und Zweitimpfungen insgesamt.

Blutgerinnsel nach Astrazeneca-Impfung?

Die Bundesregierung hatte zunächst auf eine Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen verzichtet, nachdem am Donnerstag Dänemark diesen Schritt gegangen war. Kopenhagen hatte auf mehrere Fälle von schweren Blutgerinnseln nach Impfungen mit dem Vakzin verwiesen. Es folgten Norwegen, Island sowie die EU-Länder Bulgarien, Irland und am Sonntagabend dann auch die Niederlande. Österreich, Estland, Lettland, Litauen und Luxemburg setzten die Nutzung von einer bestimmten Astrazeneca-Charge aus, Italien und Rumänien stoppten die Nutzung einer anderen Charge. Inzwischen haben auch Frankreich und Italien die Impfungen mit Astrazeneca ausgesetzt.

Spahn spricht von reiner „Vorsichtsmaßnahme“

In einer Pressekonferenz äußerte sich Gesundheitsmininster Jens Spahn zur Aussetzung der Impfungen. „Die Entscheidung heute ist eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagt der Bundesgesundheitsminister. „Bisher gibt es sieben bestätigte Fälle, die im Zusammenhang mit einer Hirnvenenthrombose stehen können“, sagt er. „Um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhalten“, müssten Experten in Deutschland und der EU das Vakzin nun genauer untersuchen. Nebenwirkungen sollen letztlich nicht den Nutzen der Impfung übersteigen.
Wer sich mehr als vier Tage nach der Impfung mit Astrazeneca unwohl fühle, solle sich unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben, sagte Spahn.
Die Aussetzung der Impfungen betreffe sowohl Erst- als auch Zweitimpfungen. Wer bereits die erste Impfung mit dem Impfstoff erhalten hat, muss zunächst abwarten. „Die Impfdosen werden jetzt bei den Bundesländern, wo sie schon ausgeliefert wurden, verbleiben“, sagte Spahn. Er betonte, er wolle die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde abwarten. „Daraus folgt dann alles weitere.“ Das trifft dann auch auf eine mögliche Zweitimpfung mit einem anderen Vakzin zu.

Impfzentren in Baden-Württemberg stoppen Astrazeneca-Impfungen

Baden-Württemberg hat am Montagnachmittag die Impfzentren im Land aufgefordert, unverzüglich die Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff zu stoppen. Das teilt das Ministerium für Soziales und Integration mit. „Selbstverständlich haben wir sofort reagiert und die Impfung in Baden-Württemberg gestoppt. Der Gesundheitsschutz der Menschen steht über allem“, so Gesundheitsminister Manne Lucha. Alle Termine würden abgesagt, auch jene für die Zweitimpfungen.

Wie geht es in Baden-Württemberg weiter?

Das Ministerium für Soziales und Integration teilt weitere Details mit:
  • Die Impfungen mit AstraZeneca werden in Baden-Württemberg so lange ausgesetzt, bis vom Paul-Ehrlich-Institut eine neue Empfehlung zum Umgang mit AstraZeneca ergeht.
  • In Baden-Württemberg werden im ersten Schritt die Impfungen mit AstraZeneca für die laufende Woche bis einschließlich kommenden Montag ausgesetzt und die Termine abgesagt.
  • Das betrifft aktuell rund 15.000 Impfungen pro Tag. Spätere Termine bleiben zunächst bestehen.
  • Spätestens am Montag, 22. März, findet eine weitere Telefonschaltkonferenz der Gesundheitsministerkonferenz statt. Danach wird über den weiteren Verlauf entschieden, sollten nicht bereits vorher neue Informationen vorliegen.
  • Wer bei der Terminbuchung eine korrekte E-Mail-Adresse angegeben hat, wird per Mail über die Absage informiert. Eine telefonische Information ist angesichts der großen Menge an abzusagenden Termine leider nicht für alle Betroffenen durchführbar.
  • Alle für diese Woche gebuchten Termine mit AstraZeneca sind abgesagt. Sofern auf der Terminbestätigung der Impfstoff nicht vermerkt ist, lässt sich anhand des Abstands zwischen Erst- und Zweittermin feststellen, um welchen Impfstoff es sich handelt.
  • Bei einem Abstand von 9 Wochen und mehr handelt es sich um einen Termin mit AstraZeneca. Kürzere Abstände bedeuten, dass die Termine auf Biontech oder Moderna gebucht sind. Termine mit diesen beiden Impfstoffen finden unverändert statt.
  • Eine direkte Umbuchung der abgesagten Termine ist aufgrund des Impfstoffmangels nicht möglich.
  • Die Impfzentren werden vom Ministerium gebeten, alle über 80-Jährigen, die von dieser Terminabsage betroffen sind, entweder auf einen anderen Impfstoff umzubuchen, oder sie alternativ auf eine eigens zu führende Warteliste zu setzen.
  • Die Termine für alle anderen müssen leider ersatzlos verfallen.

Britische Behörde hält Astrazeneca-Impfstoff weiterhin für sicher

Anders als mehrere andere europäische Länder nutzt Großbritannien weiter den Corona-Impfstoff von Astrazeneca. „Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist“, sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA) einer Mitteilung zufolge. „Alle Menschen sollten sich gegen Covid-19 impfen lassen, wenn sie dazu aufgefordert werden“, sagte Bryan.
Auch der britische Premierminister Boris Johnson ist weiterhin von der Sicherheit und Effektivität des Vakzins überzeugt, wie ein Sprecher am Montag vor Journalisten betonte. Jeder, der eine Einladung dafür erhalte, sei dazu aufgerufen, sich damit impfen zu lassen.

Astrazeneca hält Impfstoff für sicher

Astrazeneca hatte nach einer Analyse von Impfdaten erneut Sorgen über die Sicherheit seines Corona-Impfstoffes zurückgewiesen. Eine sorgfältige Analyse der Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien habe keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, wie der Konzern am Sonntag in London mitteilte. Damit bezieht sich das Unternehmen nun auf noch mehr Datensätze. Am Freitag hatte Astrazeneca sich bereits ebenso geäußert und dabei auf 10 Millionen Datensätze verwiesen.

Astrazeneca: Kritik und Vorbehalte

Als leicht lagerbares und günstiges Präparat könnte der Corona-Impfstoff von Astrazeneca äußerst populär sein. Doch das in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford entwickelte Vakzin stößt seit Monaten immer wieder auf Kritik und Vorbehalte hinsichtlich Wirksamkeit, Lieferpraxis und und möglicher Nebenwirkungen.

Zweifel an der Wirksamkeit von Astrazeneca

Im November sorgte Astrazeneca mit der Darstellung für Aufsehen, sein Corona-Impfstoff könne mit der mehr als 90-prozentigen Wirksamkeit der deutlich schwerer lagerbaren und teureren Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna mithalten. Diese Erfolgsquote sei in klinischen Tests allerdings nur festgestellt worden, wenn die erste Injektion nur mit einer halben Dosis erfolgt sei und die zweite Impfung mit der vollen Dosis, räumte der Hersteller ein.
Die Entwickler des Astrazeneca-Impfstoffs stellten dies nur durch Zufall fest, weil bei einem Teil der Probanden versehentlich zuerst nur eine halbe Dosis verabreicht wurde. Dieses Missgeschick ließ Zweifel an der Zuverlässigkeit der Tests insgesamt aufkommen. Mittlerweile gibt Astrazeneca die Wirksamkeit seines Corona-Impfstoffs insgesamt mit rund 70 Prozent an.

Eingeschränkte Zulassung von Astrazeneca

Nach der EU-weiten Zulassung des Astrazeneca-Impfstoffs Ende Dezember schränkten Deutschland und andere Mitgliedsländer die Nutzung zunächst für Menschen bis 64 Jahre ein, weil für ältere Menschen nicht genügend Daten vorlagen. Dadurch war das Vakzin für viele Menschen in der Prioritätsstufe 1 nicht nutzbar. Erst Anfang März gaben Deutschland und auch andere EU-Länder das Mittel auf Grundlage neuer Forschungsdaten auch für ältere Menschen frei.

Massive Lieferverzögerungen bei Astrazeneca

Im Januar teilte das britisch-schwedische Unternehmen mit, dass es im ersten Quartal 2021 nur ein Drittel der vereinbarten 120 Millionen Dosen für die 27 EU-Länder liefern werde. Brüssel reagierte verärgert, weil Astrazeneca Großbritannien und andere Nicht-EU-Länder offenbar weiterhin mit ungekürzten Mengen belieferte.
Die EU führte daher eine Exportkontrolle für auf ihrem Gebiet hergestellte Impfstoffe ein. Außerdem schickte sie Inspekteure in ein Astrazeneca-Werk in Belgien, weil sie bezweifelte, dass dortige Produktionsprobleme wirklich die Ursache für die Lieferverzögerungen sind.
In der vergangenen Woche kündigte das britisch-schwedische Unternehmen an, dass es bis zur Jahresmitte voraussichtlich gerade einmal 100 Millionen Impfstoffdosen an die EU liefere, davon 30 Millionen im ersten Quartal.

Spanien setzt ebenfalls Impfung mit Astrazeneca-Vakzin aus

Nach Deutschland, Frankreich und Italien hat am Montag auch Spanien die Impfung mit dem Vakzin von Astrazeneca ausgesetzt. Als "Vorsichtsmaßnahme" werde der Impfstoff für mindestens zwei Wochen nicht mehr eingesetzt, sagte Gesundheitsministerin Carolina Darias.
Nach einer Reihe von Fällen schwerer Blutgerinnsel haben mehr und mehr Länder in den vergangenen Tagen ihre Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin vorsorglich gestoppt. Die WHO kündigte daraufhin für Dienstag ein Treffen ihrer Experten für Impfsicherheit an, die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) will am Donnerstag auf einer Sondersitzung über das weitere Vorgehen beraten.
Beide Behörden wiesen jedoch darauf hin, dass bisher kein Zusammenhang zwischen den Vorfällen und dem Impfstoff festgestellt werden konnte. Die WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan empfahl den Ländern, ihre Impfungen einstweilen fortzusetzen.

Laschet: Astrazeneca-Impfstopp verändert Impfstrategien

Das vorübergehende Aussetzen von Covid-19-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca wird nach Einschätzung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet die Impfpläne durcheinander bringen. „Das wird viele Strategien wieder verändern“, sagte der CDU-Bundesvorsitzende am Montag in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Laschet?“. „Wir haben darauf gesetzt, dass wir jetzt sehr schnell, sehr breit impfen, den Stoff sogar zu den Hausärzten geben. Und jetzt ist er gar nicht mehr da, jedenfalls nicht die nächsten Tage.“ Hier müsse Politik wieder reagieren. In Nordrhein-Westfalen seien die Impfungen sofort gestoppt und die Bürger informiert worden.
Das Bundesgesundheitsministerium hatte zuvor mitgeteilt, man setze deutschlandweit die Impfungen mit Astrazeneca vorerst aus. Es handele sich um einen vorsorglichen Schritt. Das Ministerium berief sich auf eine Empfehlung des in Deutschland für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts. Dieses hatte wegen Meldungen über Thrombosen in Hirnvenen dazu geraten, die Impfungen mit Astrazeneca zunächst zu stoppen.

Berufsverband der Lehrkräfte fordert: Präsenzunterricht aussetzen

Folgendes Statement gibt der Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung ab: Nachdem die Bundesregierung die Schutzimpfungen mit dem Vakzin von AstraZeneca heute zunächst ausgesetzt hat, ist nun auch das Impfversprechen an die Lehrerschaft hinfällig. Der heutige teilweise Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht war schon angesichts stark steigender Inzidenzen der letzten Tage verantwortungslos, zumal das mutierte Virus erwiesenermaßen unter jungen Menschen stärker grassiert und schwerste Verläufe zunehmen. Entgegen der Zusagen sind weder verlässlich Schnelltests in ausreichendem Maße noch das dafür zwingend notwendige Konzept, wer wen, wann, wo und wie testet, vorhanden. Damit ist ein auch nur ansatzweise sicherer Schulbetrieb nicht gegeben.
„Angesichts der Tatsache, dass in dem ‚Instrumentenkoffer‘ jetzt wieder nur noch die AHA-Regeln mit Stoßlüften verbleiben, ist es verantwortungslos, die Schulen offen zu halten“, sagt Joachim Maiß, Bundesvorsitzender des Verbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB). Das damit billigend in Kauf genommene Risiko, dass infolge voller Schulbusse und ebenso voller berufsbildender Schulen das Infektionsgeschehen außer Kontrolle zu geraten droht, ist unkalkulierbar.
„Deshalb müssen die Schulen bis Ende der Osterferien geschlossen werden und verlässlicher Unterricht auf Distanz erfolgen“, sagt Maiß. Erst wenn Hygienemaßnahmen und Gesundheitsschutz gewährleistet sind sowie praktikable Teststrategien für die einzelnen Schulen stehen und Impfangebote für alle Lehrkräfte vorhanden sind, können die Schultüren mit Augenmaß für Präsenzunterricht wieder geöffnet werden. „Dabei dürfen Inzidenzen und Stufenpläne nicht nach Gutsherrenart ständig neu definiert und Grenzwerte missachtet werden“, so Maiß.

Lauterbach sieht Zusammenhang zwischen Thrombosen und Astrazeneca-Impfung

Laut SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach lassen sich die nach Corona-Impfungen gemeldeten Thrombosen (Blutgerinnseln) der Hirnvenen „mit großer Wahrscheinlichkeit“ auf das Präparat von Astrazeneca zurückführen. „Das sieht man sonst in der Bevölkerung 50 mal im ganzen Jahr in Deutschland“, sagte Lauterbach am Montagmorgen im ARD-„Morgenmagazin“. „Der Zusammenhang macht auch physiologisch Sinn.“
„Auf der Grundlage der Zwischenfälle, die wir jetzt kennen, überwiegt natürlich der Nutzen des Impfstoffs, insbesondere bei den Älteren“, betonte Lauterbach. In Abwägung mit der Thrombose, die „behandelbar ist, wenn auch schwer behandelbar ist gegen eine Erkrankung, die bei Älteren sehr, sehr häufig tödlich verläuft“, hätte er die Impfungen nicht ausgesetzt.

Thrombose-Risiko Pille und Astrazeneca vergleichbar?

Angesprochen auf den Vergleich mit möglichen Nebenwirkungen der Einnahme der Antibabypille reagierte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk zuvor skeptisch. „Die Thrombosen, die es nach Einnahme der Pille gibt, sind nicht in der Schwere vergleichbar mit den Thrombosen, über die wir hier sprechen.“
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Zuvor hatten zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer in den Sozialen Medien den Vergleich zwischen dem verhältnismäßig hohen Thrombose-Risiko der Pille und dem Risiko bei Astrazeneca gezogen.