Neun-Euro-Ticket, Jugendticket, Stadtticket, Deutschlandticket – die Bundesregierung und auch zahlreiche Kommunen bemühen sich, den öffentlichen Personennahverkehr attraktiver zu gestalten. Dafür nehmen sie viel Geld in die Hand. So müssen es die Bürgerinnen und Bürger – zumindest vordergründig – nicht tun. In Albstadt beispielsweise gibt es zumindest in Ebingen und im Talgang den Stadttarif I. Vonseiten der Bevölkerung wurde allerdings immer wieder der Wunsch nach einem einheitlichen Stadttarif an die Verwaltung herangetragen. Die Wünsche fanden Gehör, beschloss der Gemeinderat im Mai die Einführung eines solchen Tarifs.
Zuerst sollte der Stadttarif I am 1. Januar dieses Jahres für das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden, dann wurde die Ausweitung auf den 1. März verschoben, und an diesem Donnerstagabend stimmte der Gemeinderat mehrheitlich einer weiteren Verschiebung zu. Datum: offen. Grund dafür sind das Deutschland- und Jugendticket. Wie berichtet, haben sich vor wenigen Tagen Bund und Länder geeinigt, das bundesweit und in allen Verkehrsmitteln des ÖPNV geltende 49-Euro-Ticket (pro Monat) am 1. Mai einzuführen. Allerdings muss noch die EU-Kommission zustimmen. Zusätzlich zum Deutschlandticket wird in Baden-Württemberg am 1. März das Jugendticket für 365 Euro im Jahr eingeführt.
5,6 Millionen neue Abos durch 49-Euro-Ticket
Allein mit dem 49-Euro-Ticket könnten sich rund 5,6 Millionen Menschen erstmals für ein Nahverkehrsabo entscheiden, schätzt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Hinzu kommen sollen etwa 11,3 Millionen Fahrgäste, die zwar schon ein Abo hatten, aber nun zu diesem wechseln – so die Schätzungen. Die Verwaltung der Stadt Albstadt glaubt ebenfalls, dass viele Fahrgäste eher diese Angebote nutzen werden, als den dann einheitlichen Stadttarif. „Für bisherige Gelegenheitsnutzer stellt das Deutschlandticket eine Alternative dar“, heißt es vonseiten der Verwaltung. Der Verkehrsbund Naldo geht daher davon aus, dass die Stadt nicht mehr rund 250 000 Euro als Ausgleich zahlen muss, sondern weniger. Wie viel, könne jedoch erst neu berechnet werden, wenn es Erfahrungswerte mit den beiden neuen günstigen Tickets gibt. Deswegen schlugen Stadtverwaltung und Naldo eine erneute Verschiebung der Ausweitung des Stadttarifs I vor.
Zwei Gegenstimmen aus dem Albstädter Gemeinderat
Doch nicht alle Stadträte wollten dieser Empfehlung folgen. Zwei Stadträte stimmten dagegen. Elke Rapthel (ZUG) ist eine von ihnen: „Wir rasen mit großen Schritten auf eine Klimakatastrophe zu und ich finde, wir müssen alles tun, um diese zu verhindern. Dazu gehört auch, dass wir den ÖPNV, was der ZUG schon immer fordert, kostenlos stellen“, begründet sie ihre Entscheidung. Sie wisse, dass das in Albstadt nicht machbar sei, doch sollte die Stadt mit gutem Beispiel vorangehen und zumindest den Stadttarif erweitern – unabhängig der beiden anderen Angebote.
Ihre Stadtrat-Kollegin von der SPD, Lara Herter, könne diese Argumentation zwar verstehen, merkte jedoch Folgendes an: Ein Tagesticket von Onstmettingen nach Ebingen kostet 4,90 Euro. Gelegenheitspendler haben also das 49-Euro-Ticket ab der zehnten Fahrt bereits drin. „Ab elfmal lohnt es sich“, so Herter. „Das müssen wir im Hinterkopf haben, wenn wir diese Debatte in den nächsten Monaten führen“, ergänzt die Stadträtin.
Für die Bürger müsse es attraktiv sein, überhaupt im Stadtverkehr auf den ÖPNV zu setzen. Als positive Beispiele nannte sie Tübingen. Die Stadt hatte bekanntgegeben, dass sie das Jugendticket BW bezuschusst. So kostet es für Fahrgäste aus dem Stadtgebiet statt umgerechnet 30,42 Euro nur 22 Euro monatlich. Für Herter ist auch Stuttgart ein gutes Beispiel, obwohl sie Albstadt nicht mit der Hauptstadt vergleichen wolle. Die Stadt Stuttgart aber übernimmt die Kosten des 49-Euro-Tickets für alle städtischen Beschäftigten. Solche Punkte müssen nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch aufgrund des Fachkräftemangels diskutiert werden, ist Herter überzeugt. „Wir müssen diese Debatte mutig führen.“ Allerdings erst nach Einführung beider Tickets.
Verzicht auf Komfortzuschlag
Neben der Einführung des einheitlichen Stadttarifs in Albstadt wurde vom Gemeinderat der Verzicht auf den Komfortzuschlag für den Anmeldeverkehr (Anrufsammeltaxi) beschlossen. Da zum 1. Januar 2023 jedoch keine Tarifanpassung durch Naldo erfolgte, wird nun erst ab 1. März kein Komfortzuschlag für den Anmeldeverkehr mehr erhoben.
Für die Benutzung des Anmeldeverkehrs erheben die Verkehrsunternehmen Eissler Reisen & Co. KG und Omnibus-Verkehr Ruoff GmbH Waiblingen, in Absprache mit der Stadt, je Fahrt und Person einen Komfortzuschlag in Höhe von 1,50 Euro. Die Einnahmen aus dem Komfortzuschlag betrugen von August bis Dezember 2021 insgesamt 261 Euro.