Drei Tage diskutieren Experten in Goslar über Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit. Fachleute aus Justiz, Wissenschaft, Behörden und Verbänden nehmen sich „Details“ an – unter anderem über die Promillegrenze für E-Scooter-Fahrer. Während Anbietern von Leih-Scootern vor allem in Großstädten schon mehrere Jahre ihre umstrittenen Gefährte anbieten, sind sie im Zollernalbkreis eine Seltenheit. Nur wer sich privat einen solchen Flitzer kauft, cruist damit durch die Straßen. Dabei hätten die beiden großen Städte im Kreis durchaus Interesse an einem Leihsystem.
„Die Stadtverwaltung beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit den verschiedenen Verleihsystemen der E-Scooter und hatte auch schon mit mehreren Anbietern Kontakt“, bestätigt Jana Rödder von der Albstädter Verkehrsplanung. Man könne sich ein Leihsystem durchaus vorstellen. Ähnlich klingt das in der Balinger Stadtverwaltung. „Sofern ein Anbieter für Leih-E-Scooter in Balingen seine Dienstleistungen anbieten wollte, wäre dies durchaus vorstellbar.“
Ist die Skepsis berechtigt?
Doch es bleibt eben eine gewisse Skepsis. Immer wieder landen Leih-E-Scooter in Flüssen und Bächen oder blockieren Gehwege, weil manche Nutzer sie einfach dort abstellen, wo es ihnen beliebt. Das lässt auch die beiden Städte zögern. „Der passende Anbieter sollte Lösungen für die allseits bekannten Probleme der E-Scooter bieten können, was vor allem falsch abgestellte und umkippende Scooter im öffentlichen Raum betrifft, die vor allem Fußgänger behindern oder gefährden“, sagt Jana Rödder.
Um Konflikte oder gar Unfälle zu vermeiden, sollte ein Leihsystem genau das verhindern und gleichzeitig aber weiterhin für die Fahrerinnen und Fahrer unkompliziert sein. Denn, so Rödder: „Richtig positioniert und eingesetzt können die Scooter auf kurzen Wegen eine echte Alternative zum Autoverkehr werden. Doch auch hier sollte von einem möglichen Anbieter sichergestellt werden, dass die Höhenlagen in die Wohngebiete bewältigt werden können, ohne dass nach dem Anstieg der Akku erschöpft ist und die Scooter dann ungenutzt im Wohngebiet stehen.“
Überwiegend positive Erfahrungen in Reutlingen
Es gelte somit viele Aspekte zu beachten. Doch was ist überhaupt dran an der Kritik, viele E-Scooterfahrer seien rücksichtslos und die Fahrzeuge landen in Büschen und Bächen? In Reutlingen werden seit etwa zwei Jahren Leih-E-Scooter angeboten – zunächst von dem deutschen Anbieter „Tier“. Es folgte in kurzer Zeit drei weitere. Gerhard Lude, Leiter der Verkehrsabteilung beim Reutlinger Amt für Stadtentwicklung, sieht die E-Scooter zwiegespalten – aber mit positivem Überhang: „Am Anfang kam es immer wieder zu Beschwerden aus der Bürgerschaft, dass Scooter falsch abgestellt wurden, dass Gehwege oder Einfahrten blockiert wurden. In relativ seltenen Fällen wurden auch Scooter in die Echaz geworfen. In den letzten Monaten nahmen die Beschwerden ab“, erklärt Lude auf Anfrage unserer Zeitung. Die Scooter werden als zusätzliches Mobilitätsangebot von den Nutzern gut angenommen und tragen somit zumindest zu einem Teil mit, den Autoverkehr in der Innenstadt zu reduzieren.
Einwohnerzahl ist nur ein Aspekt für Anbieter
Nun ist Reutlingen mit 115 000 Einwohnern und als Verkehrsachse zwischen der Alb und Tübingen in einer anderen Lage als Albstadt und Balingen. Sind die beiden Städte im Zollernalbkreis dennoch für Anbieter attraktiv? „Wir können uns gut vorstellen, in enger Absprache mit den Städten und Kommunen künftig unseren Service auch in weiteren Städten und Gemeinden anzubieten. Damit wollen wir auch in kleineren Städten den Zugang zu multimodalen Mobilitätslösungen und den Umstieg auf umweltfreundliche Alternativen zum eigenen Auto erleichtern“, sagt Patrick Grundmann, Pressesprecher bei „Tier“.
Ist die Hochschule ein Faktor?
Noch habe man keine Gespräche mit den Städten Albstadt und Balingen geführt. Ob der ländliche Raum und der Zollernalbkreis interessant für das Unternehmen ist, hänge von mehreren Faktoren ab. „Neben der Topografie, der Einwohnerdichte und der Infrastruktur für Mikromobilität, wie beispielsweise Fahrradwege, ist für uns auch das bestehende Nahverkehrsangebot ein wichtiges Kriterium“, erklärt Grundmann. Ein gutes Beispiel dafür: die Stadt Mittweida in Sachsen. Dort wohnen „lediglich“ 15 000 Einwohner, „doch aufgrund der Hochschule und des damit verbundenen Pendelverkehrs vom Bahnhof ist die Stadt für uns interessant“, sagt Grundmann. Korneuburg und Waidhofen an der Ybbs in Österreich haben sogar unter 15 000 Einwohner, das Leihsystem wird jedoch in Kooperation mit der ÖBB-Personenverkehr AG betrieben.
Ebenfalls wichtig für „Tier“: „Der partnerschaftliche Dialog mit den Städten hat für uns oberste Priorität und ist einer der Eckpfeiler unserer Unternehmensstrategie“, sagt Patrick Grundmann. Ein offener Austausch mit der Stadtverwaltung, den Bürgern und vielen verschiedenen Interessengemeinschaften sei essenziell, um in einer Stadt zu starten und das Angebot erfolgreich zu etablieren. Da beide Städte, sowohl Albstadt als auch Balingen durchaus interessiert an E-Scootern sind, wäre das wohl gegeben.
Albstadt möchte sorgsam abwägen
Aus Reutlingen gibt Gerhard Lude noch einen Tipp. Städte sollten viel Wert darauf legen, abgegrenzte Bereiche zu definieren, in denen aus stadtgestalterischen Gründen die Scooter nicht abgestellt werden sollen. „Und es ist sinnvoll, Abstellzonen zu definieren, in denen Scooter vergünstigt abgestellt werden können“, sagt Lude. Das sorgt für ein aufgeräumtes Stadtbild – diese Zonen verkehrsrechtlich anzuordnen, erfordert aber einen hohen zeitlichen Aufwand.
Das ist auch der Stadtverwaltung Albstadts bewusst. Man möchte daher sorgsam abwägen, ob E-Scooter für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt eine attraktive Ergänzung des Mobilitätskonzepts sind. „Viele Bereiche haben Einfluss auf das Thema E-Scooter und somit gestaltet sich die Planung als nicht ganz so einfach wie gedacht, wenn man die schnelle Nutzung des Scooters mit der Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer sowie der Behinderung und der Kapazität der Fahrzeuge kombinieren möchte“; sagt Jana Rödder.
Skurriler Fall: E-Scooter als Fluchtfahrzeug
Jugendliche in Reutlingen hatten im März 2021 schwere Glasteile von einem Parkhaus geworfen – und kamen auf die Idee, mit Leih-E-Scootern von der Polizei zu flüchten. Keine clevere Idee. Bei den elektrischen Tretrollern muss der Fahrer einen Namen und ein Bezahlsystem angeben – Daten, die die Ermittlungsarbeit der Polizei sehr vereinfacht haben dürften. Wer ist wann wohin gefahren? Diese Informationen sind schnell über Server abzufragen.
Anbieter der Leih-Scooter arbeiten bei Straftaten mit der Polizei zusammen. „Die Übermittlung von personenbezogenen Daten an Behörden ist verpflichtend, wenn die Herausgabe der Verfolgung einer Straftat dient“, erklärte damals ein Sprecher. Auch bei Taxi-Unternehemn kann die Polizei Fahrtzeiten und Kundennamen anfragen.