Mehr als 44 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Zollernalbkreis sind ersetzbar. Oder substituierbar, wie Dr. Rüdiger Wapler sagt. „Der digitale Wandel betrifft fast alle von uns. Egal, in welcher Branche wir arbeiten.“ Für viele Kerntätigkeiten der Berufstätigen gibt es eine Maschine oder eine Technik, die diese Arbeit mindestens gleich gut erfüllen kann. Das ist die harte Wahrheit, die der Experte am Donnerstag in Albstadt-Ebingen vorstellte.
Wapler ist Diplom-Volkswirt und Experte für Beschäftigungsprognosen. Als Mitarbeiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wurde er vom Netzwerk für berufliche Fortbildung Neckar-Alb in die Deutsche Angestellten Akademie (DAA) in Albstadt eingeladen, um über die „Arbeit der Zukunft“ zu referieren. Wie wirkt sich der Strukturwandel und die Digitalisierung auf Berufe aus und welche Rolle nehmen in dieser Folge berufliche Weiterbildungen ein?

Tätigkeit könnte zu 70 Prozent von Maschine übernommen werden

Denn diese unterschiedlichen Aspekte stehen in direkter Abhängigkeit. „In Bereichen, in denen es eine marktreife Technik als Ersatz für menschliche Arbeitskraft gibt, müssen sich die Beschäftigten weiterbilden, um auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben“, sagt Wapler. Nicht nur im Zollernalbkreis ist mehr als ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ziemlich ersetzbar, sondern in ganz Baden-Württemberg und in ganz Deutschland. Das IAB ermittelt in dieser Statistik für das industriestarke, aber somit auch industrieabhängige Ländle einen Wert von 36,8 Prozent – gemeinsam mit Thüringen und Rheinland-Pfalz der höchste Wert.
„Substituierbar“ beutetet dabei, dass die Kerntätigkeit zu mindestens 70 Prozent auch von einer Maschine übernommen werden könnte. „Das bedeutet aber nicht, dass diese Jobs alle gefährdet sind“, betont Wapler. Es bedeutet vielmehr, „dass diese Berufswelt mit dem technischen Fortschritt mithält und die Beschäftigten neue Tätigkeiten ausüben, die eben nicht durch eine Technik ersetzbar sind“. Routine ist dabei schlecht. Stattdessen brauchen Jobs analytische, beratende und kreative Fähigkeiten – eben Fähigkeiten, „bei denen der Mensch den Maschinen haushoch überlegen ist“.

Fachkräftemangel als Motor für Digitalisierung

Aufgeschlüsselt auf Berufssegmente lässt sich grob zusammenfassen: Je höher der Bildungsgrad, desto weniger ist die menschliche Expertise ersetzbar. Doch gerade Hilfs- und Fachkräfte müssen sich an neue Arbeitsbedingungen, beziehungsweise neue Aufgaben anpassen. Als Fachkraft gilt dabei auch der Industriemechaniker oder die Pflegerin. Doch wie passt das zusammen? Fachkräftemangel in vielen Branchen wie eben der Pflege und gleichzeitig eine höhere Stufe der Ersetzbarkeit? „Der Fachkräftemangel kann ein Motor für technische Innovation sein“, sagt Dr. Rüdiger Wapler. „Dort, wo viel Bedarf ist, gibt es auch das größte Potenzial. Und eine Hoffnung ist ja auch, den Fachkräftemangel durch Digitalisierung auffangen zu können.“ Wie sehr eine Tätigkeit in der Theorie ersetzbar ist, hat folglich nicht unbedingt damit zu tun, wie ersetzbar die Fachkraft an sich ist.
Das zeigt sich auch einem Ausblick des IAB. Denn die Branche mit dem größten Stellenaufbau ist das Gesundheitswesen. Dort, so die Prognose, werden bis 2040 etwa 90 000 Stellen mehr benötigt. Dicht gefolgt: das Segment Erziehung und Unterricht mit 70 000 Stellen. Einen Stellenabbau erwartet der IAB-Forschungsbericht für den Fahrzeugbau (Minus 40 000 Stellen), ebenso für Finanz- und Versicherungsdienstleister.

Die Anforderungen an jeden Arbeiter steigen

Dass die Digitalisierung eine Erleichterung für Beschäftigte sein sollte, darüber konnten die Anwesenden des Vortrags – Vertreter der Arbeitsagentur und weiterer Weiterbildungsträger – nur schmunzeln. Und diesen Eindruck bestätigte Wapler. „Die Anforderungen an alle Arbeitnehmer steigen. Nicht trotz, sondern wegen der Digitalisierung.“
Weiterbildungen können eine Lösung sein – und das benötigt nicht immer einen umfangreichen Kurs. „Kurze und kleine Fortbildungen werden an Bedeutung gewinnen.“ Doch gerade da wirkt sich die Corona-Pandemie als erhebliche Bremse aus. Deutlich weniger Arbeitgeber setzen sich für die berufliche Weiterbildung der Mitarbeiter ein. „Und vom Ministerium ist nicht einmal gewünscht, dass wir für die Angebote werben“, sagt Petra Kriegeskorte, Regionalleiterin des Netzwerks Fortbildung für die Landkreise Reutlingen/Tübingen und Zollernalb.
Dabei ist das für sehr viele Beschäftigten im Fachkräftesegment enorm wichtig. Denn obwohl nicht jeder Job gefährdet ist, sagt Wapler: „Wenn ich eine Fachkraft beispielsweise im Bankenbereich wäre, würde ich mich um zeitnah um eine Weiterbildung kümmern.“

Info Die Analyse des IAB basiert auf Zahlen einer Erhebung von 2019. Die neuen Werte sollen Ende dieses Jahres vorliegen. Experte Dr. Rüdiger Wapler geht jedoch davon aus, dass sich die bereits in den Zahlen von 2019 erkennbaren Trends auch in den Zahlen 2022 fortsetzen. Wer sich selbst über die Zukunft seiner Branche informieren möchte, findet unter www.job-futuromat.iab.de Prognosen.

Neue Weiterbildungsbroschüre im ZAK verteilt

Das Regionalbüro Neckar-Alb der Netzwerke für berufliche Fortbildung der Landkreise Zollernalb und Reutlingen/Tübingen hat in dieser Woche die Weiterbildungsbroschüre „Fit durch Fortbildung 2023“ in einer Auflage von 80 000 an alle Haushalte im Zollernalbkreis verteilt.
Die Weiterbildungs-Beratung des Regionalbüros Neckar-Alb dient zur ersten Orientierung, ist kostenfrei und trägerneutral. Die insgesamt 17 Regionalbüros in Baden-Württemberg werden vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg finanziert.
In der Stadtbücherei Albstadt (Johannesstraße 5) gibt es an den Dienstagen 18. April, 23. Mai und 4. Juli jeweils von 12 bis 15 Uhr einen Informationsstand mit Beratungsangebot.
Im Rathaus in Balingen (Färberstraße 2) gibt es dieses Angebot an den Dienstagen 2. Mai und 13. Juni, ebenfalls von 12 bis 15 Uhr.
Zudem ist das Netzwerk Fortbildung, Regionalbüro Neckar-Alb, am Donnerstag, 15. Juni, von 12 bis 15 Uhr bei der VHS Hechingen (Münzgasse 4) vor Ort.