Wem der Wahlkampf in den vergangenen Wochen zu lauwarm und blutleer erschienen ist, der war am Dienstag in der Metzinger Stadthalle genau richtig. Die SÜDWEST PRESSE hatte sechs Direktkandidaten aus dem Wahlkreis Reutlingen zur Diskussion geladen, bei der die Politiker teilweise heftig aneinander gerieten, immer wieder unterbrochen vom Beifall des Publikums für die eine oder andere Seite. Einig zeigten sich die Politiker hingegen im Wunsch, mehr Polizisten einstellen zu wollen. Ebenso möchten alle Kandidaten den Ausbau des schnellen Internets voranbringen, wiewohl sich hier Unterschiede zeigten. Während Jessica Tatti (Die Linke) den Grund für den schleppenden Ausbau des Breitbandnetzes in der Privatisierung der Telekom sieht, plädierte Beate Müller-Gemmeke dafür, die Digitalisierung mit jenem Geld voranzutreiben, das der Bund mit dem Verkauf seiner verbliebenen T-Aktien einnimmt.
Wie kontrovers sozial- und arbeitspolitische Fragen in den politischen Lagern gesehen werden, zeigte sich beim ersten Themenkomplex, zu dem die Moderatoren, Peter Kiedaisch (Redaktionsleiter des Metzinger Volksblatts, der Reutlinger Nachrichten und des Alb Bote) und Redakteurin Christina Hölz, die Kandidaten befragten. Michael Donth (CDU) möchte die Debatte um die Zukunft der Rente mit dem Verweis auf eine bis 2030 bestehende Regelung aus den „hektischen Diskussionen im Wahlkampf“ heraushalten. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre schloss er für die kommenden vier Jahre aus.
Jessica Tatti verlangte, das Rentenniveau auf 53 Prozent anzuheben: „Die Rente muss wieder existenzsichernd sein.“  Ebenso gelte es, zur paritätischen Finanzierung zurückzukehren. Wichtig sei überdies, den Mindestlohn zu erhöhen. 40 Prozent der Deutschen hätten heute weniger Geld zur Verfügung als noch 1990. „Das ist keine Minderheit.“ Michael Donth konterte: „Vielen Deutschen geht es heute gut.“ Auch weil es gelungen sei, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren.
Pascal Kober (FDP) gab zu bedenken, dass viel Geld erforderlich sei, um das Rentenniveau generell anzuheben. Bezahlen lasse sich ein solcher Schritt entweder über höhere Steuern oder über höhere Beiträge. „Natürlich brauchen wir eine Garantierente“, widersprach Beate Müller-Gemmeke. Wer ein Leben lang gearbeitet habe, der dürfe nicht der Altersarmut überlassen werden. Sie sieht keine Probleme darin, das nötige Geld bereit zu stellen: „Deutschland besteuert hohe Vermögen im Moment sehr gering.“ AfD-Kandidat Wolfram Hirt sieht das Rentenniveau auch wegen prekärer Arbeitsverhältnisse bedroht. Er forderte, die Höhe der Rente an die  Lebensarbeitszeit zu koppeln. Rebecca Hummel (SPD) erinnerte an das Problem der versteckten Altersarmut: „Wer ein Leben lang gearbeitet hat, dem fällt der Weg aufs Sozialamt nicht leicht.“ Sie verwies allerdings auch auf Erfolge der Regierung auf dem Feld der Sozialpolitik: „Wir haben schon einiges geschafft.“ Jetzt gehe es um die Frage, wie ein reiches Land wie Deutschland den Wohlstand verteile.
Wer heutzutage ins Auto steigt, der findet sich häufig im Stau wieder. Um dieses Problem zu entschärfen, schlägt Wolfram Hirt vor, den Landkreis Reutlingen ans Stuttgarter S-Bahn-Netz anzubinden. Außerdem möchte er Genehmigungsverfahren abkürzen, damit es mit dem Straßen- und Schienenausbau schneller vorangeht. Michael Donth verwies auf das „gigantische Projekt“ das die Regierung mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 auf den Weg gebracht hat. 140 Milliarden Euro stünden für den Ausbau von Schiene und Straße bereit. Zudem gelte es, die Zuverlässigkeit des Schienenverkehrs zu verbessern, um den Verkehr auf der Straße zu reduzieren.
Angesprochen auf die 600 000 Arbeitsplätze, die an der deutschen Autoindustrie hängen, verwies Beate Müller-Gemmeke auf die weltweite Entwicklung. Überall werde das Ende des Verbrennungsmotors vorangetrieben: „Jetzt entscheidet sich, wo diese Autos gebaut werden.“ Rebecca Hummel will das Potenzial, das in der neuen E-Mobilität steckt, für die Region erschließen: „Wir wissen, wie man Batterien baut, die Energie speichern.“
Ein generelles Tempolimit hält Pascal Kober nur für denkbar, wenn sich dadurch die Zahl der Unfalltoten reduzieren ließe. Generell sei seine Partei gegen einen ständig kontrollierenden Staat. Dieser solle sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Auf keinen Fall, sagt Jessica Tatti, dürfe Strom aus Braunkohle die E-Auto-Flotte auf deutschen Straßen antreiben.
Zahlreiche Leser unserer Zeitung hatten im Vorfeld die Chance genutzt, ihre Anliegen an die Kandidaten zu formulieren. Wolfram Hirt wurde gefragt, warum er sich nicht von „ausländerfeindlichen und menschenverachtenden Aussagen einiger Parteikollegen distanziert“. Das, so Hirt, passiere doch. Es liefen Parteiausschlussverfahren. Er selbst mochte sich am Dienstag nicht von den Aussagen Alexander Gaulands distanzieren.
Nach Afghanistan gefragt, hielten es Donth und Kober für vertretbar, Asylbewerber in dieses Land abzuschieben. Dort gebe es sichere Zonen. Eine Bürgerversicherung wollen Grüne, Linke und Sozialdemokraten einführen. Pascal Kober und Michael Donth sind für das bewährte System.

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Zuhörer waren am Dienstag beim Wahlpodium der SÜDWEST PRESSE. Die Kandidaten Michael Donth, Rebecca Hummel, Jessica Tatti, Beate Müller-Gemmeke, Pascal Kober und Wolfram Hirt stellten sich der Debatte.