Als Christian Lindner am Sonntag die Alte Oper in Stuttgart betritt, warten bereits drei Laiendarsteller der Heiligen Drei Könige und ein Dutzend Kameras auf den FDP-Chef.  „Wir freuen uns immer, wenn Sie da sind“, begrüßt er das Trio in weihrauchschwangerer Luft. Als die Laiendarsteller 2014 nicht erschienen waren, weil sie dachten, nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag falle auch das traditionelle Dreikönigstreffen aus, war dies als weiterer Beleg für den Niedergang der Partei gewertet worden. Damals war Lindner weniger zu Scherzen zumute. Nun kann er sich Selbstironie leisten.
Die Bühne im voll besetzten Großen Saal teilt sich Lindner diesmal mit 15 anderen FDP-Mitgliedern, die auf grauen Stoffhockern sitzen. Promi neben Neumitglied, Jung neben Alt, Ost neben Südwest. Der Parteichef will nicht länger das Bild einer „One-Man-Show“ befeuern, sondern präsentieren, dass die Partei breit aufgestellt ist. An Köpfen – aber auch an Inhalten.
In seiner Rede mischt Lindner klassische FDP-Forderungen wie die nach einer schnellen Abschaffung des Soli mit neuen Akzenten: Die Ökologie sei eine liberale „Traditionslinie“, die man wieder stärker hervorheben wolle, sagt er an einer Stelle. An einer anderen skizziert er eine „Agenda der Fleißigen“, die darauf zielt, Hartz-IV-Empfängern  und Rentnern in Grundsicherung, weniger von Hinzuverdiensten abzuziehen. Es folgt eine „Agenda für Selbstbestimmung“ mit der Forderung, den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs zu streichen und Ärzte, die über Schwangerschaftsabbruch informieren, „nicht länger zu kriminalisieren“.

Neues Wachstum erschließen

Die FDP will grüner und sozialer werden, ohne dabei ihre Markenkerne Wirtschaft und Bürgerrechtsliberalismus zu vernachlässigen. Das ist die eine Botschaft, die die Rede in die Republik aussenden soll. „Chancen nutzen“ prangt in knalligem Gelb auf Magenta als Motto über der Bühne. Lindner, der den weit besseren Lauf der Grünen genauso im Blick hat wie die Schwäche von Union und SPD, will seiner Partei neue Wachstumsperspektiven eröffnen, ohne Stammwähler zu verschrecken.
Die andere Botschaft lautet: Die FDP ist bereit für „Jamaika 2.0“, für neue Gespräche mit Union und Grünen über eine gemeinsame Bundesregierung, falls Schwarz-Rot scheitert. „Wir laufen keinem hinterher. Aber wir laufen auch nicht weg“, ruft Lindner in den Saal.  „Wer uns ein faires Angebot zur Erneuerung des Landes macht, kann zu jeder Zeit damit rechnen, dass wir bereit sind, für dieses Land Verantwortung zu übernehmen.“
Die neue Wortwahl soll, nach dem FDP-Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017, nicht wie eine Wende klingen, aber das verbreitete Bild einer nicht regierungsbereiten Partei korrigieren. Es will ein Neubewertung der Lage sein. Einer Lage, die sich aus FDP-Sicht grundlegend durch den Umstand verändert hat, dass Angela Merkel die nächste Bundesregierung nicht mehr führen wird. Aus Lindners Sicht geht die „Ära Merkel“ aber zu langsam zu Ende – er legt ihr nahe, nun auch die Kanzlerschaft niederzulegen.
Doch vorerst gilt der Blick den anstehenden Europa- und Kommunalwahlen im Mai und den Landtagswahlen in Bremen, Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Lindner versucht, Zuversicht zu verströmen. Zu Dreikönig 2017 seien die FDP in Umfragen bei  sechs Prozent notiert worden, bei der Bundestagswahl im Herbst kam die Partei dann auf 10,7 Prozent. Aktuell sind es in Umfragen um die zehn Prozent.
Bei der Europawahl stehe wegen der Angriffe von Populisten auf die europäische Idee viel auf dem Spiel. „Ich bin stolz darauf, dass wir an der Seite von Moderaten wie Emmanuel Macron in den Wahlkampf ziehen und nicht wie die CDU an der Seite von Victor Orban.“ Den Grünen wirft er vor, ein „Europa der Gleichmacherei“ zu wollen. Mit schnellen Jamaika-Verhandlungen scheint er dann doch nicht rechnen.
Auf zwei Stunden ist die Kundgebung angelegt. Lindner hat die anderen Redner animiert, diesmal etwas weiter auszuholen, er will insbesondere Nicola Beer mehr Raum lassen, der designierten Spitzenkandidatin für die Europawahl. Als Beer die Bühne frei macht, hat Lindner statt der üblichen 60 nur noch 40 Minuten Zeit. Er redet dann 70 Minuten. Die Bühne teilt er gerne, die Show aber lässt er sich nicht nehmen.

Rülke stellt sich hinter Aras

Wegen des Umgangs mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) hat Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke der AfD Rassismus vorgeworfen. Aras hatte zwei AfD-Politiker des Parlaments verwiesen. „Aras bekommt von der AfD-­Fraktion zugerufen, sie dürfe sich nicht zur Erinnerungskultur äußern, weil sie nicht in Deutschland geboren sei. Meine Damen und Herren, so geht Rassismus“, sagte Rülke.
Aras sei für die AfD eine permanente Provokation als Frau, Migrantin und Muslima. Liberale seien „stolz darauf, in einer Gesellschaft leben zu dürfen, die so offen und integrationsfähig ist“, sagte Rülke. dpa