„Entschuldigung“, tönt es über den Tisch mit der neuen Kollektion. „Entschuldigung, sind Sie grad am Bediena?“
Die Galeria-Verkäuferin, die in der Damenabteilung Hosen zusammenlegt, blickt auf. Eine Kundin mit grauer Kurzhaarfrisur macht ihr klar, dass sie gerne etwas Modernes fürs Frühjahr hätte, „so a Sieba-Achtel-Hos, wenn Se oina hend.“
Zusammen gehen sie zu einer Stange, an der noch mehr Hosen hängen, in Pink und Grün. Z‘ knallig, befindet die Kundin. Ihr Mann steht mit einer Krücke daneben und sieht müde aus. „Komm“, sagt er zu seiner Frau, „vielleicht findest du oben was.“
Auf dem Weg zu den Rolltreppen kommen die beiden an einem Damenfrisör vorbei. Den gibt es zwischen Jeans und Blusen auch noch im ersten Obergeschoss von Galeria Karstadt Kaufhof in Ulm.
Eigentlich gibt es fast alles im größten Einkaufstempel der Fußgängerzone. Neue Haarschnitte, bunte Sieben-Achtel-Hosen, Kochtöpfe von WMF, einen Aldi im Untergeschoss und, ganz oben, ein Restaurant, in dem müde Einkaufsbegleiter ihre Krücke ablegen und sich stärken können.
Die Rolltreppen laufen von 9.30 bis 20 Uhr und befördern die Kunden zwischen Küchenmessern, Armbanduhren und Bikinis hin und her. Leute drängeln, Kassen piepsen. Es sind die Selbstverständlichkeiten des Warenhaus-Alltags. Doch dass es hier alles so weiterläuft wie bisher, ist ganz und gar nicht selbstverständlich.
Galeria Karstadt Kaufhof, ein Sorgenkind der deutschen Wirtschaft, hat in weniger als drei Jahren die zweite Insolvenz hingelegt. Über Monate hieß es für die 105 Angestellten in Ulm: zittern, bangen. Der Begriff „Streichliste“ machte die Runde. 45 von 129 Filialen sollen für immer schließen, 4000 Stellen sind betroffen.
Vor wenigen Wochen dann die Erlösung: Das Ulmer Warenhaus steht nicht auf der Liste.

Ein Brief von Ivo Gönner

Claudia Bender, 65, öffnet ihre Bürotür im vierten Stock des Warenhauses, auf dem Tisch liegt ein Verdi-Prospekt, daneben ein Brief. Er stammt von Ivo Gönner. Am Tag, als bekannt wurde, dass der Ulmer Standort überlebt, griff der Alt-OB persönlich zum Kugelschreiber und wünschte dem Galeria-Team alles Gute für die Zukunft. Worte wie Balsam.
Bender arbeitet seit 45 Jahren hier, sie ist Betriebsratsvorsitzende, sie sitzt im Gesamtbetriebsrat, sie hat einiges erlebt, sie hat viel gekämpft. Gönners Worte waren die einzigen, die von außen in die Ulmer Warenhaus-Welt drangen. Nichts vom Gemeinderat, nichts vom amtierenden OB. „Dabei sind wir doch das Herz der Innenstadt“, sagt sie enttäuscht.
Bender fing hier 1978 als Disponentin in der Schallplattenabteilung an. Zu einer Zeit, als das Warenhaus noch Horten hieß, die Ulmer mit prallen Portemonnaies in die Fußgängerzone strömten und an den Horten-Türen nicht vorbeikamen. War der Föhn kaputt: Horten. War die Matratze durch: Horten. Brauchte der Sohn einen neuen Schulranzen: Horten.
Der Ulmer Horten im Jahr 1977.
Der Ulmer Horten im Jahr 1977.
© Foto: Honorarfrei M.Müssig
Das Gebäude in der Bahnhofstraße 5 – ein Konsum-Paradies. Der Name Horten stand für gute Zeiten: Die Kunden zahlten bar, die Verkäuferinnen trugen weiße Blusen und organisierten Modenschauen. Wenn Bender über diese Momente spricht, verwendet sie oft Adjektive wie „stolz“ oder „glücklich“.
Über viele Jahre war das Warenhaus ein sorgenfreier Ort. Bis sorgenbehaftete Begriffe ins Paradies regneten. Bis es hieß, im Paradies kaufen nur noch die Alten. Bis es hieß, das Internet werde das Paradies irgendwann austrocknen.
Diese dunklen Prophezeiungen begleiten Benders „Horten-Familie“, wie sie ihren Kollegenkreis bis heute nennt, in die Gegenwart. Viele haben aufgehört, nach Zahlen und Kurven zu gucken. Es sieht nicht gut aus: Die Kurve der „Horten-Familie“ fällt weiter und weiter. 2021 betrug der Marktanteil von Kauf- und Warenhäusern im deutschen Einzelhandel nur noch 1,6 Prozent. Die Kurven, die nach oben zeigen, sind die Kurven der digitalen Konkurrenz, die Kurven von Amazon und Co.
Bender glaubt trotzdem, dass eine Wende möglich ist. Das Beraten, das Lächeln, die Nähe zum Kunden, sagt sie, kann das Internet nicht ersetzen. Die Warenhaus-Welt, in der es doch auch fast alles gebe, müsse ihre Vorteile wieder ausspielen.
Bender und ihre 104 Kollegen verlangen nach einem Plan von oben. Keine lebensverlängernden Maßnahmen wie bei einem sterbenden Patienten. Sie wollen ein Konzept, an das sie glauben können. Ein Konzept, mit dem ihre Warenhaus-Welt einen Platz in der Zukunft hat.
Claudia Bender arbeitet seit 45 Jahren im Warenhaus.
Claudia Bender arbeitet seit 45 Jahren im Warenhaus.
© Foto: Magdi Aboul-Kheir

Schulabbrecher wird Milliardär

Der Mann, der diese Zukunft in der Hand hält, war ein Jahr alt, als Bender bei Horten in Ulm anfing. Mit 17 hatte der junge Tiroler so viele Fehlstunden, dass er nicht zum Abitur zugelassen wurde. Also verließ er die Schule und wurde Immobilien-Unternehmer.
Heute ist René Benko Milliardär, trägt Nadelstreifenanzüge und hat eine 62 Meter lange Luxusjacht namens „Roma“. 2013 kaufte er Karstadt, später Galeria, dann fusionierte er die angeschlagenen Warenhäuser.
In Benkos Welt geht es um Millionen-Rendite und ums Händeschütteln mit wichtigen Leuten. Dabei lächelt er gerne in die Kameras. Was Benko nicht mag, ist, wenn Zeitungen über fragwürdige Geschäftspraktiken seines Signa-Konzerns schreiben. 2014 wurde er mal wegen Korruption verurteilt.
Deutsche Politiker und Wirtschaftsexperten werfen dem drittreichsten Österreicher immer wieder vor, dass es ihm bei Galeria Karstadt Kaufhof nicht um die Zukunft des Warenhauses, sondern um die wertvollen Innenstadt-Immobilien gehe. Herr Benko sagt dann, das stimme nun ganz und gar nicht.
Sie haben ihn mal verprügelt. Nachdem bekannt wurde, dass schon wieder Filialen geschlossen werden, schlugen Düsseldorfer Galeria-Mitarbeiter mit Boxhandschuhen auf eine überlebensgroße Benko-Pappfigur ein. Irgendwann fiel sie einfach auseinander.
Die Zeiten der Worte sind schon länger vorbei bei Galeria Karstadt Kaufhof. In der Ulmer Filiale spricht man nur noch selten über René Benko und seine Manager. Und Benko und seine Manager sprechen nur noch selten mit der Presse. Zukunft? Konzept? Pläne? Viele Fragen, keine Antworten.
Ein Mann mit weißem Hemd, markanter Brille und rund 320 Angestellten weiß mehr. Arndt Geiwitz, 58, zählt zu den bekanntesten Insolvenzverwaltern des Landes. Seine Wirtschaftskanzlei Schneider Geiwitz hat den Fall Schlecker abgewickelt, nun liegen die Papiere des nächsten schwankenden Riesen auf seinem Schreibtisch.
Geiwitz sitzt auf der Rückbank seines Büro-Busses, er hat die Displaykamera eingeschaltet, am Fenster ziehen die Schilder der A8 vorbei, von München aus geht es Richtung Heimat.
Der Neu-Ulmer Wirtschaftsprüfer arbeitet zurzeit sieben Tage die Woche, im Schutzschirmverfahren legt er den Grundstein für die Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof. Bald ist seine Arbeit getan, noch in diesem Monat zieht er sich als Generalbevollmächtigter zurück und entlässt den Konzern in die ökonomische Freiheit.
Als Galeria-­Sanierer tätig: Arndt Geiwitz.
Als Galeria-­Sanierer tätig: Arndt Geiwitz.
© Foto: Volkmar Koenneke Ulm

Arndt Geiwitz: Es gibt viel zu tun

Geiwitz hat bei Galeria Vokabeln eingeführt, die nach Zukunft klingen: anspruchsvollere Sortimente, attraktivere Gastronomie, mehr Fremdbetreiber auf der Fläche, mehr Eigenverantwortung für die Filialen, mehr Flächenumsatz. Die Frischer-Wind-Wörter gehen Geiwitz nicht aus: attraktivere Regalsysteme, neue Lichter, Paketabholmöglichkeiten, Shop-in-Shop-Konzepte, Café-Konzepte als Frequenzbringer.
Galeria, sagt Geiwitz, wird in den kommenden drei Jahren kräftig in die übrig gebliebenen Filialen investieren, auch in Ulm. Man habe den Anschluss zur Kundschaft verloren, den gelte es nun wiederzufinden.
Geiwitz glaubt, dass es gelingen kann. Das Konzept Warenhaus, betont er, sei sehr wohl zukunftsfähig. Sein Optimismus speist sich aus dem Blick in andere Länder – Italien, Spanien, England. Dort habe man das Konzept wieder zum Laufen gebracht, dort könne man sich einiges abschauen.
Auch Kundenverjüngung ist ein Stichwort bei Galeria Karstadt Kaufhof. Es soll vorsichtig passieren, sagt Geiwitz, aber man werde was tun. Man wisse, dass man die, die damit aufwachsen, sich mit ein paar Klicks alles nach Hause zu bestellen, für die neue Warenhaus-Welt begeistern muss. Sie sind die Stammkunden der Zukunft – oder eben auch nicht.
Das Galeria-Management habe verstanden, sagt Geiwitz. „Ich hoffe, dass das, was wir ins Stammbuch geschrieben haben, mit Nachdruck umgesetzt wird.“
In der Ulmer Filiale wartet man, bis der frische Wind aus der Essener Zentrale irgendwann ankommt. Zur Mittagszeit zieht eine Horde Schulkinder durch die Fußgängerzone, vorbei an den Warenhaus-Türen. Einige daddeln am Smartphone.
Oben in der Kinderabteilung steht zwischen Badehosen und Legosteinen eine mannshohe Goldbären-Figur. Im Bauch lagern Tüten mit Kaubonbons und sauren Stangen. Der Bär hat die Pfote ausgestreckt, als wolle er die junge Kundschaft begrüßen. Doch im Moment ist niemand da, der Bär guckt ins Leere.

OB Czisch: Ohne Galeria würde Ulm etwas fehlen

Dass die Filiale von Galeria Karstadt Kaufhof in Ulm geöffnet bleibt, freut OB Gunter Czisch. Auf SWP-Anfrage betont er: Ohne Galeria würde in der Stadt etwas fehlen. Vor allem „traditionsbewusste Ulmerinnen und Ulmer“ und Kunden „aus dem Umland schätzen das Konzept“. Für Innenstadtbewohner sei der Discounter im Untergeschoss ein wichtiger Faktor.
Die Belegschaft habe viel dafür getan, dass der Standort überleben konnte. Nun liege es an den Innenstadt-Besuchern, dieses Angebot weiterhin anzunehmen. Czisch selbst verbindet einige Erinnerungen mit dem Warenhaus: Als Teenager erstand er dort etwa sein erstes selbstgekauftes T-Shirt, das er lange „wie ein Schatz“ gehütet hat.