Es ist still – aber nicht windstill. Der Himmel ist blau und wolkenlos. An einen Baum, mit dem eine Allee zwischen zwei Feldern beginnt, ist ein laminiertes Blatt Papier gebunden. Darauf ist eine Friedenstaube gemalt. Das Bild hängt schon länger auf dem Waldhof bei Geislingen. „Ein Paradies“, nennt Annemarie Schneider die Felder mitsamt des alten Bauernhofes und des leerstehenden Wohnhauses. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was das Land hier vorhat.“ Ein Absetzgelände mit Landebahn für das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und US-Streitkräfte, das hat das Land Baden-Württemberg auf dem Waldhof vor. Im März vergangenen Jahres wurde das bekannt gegeben.
KSK Absprunggelände auf dem Waldhof bei Geislingen?
Bisher fanden die Fallschirm-Übungssprünge und die Übungen zum Absetzen von Lasten aus Flugzeugen des in Calw stationierten KSK auf dem Absprunggelände Renningen-Malmsheim bei Böblingen statt. Weil dort die Firma Bosch ihr Forschungs- und Entwicklungszentrum ausbauen möchte, braucht es ein neues Absetzgelände. Mit der Suche wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Landes und des Bundes beauftragt. Seitens des Landes war darin unter anderen das Staatsministerium Baden-Württemberg vertreten.
„Zu Beginn der umfangreichen Suche wurden mehr als 100 Gelände dahingehend überprüft, ob sie sich militärisch eignen“, teilt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage mit. „41 davon kamen in die engere Wahl.“ Schon damals habe der Standort Waldhof an erster Stelle gestanden, so die Sprecherin. Trotzdem wurde als Ersatzgelände zunächst der Standort Haiterbach-Nagold vorgesehen, heißt es weiter. Der Grund: Haiterbach sei weniger weit entfernt von Calw. In Haiterbach gelang es aber nicht, die notwendigen Grundstücke zu kaufen, Enteignungen wurden abgelehnt.
Entfernungsradius zu Calw wurde erweitert
Der Waldhof kam wieder ins Gespräch. Laut eines Sprechers des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBW) wurde daraufhin der infrage kommende Entfernungsradius erweitert. „In diesem neuen Entfernungsradius ist die Staatsdomäne Waldhof die unter fachlichen Kriterien am besten geeignete Fläche“, so der Sprecher. Aus dem baden-württembergischen Staatsministerium heißt es: „Durch Änderungen von Ausbildungsinhalten bei der Bundeswehr konnte nun auch der weiter entfernt liegende Waldhof in den Fokus genommen werden.“
Enteignungen wie am Standort Haiterbach-Nagold sind dort nicht nötig. „Das Land gehört dem Land“, sagt Annemarie Schneider. Es ist ein Satz, der in den vergangenen Monaten oft gefallen ist, wie sie erzählt. Schneider ist pensionierte Lehrerin und engagiert sich in der Bürgerinitiative Waldhof, macht dort die Öffentlichkeitsarbeit. Die Initiative mit inzwischen 800 Mitgliedern will das Absetzgelände verhindern.
Postkarten-Aktion: „Ich will kein Flugplatz werden“
Im Sommer 2022 schickten 1500 Bürgerinnen und Bürger Postkarten mit der Aufschrift „Ich will kein Flugplatz werden“ an den Ministerpräsidenten. Dass Winfried Kretschmann auf diese Briefe und Aktionen nie selbst antwortet, ärgert die Initiative. Und noch mehr, dass er in einem Zeitungsinterview den Widerstand gegen das geplante Übungsgelände als „kollektiven Aufstand“ bezeichnete. Beim jüngsten Gedankenaustausch der Bürgerinitiative mit den Bürgermeistern und Ortsvorstehern am 8. Februar war man sich einig: „Wir empfinden das alle so, dass wir immer nur vom Staatsministerium Antworten bekommen und nie von Kretschmann persönlich“, sagt Schneider.
Auf die Postkartenaktion antwortete Staatsminister Florian Stegmann. Er schreibt: „Die Staatsdomäne Waldhof erfüllt grundsätzlich die Anforderungen an ein Absetzgelände und ein solches brächte dort im Vergleich zu allen anderen möglichen Standorten die geringsten Auswirkungen auf die Umwelt mit sich.“ Auf die Frage, welche Auswirkungen das sind, gibt das Staatsministerium keine Antwort: „Die konkret zu erwartenden Auswirkungen auf die Umwelt sind derzeit Gegenstand von fachlichen Untersuchungen, deren Ergebnis nicht vorgegriffen werden kann.“
Die Bürgerinitiative hingegen weist auf Auswirkungen auf die Umwelt hin. „Alles kommt hier weg“, sagt Schneider und deutet auf die Felder um sich. „Der Radweg kommt weg, die ganze Allee fällt weg, die Hecken kommen weg.“ Es handle sich bei den Feldern aber um bestes Ackerland. Die Senken und Unebenheiten auf den Feldern müssten ausgeglichen werden. Asphaltiert werden muss das Gelände nicht, es braucht aber eine befestigte und verdichtete Start- und Landebahn aus Gras. Im Boden, so Schneider, liegen jedoch archäologische Schätze aus der Jungsteinzeit bis zur Zeit der Alemannen. Eine Antwort hierzu steht noch aus – das Landesdenkmalamt gab die Anfrage der Bürgerinitiative an das Ministerium für Wohnen und Landesentwicklung weiter.
Offene Fragen: Wurde der Wind geprüft?
Für die Initiative sind weitere Fragen offen. Zum Beispiel die Windfrage. „Es war nicht eine einzige Windmessung hier oben“, sagt Schneider. Und selbst dann, wenn an einem Übungstag vorab der Wind gemessen würde und es windstill ist, dann könne es, sobald die Flieger in der Luft sind, anders sein. „Der Wind wechselt hier oben ständig“, sagt Schneider. Die Initiative befürchtet, dass das Absetzgelände gebaut wird und dann stillsteht, weil nicht gesprungen werden kann.
Laut des Sprechers des BAIUDBW wurde die Frage der Windgeschwindigkeit geprüft. „Diese schließt eine Nutzung der Staatsdomäne Waldhof für den Sprungdienst nicht aus“, so der Sprecher: „Es ist zu berücksichtigen, dass Windgeschwindigkeiten im Laufe des Tages mehrfach Veränderungen unterliegen, sodass sich auch bei höheren Winddurchschnittsgeschwindigkeiten in der Regel mehrere Sprungzeiträume während eines Sprungtages ergeben.“
An wie vielen Tagen im Jahr gesprungen werden könnte, ist unklar. Laut dem Beteiligungsportal Baden-Württemberg, in dem das Land über das Vorhaben berichtet, werden für das KSK und die US-Streitkräfte im Jahr jeweils 60 Übungstage auf dem Waldhof prognostiziert – also zusammen 120 Flugtage. Zunächst verstand die Bürgerinitiative dies als eine Obergrenze. „In der letzten Bürgersprechstunde des Staatsministeriums wurde gesagt, dass das nur prognostiziert sei“, sagt Schneider. „Und wenn das Land dann erst mal an den Bund verkauft ist, dann könne das auch 365 Tage genutzt werden.“
Aus dem Staatsministerium heißt es hierzu, dass die prognostizierten 120 Nutzungstage keine Obergrenze darstellen. „Hintergrund ist nicht, dass derzeit Pläne bestehen, das Gelände an mehr als 120 Tagen zu nutzen, sondern dass das Land verpflichtet ist, ein Gelände mit denselben Nutzungsmöglichkeiten bereitzustellen, wie dies bei dem Gelände in Renningen bereits der Fall ist. Dort besteht keine Obergrenze.“ Vom Sprecher des BAIUDBW heißt es hingegen, dass nicht mehr als 120 Flugtage zu befürchten seien: „Die luftrechtliche Genehmigung, die auf der Prognose basiert, dass an höchstens 120 Tagen militärischer Flugbetrieb stattfinden kann, ist verbindliche Rechtsgrundlage für den so definierten künftigen Betrieb, sodass darüber hinausgehender Flugbetrieb nicht stattfinden kann.“
Auswirkung auf Landwirtschaft: Panische Tiere und Geldverlust?
Annemarie Schneider steht in der Sonne auf dem Waldhof. Ein Auto fährt durch die Allee auf sie zu. Es bremst, der Fahrer lässt die Scheibe herunter und grüßt. Es ist Ulrich Steimle. Der Landwirt bewirtschaftet die Felder des Waldhofs. Sein Betrieb ist in Dormettingen, die Waldhof-Flächen hat er als Ausgleich für wegen des dortigen Schieferabbaus wegfallender Flächen erhalten. „Das war natürlich ein adäquater Ausgleich für uns“, sagt Steimle. „Wenn das jetzt auch wegfällt, dann fehlt uns viel Fläche.“ Steimles Kinder wollen in der Landwirtschaft arbeiten. „Ohne Fläche hier ist das schwierig.“
Was er und weitere Landwirte der umliegenden Höfe befürchten: „Wenn die Soldaten abspringen möchten, dann muss schönes Wetter sein. Aber bei schönem Wetter möchte der Landwirt auch aufs Feld“, sagt Steimle. Zur Ernte oder zum Düngen. Dafür leihen sich die Landwirte Geräte, zum Beispiel einen Häcksler. „Der kostet auf die Stunde 250 Euro. Und dann braucht es noch Traktoren mit Anhänger, die auch nochmal zwischen 50 und 60 Euro pro Stunde kosten.“ Ruckzuck sei man bei 600 Euro Mietkosten pro Stunde. Werde auf dem Waldhof gesprungen, könnten landwirtschaftliche Wege gesperrt werden. „Wenn man da mal eine halbe Stunde nicht fährt, ist das ein Verlust von 300 Euro.“
Was das Absetzgelände auf dem Waldhof kosten würde, ist noch unklar. Aktuell laufen Untersuchungen auf der Fläche. Es wird zum Beispiel ein Lärmgutachten erstellt. Die Bürgerinitiative ist der Meinung, die Auswirkungen seien enorm, vor allem für die Tiere der umliegenden Höfe. Bei einer Flugvorführung im vergangenen Sommer habe man beobachtet, wie die Hühner panisch in den Stall rannten, wenn geflogen wird. „Sie fallen dann übereinander“, sagt Schneider. „Dann gibt es bis hin zu Todesfällen ziemliche Ausfälle.“ Aus dem Staatsministerium heißt es schon jetzt: „Nach vorläufiger Einschätzung ist zu erwarten, dass die Belastungen unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen.“
Die Bürgerinitiative bereitet nun eine Informationsveranstaltung in der Schlossparkhalle in Geislingen vor. Der Termin dafür steht noch nicht fest. Was auch noch aussteht: der Scoping-Termin. „Das ist die Gelegenheit, bei der Umweltverbände und auch die Bürgerinitiative ihre Sorgen äußern können“, sagt Schneider. Ans Aufgeben denkt die Initiative nicht. Trotz der vielen Arbeit, die „schon belastet“. Aber müde sind sie und Steimle nicht, auch wenn sich das Verfahren bald ein Jahr zieht. „Überhaupt nicht, im Gegenteil“, sagt Steimle. „Je mehr Zeit wir haben, umso besser“, sagt Schneider. „Wir müssen positiv denken, oder Annemarie?“, fragt Steimle. Schneiders Antwort ist kurz und klar: „Ja.“
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Flächen kamen in die engere Wahl für das Absetzgelände. Sie wurden alle näher überprüft, heißt es aus dem Staatsministerium. Der Waldhof blieb letztlich übrig.
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