An einer allgemeinen Corona-Impfpflicht wird Deutschland nach Ansicht von Spitzenpolitikern verschiedener Parteien voraussichtlich nicht vorbeikommen. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (23.12.), würde die Impfquote von derzeit 70 Prozent in Deutschland schlagartig auf 95 Prozent steigen, wäre eine Pflicht nicht nötig. „Das sehe ich aktuell aber nicht.“ Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nannte eine Impfpflicht in den ARD-Tagesthemen „unerlässlich“. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey bezeichnete sie bei RTL/ntv als „logische Schlussfolgerung“.
Die Corona-Zahlen in Deutschland sinken zwar zunächst weiter. Experten befürchten wegen der ansteckenderen Omikron-Variante aber eine baldige Trendumkehr. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechnet mit einer großen Welle zum Jahreswechsel. Über die anstehenden Feiertage wird vorerst mit wenig aussagekräftigen Corona-Daten gerechnet.
Nach dem Bund-Länder-Beschluss zu verschärften Maßnahmen nach Weihnachten gehen die Bundesländer unterdessen wieder eigene Wege: Sowohl in Berlin als auch in Hamburg und Schleswig-Holstein bleiben nach Weihnachten weiterhin in begrenztem Umfang Zuschauer bei Sportveranstaltungen erlaubt. Das beschlossen die Landesregierungen. Bund und Länder hatten am Dienstag vereinbart, dass „überregionale Großveranstaltungen“ spätestens ab 28. Dezember ohne Zuschauer stattfinden müssen. Allerdings wurde nicht definiert, was genau unter diesen Begriff fällt. In Schleswig-Holstein dürfen auch Clubs und Diskotheken weiter geöffnet bleiben, aber nur noch mit halber Kapazität betrieben werden.

Mögliche Impfpflicht in Deutschland - Das sagt SPD-Chef Lars Klingbeil

Klingbeil bezeichnete es als einen Fehler, eine Impfpflicht zuerst ausgeschlossen zu haben. „Auch ich persönlich habe das getan.“ Er habe geglaubt, dass sich sehr viel mehr Menschen impfen lassen würden, als es bis heute tatsächlich der Fall sei. „Ich habe deshalb immer sehr überzeugt gesagt, es wird keine Impfpflicht kommen. Das war ein Fehler. Aber ich finde es wichtig, dass Politik auch dazulernen darf.“
NRW-Ministerpräsident Wüst sagte, eine „Dauerschleife“ von Lockerungen und Lockdowns müsse vermieden werden. „Da müssen wir raus. Deswegen ist die Impfpflicht unerlässlich.“ Giffey nannte eine Impfpflicht grundsätzlich das „allerletzte Mittel“. Aber ab dem Punkt, an dem der gesamte Gesundheitsschutz der Bevölkerung sowie die kritische Infrastruktur gefährdet seien, müsse man in der Abwägung diese Pflicht auch eingehen. „Deswegen ist es jetzt eine logische Schlussfolgerung, das zu tun.“

Ethikrat fordert Impfpflicht vorerst für bestimmte Berufe und Altersgruppen

Am Mittwoch, 22.12. hatte der Ethikrat sich dafür ausgesprochen, die schon für Beschäftigte in Kliniken oder Pflegeheimen beschlossene Impfpflicht auf „wesentliche Teile der Bevölkerung“ auszuweiten. Angedacht ist, dass der Bundestag ohne Fraktionszwang über eine mögliche Einführung abstimmt. Wann das passiert, ist weiter offen. Unklar ist auch noch die Ausgestaltung: Denkbar wäre etwa, dass eine Pflicht für alle Erwachsenen kommt oder auch nur für bestimmte Risiko- und Altersgruppen. Erwartet wird, dass sich Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg zusammentun und entsprechende sogenannte Gruppenanträge vorlegen, über die dann abgestimmt wird.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe zur Frage, wie ein solcher Antrag gestaltet sein müsse, damit sie zustimme. Er müsse verhältnismäßig sein. „Es muss etwa Klarheit herrschen, ob wir mit dieser Form der Impfpflicht die Krise nachhaltig bekämpfen können. Meine persönliche Tendenz geht zu einer partiellen Impfpflicht.“

Corona Omikron Studie: Ist die Virus-Variante weniger gefährlich als Delta?

Studien aus Südafrika und Großbritannien deuten inzwischen zwar darauf hin, dass Omikron weniger krank machen könnte als die Delta-Variante des Coronavirus. Experten raten aber davon ab, vorschnelle Schlüsse zu ziehen und verweisen auf Unterschiede zwischen Südafrika und Deutschland, etwa beim Altersdurchschnitt der Bevölkerung.
Der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, sagte am Donnerstag dem Nachrichtensender Welt, wenn sich die britischen Zahlen bestätigen ließen, sei das ein Hoffnungsschimmer aber „überhaupt keine Entwarnung“. Auch Lauterbach sprach in der „Bild“ zwar von einer „guten Nachricht“, warnte aber ebenfalls davor, „dies als Anlass zur Entwarnung zu sehen“. Omikron sei so viel ansteckender, dass das große Problem weiterhin bestehen bleibe. „Wir haben es mit einer Herausforderung zu tun, die wir bisher noch nicht hatten.“
Selbst bei einem milderen Verlauf werden durch die erwartet hohen Ansteckungszahlen Belastungen des Gesundheitssystems und von wichtigen Bereichen der Infrastruktur befürchtet, weil viele Beschäftigte wegen einer Infektion und Quarantäneanordnungen ausfallen könnten.

Kritik an der möglichen Impfpflicht – das sagen Friedrich Merz und Armin Laschet

Die lauteste Kritik an einer möglichen Impfpflicht kommt aus der Opposition, bisher vor allem aus der CDU. Der designierte CDU-Chef Friedrich Merz riet dazu, die Bevölkerung „nicht in Angst und Schrecken“ zu versetzen. „Es gibt in unserem Land leider eine gewisse Neigung, immer denen besonders viel Gehör zu schenken, die die Situation besonders dramatisch darstellen“, sagte er im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die Pandemie müsse den politischen Entscheidungsträgern Respekt gebieten, „aber sie sollten nicht in Angst erstarren“.
Der scheidende Vorsitzende der CDU, Armin Laschet, sieht die von der Bundesregierung geplante Einführung einer allgemeinen Impfpflicht kritisch. "Wir alle haben vor der Wahl versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird. Ich tue mich schwer damit, eine Zusage einfach zu ignorieren und jetzt das Gegenteil zu vertreten", sagte Laschet dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Freitagsausgabe). Es gebe kein Land in der EU, das eine verpflichtende Impfpflicht habe, wie sie in Deutschland gerade diskutiert werde. "Die Impfpflicht wirkt auf mich noch nicht durchdacht. Uns fehlt zum Beispiel ein Nationales Impfregister", betonte Laschet. Viele Fragen seien offen und müssten erst geklärt werden. "Die Debatte um die Impfpflicht muss respektvoll geführt werden und nicht so, als wenn es nur eine Antwort geben würde", sagte der Noch-CDU-Bundesvorsitzende der Zeitung. Die Spaltung gehe quer durch Familie, Freundeskreis und die ganze Gesellschaft. "Wir müssen sehen, dass wir nach der Pandemie wieder vernünftig zusammenleben", mahnte Laschet.