Von der Straße aus ist das in Balingen derzeit kritisch beäugte Objekt kaum zu sehen: Am westlichen Ausläufer der Kernstadt liegt das Gebäude im Engelestäle inmitten einer üppig bewaldeten Fläche. Die Eigentümerin ist keine Unbekannte, sondern Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Dass das Forsthaus seit Dienstag plötzlich die Gemüter erregt, ist die Folge eines anonym veröffentlichten Videos, das am 21. Februar auf dem Youtube-Kanal „Wasteland Wildfire“ erschien und seitdem offenbar vielfach über WhatsApp verbreitet wurde.
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Dem Video hat der Produzent – nach eigenem Bekunden selbst Balinger und von der jüngsten Grundsteuerreform betroffen – eine Beschreibung beigefügt: „Die Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg, Frau Dr. Hoffmeister-Kraut, wohnt in einem ansehnlichen Anwesen etwa eine Stunde südlich der Hauptstadt. Für diese Luxusvilla kostet die Grundsteuer nach der Neuberechnung anscheinend weniger als 25 Euro pro Jahr? Das kann man schon mal komisch finden.“

Grundsteuer Nicole Hoffmeister-Kraut: Youtuber zeigt Adresse

Der Zuschauer kann mitverfolgen, wie der Unbekannte unter Zuhilfenahme von Google-Maps zunächst auf dem Auskunftsportal für die aktualisierten Bodenrichtwerte (Boris-BW) und anschließend mit einem Online-Tool zur Grundsteuerberechnung versucht, die Hoffmeister-Kraut drohende Steuerlast zu ermitteln. In Boris-BW ist die Fläche von 8012 Quadratmeter als forstwirtschaftlich und nicht erschlossen deklariert, hierfür hatte der zuständige Gutachterausschuss im Zuge der Neubewertungen 60 Cent pro Quadratmeter festgelegt.
Der Videourheber verweist auf das unmittelbar südöstlich angrenzende Grundstück, für das pro Quadratmeter 305 Euro bestimmt wurden. Am Ende der Berechnungen stehen 25 Euro Steuer, die Hoffmeister-Kraut jährlich zu zahlen hätte, und ein Fazit, das die Ungerechtigkeit der Besteuerung beklagt. Was also soll man nun auf dieses Video geben?

Wo das Video über Hoffmeister-Kraut sachlich korrekt ist

Sachlich ist der Inhalt mit einer Ausnahme korrekt: Für seine Berechnungen hat der Urheber einen Hebesatz von 380 Prozent angenommen. Dabei handelt es sich um den aktuellen Wert, der aber durch den Gemeinderat und die Verwaltung neu bestimmt werden muss. Frühestens bekannt werden die Hebesätze der Gemeinden und Städte Ende 2024. Aktuell gilt das Versprechen, dass die anfallende Gesamtsteuer aus allen Haushalten die bisherigen Einnahmen nicht übersteigen sollen. Oder anders gesagt: Die einen werden bald mehr, die anderen weniger zahlen. Die neuen Werte aber mit dem alten Hebesatz zu verknüpfen, ist Kokolores.
Dennoch hat der Produzent seinen Finger in eine offene Wunde gelegt: Würde tatsächlich ein Bodenrichtwert von 60 Cent Anwendung finden, müsste man von einem veritablen Skandal sprechen, weil das Forststück im nordwestlichen Bereich großzügig bebaut wurde. Nicole Hoffmeister-Kraut war am Mittwochnachmittag nicht zu erreichen, Balingens Bürgermeister Emilio Verrengia indes erklärte, dass die Bebauung im Außenbereich nach Paragraph 35 BauGB völlig korrekt abgelaufen sei. Trotzdem will der Gutachterausschuss im Zuge allgemeiner Korrekturen reagieren. Für die Bestimmung der Bodenrichtwertzonen hatte man auf Bebauungs- und Flächennutzungspläne zurückgegriffen. Weil auf die Behörden bezüglich dieser Abgrenzungen und den damit einhergehenden Richtwerten dermaßen viele Einsprüche herniederprasselten, ermöglichte die Oberfinanzdirektion Karlsruhe allen baden-württembergischen Gutachterausschüssen bis zum 28. Februar, Korrekturen an den Zonen vorzunehmen.

Grundstück in Balingen teilweise bebaut

Eine gerechte Bewertung – das scheint das wesentliche Anliegen des Videourhebers zu sein – wäre im Fall des Grundstücks im Engelestäle eine Teilung der Fläche. Gegenüber unserer Zeitung äußerte Günter Braun, Leiter des Gemeinsamen Gutachterausschusses Mittelbereich Balingen, dass man bei der Neubewertung schlicht übersehen habe, dass das Grundstück in Teilen nicht mehr die Qualität einer forstwirtschaftlichen Fläche habe. Laut Braun werde der mit einem Wohnbau versehene Teil neu bewertet, laut Bürgermeister Verrengia werde sich der Betrag pro Quadratmeter wie auch bei den benachbarten Grundstücken dann auf 305 Euro belaufen.
„Ich finde das grundsätzlich sehr ärgerlich, dass Leute wie Frau Dr. Hoffmeister-Kraut Gesetze beschließen, […] sodass es für viele Leute hinterher doch deutlich teurer wird, und sie dann selbst überhaupt nicht betroffen sind.“ So lautet es zum Schluss des achtminütigen Videos, das sich zwar auf Hoffmeister-Kraut fixiert, zugleich aber einen massiven Verdruss über mangelnde Integrität von Amtsträgern artikuliert.