Kinder, die ständig getragen werden, können sich später nicht abnabeln. Schwangere sollten das Geschwisterkind nicht hochheben. Mit Kaiserschnitt darf man sein Baby nicht tragen. Wenn das Baby in der Trage ständig schläft, schläft es nachts nicht mehr. Die Vorurteile gegenüber des Tragens von Babys mit Tragehilfen wie Tüchern halten sich hartnäckig. Doch immer mehr Eltern sind von den Vorteilen überzeugt.
Dr. Agnetha Kapeller ist eine von ihnen. „Ich wollte meine Kinder immer bei mir haben“, sagt die Zweifachmama über die ursprünglichen Beweggründe. Während ihr beim ersten Kind eine erfahrene Freundin beim Anlegen der Tragehilfen half, begann sie bei der zweiten Schwangerschaft eine Ausbildung zur Trageberaterin (siehe Infokasten). Denn oft liegt es am falschen Anlegen, dass sich Frust sowohl bei den Eltern als auch beim Kind bildet. „Das Tragen ist auf jeden Fall gesundheitsfördernde Alternative zum Kinderwagenschieben oder es im Kindersitz zu tragen“, ist sie überzeugt.

Ergonomisches Tragen

Als Ärztin legt die Straßbergerin viel Wert auf das ergonomische Tragen. „Wichtig ist, dass die Kinder gesund getragen werden und die Eltern gesund tragen – ohne Rückenleiden.“ Denn, da ist die Trageberaterin ehrlich, Tragen, ob mit oder ohne Hilfe ist auf Dauer immer anstrengend. Wenn dann noch die Trage nicht richtig sitzt, dann wirkt sich das aufs Gemüt der Eltern aus und damit auch aufs Kind, weiß Kapeller. Ohne professionelle Beratung wird dann schnell das Urteil gefällt: Tragen ist nichts für uns.
Ein weiterer Faktor, der manche Eltern abschreckt, sind die vermeintlich hohen Kosten. Tragehilfen können je nach Marke und Ausführung mehrere 100 Euro kosten. Oft bleibt es nicht nur bei einer. Kommt dann noch die Beratung dazu, summieren sich die Kosten. „Es ist noch sehr in den Köpfen drin, dass eine solche Beratung nicht benötigt wird und, dass man dafür dann auch noch Geld bezahlen muss.“
Dabei sei es selbstverständlich, für einen Kinderwagen mehrere 100 Euro auszugeben, setzt Kapeller eine Beratungseinheit in Relation. Denn oft reicht bereits ein Termin. Danach bekommen die Eltern Videos mit Schritt-für-Schritt-Anleitung mit nach Hause. „Wenn dann noch Fragen sind, kann man sich wieder bei mir melden. Oft ist es aber mit einem Telefonat und einigen Fotos getan.“ Wer es sich beispielsweise durch YouTube-Anleitungen selbst beibringt, braucht meist länger. Das fördert nicht nur die Unzufriedenheit, sondern auch den Frust über das Tragen. „Ich habe selbst gemerkt, dass ich es mit professioneller Hilfe viel schneller gelernt hatte.“

Kostengünstige Trage-Alternativen

Hier sollte nicht gespart werden. Bei den notwendigen Tüchern und Tragen hingegen gibt es Einsparpotenzial, so die Straßbergerin. So sind auch gebrauchte Tragetücher oder Tragehilfen eine kostengünstige Alternative, rät sie ihren Klienten. Waschbar müssen sie ohnehin sein. „Die Tücher werden schöner, je mehr sie genutzt werden.“ Das liegt beispielsweise daran, dass sich die Fasern nach dem Waschen öffnen und sie eingetragen sind. „Es gibt für jeden Geldbeutel etwas.“ Für Kapeller ist eine Eigenschaft allerdings unabdingbar: die schadstofffreie Herstellung. Die Kinder nuckeln beispielsweise daran und haben gerade mit dem Gesicht viel Kontakt zu den Materialien.
Wie verhält es sich mit der Größe? Viele Systeme können ohne Probleme von beiden Elternteilen genutzt werden und wachsen mit dem Kind mit. Bei Tüchern sei das sowieso kein Problem, da kommt es nur auf die Länge und Bindeweise an. Bei Tragen kann die Größe jedoch entscheidend sein. „Es gibt Hersteller, die Einheitsgrößen haben. Diese Tragen sind unter Umständen für ein zierliches Baby zu groß.“ Da sei es hilfreich zu wissen, woran man eine gutsitzende Trage erkennt und wie sich diese richtig einstellen lässt. Genau für solche Tipps lohnt sich eine Beratung, sagt Kapeller.

Der richtige Sitz

„Ich schaue beispielsweise, ob der Steg, also die Stofffläche, auf der das Kind sitzt, größengerecht ist.“ Oder ob die Tragehilfe zu locker sitzt. „Wenn das Kind zu viel Platz hat, fühlt es sich beim Vorbeugen wie losgelassen“, erklärt die Beraterin. „Neugeborene kennen die Enge aus dem Mutterleib und brauchen diese Nähe und Geborgenheit.“
Durch die aufrechte Haltung des Kindes beim Tragen werde zudem der Gleichgewichtssinn mehr gefördert als beim Liegen, so auch die Entwicklung des Knochengerüsts. „Am Körper der Eltern werden außerdem alle Sinne des Kindes bedient. Über so viele Umgebungsreize wird es gefordert und gefördert“, nennt die Beraterin weiter Vorteile. „Das ist der Ort, an dem das Kind sich nach der Geburt oftmals am wohlsten fühlt: an Mutter oder Vater dran.“ Beim Tragen können auch die Väter ihre Bindung zum Kind stärken. „Man nennt es auch das Stillen der Väter.“
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, mit der Etablierung des Kinderwagens, war es auch in Deutschland üblich, Kinder in Tüchern zu tragen. In vielen Kulturen ist es auch heute noch der einzige Weg, Kinder zu transportieren. Auch für die Eltern hat es Vorteile: „Man hat die Hände frei und verpasst trotzdem nichts von der Entwicklung.“

Sicherheit und Routine

Doch wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Beratung? Vor oder nach der Geburt? Für Agnetha Kapeller gibt es diesbezüglich keine Regel. Sie möchte ihren Kunden ermöglichen, das Baby so bald als möglich nach der Geburt zu tragen. Eine Beratung schon vor der Geburt kann daher Sicherheit und Routine ermöglichen. „Zudem gibt es Schwangerschaftsbindeweisen, die beispielsweise den Rücken entlasten“, sagt sie über Tücher. Bei den restlichen Systemen gebe es eine große Auswahl, die sich schon für Neugeborene eignen, aber nicht alle passen auch für zartere Babys. Die Masse an Auswahl kann für viele erstmal überfordernd sein. Auch hier kann eine Trageberaterin unterstützen, so Kapeller. Denn wenn es kompliziert ist, wird es häufig nicht genutzt.

Ausbildung zur Trageberaterin

2018 hat Dr. Agnetha Kapeller die Ausbildung zur Trageberaterin begonnen und 2019 ihre Prüfung an der Trageschule Hamburg abgelegt. Dabei gibt es verschiedene Ausbildungen, teils auch nur Wochenendkurse ohne Prüfung. „Mir war es im Vorfeld wichtig, eine Schule auszusuchen, die regelmäßig requalifiziert.“ Das ist bei der Hamburger Schule gegeben.
Den Bedarf sieht sie in ihrer Heimat gegeben: „Auf der Alb gibt es nicht so viele Trageberaterinnen.“ Kontakte zu Hebammen bestätigten dies, sagt die Trageberaterin aus Straßberg.