Es war ein großer Erfolg, der bundesweit für Aufsehen sorgte. Vor einer Woche gelang es Ermittlern aus Deutschland und den USA, die Hackergruppe „Hive“ zu zerschlagen. Das kriminelle Netzwerk war für weltweit mehr als 1500 schwere Cyberangriffe verantwortlich, 70 der Angriffe seien auf Unternehmen in Deutschland verübt worden. Während das FBI, der Secret Service sowie das Polizeipräsidium Reutlingen und die Staatsanwaltschaft Stuttgart diesen Erfolg feiern, beginnt für andere damit erst die Arbeit: für IT-Forensiker.
Eine Vielzahl von „Hive“-Servern wurden beschlagnahmt, Daten und Accounts des Netzwerks und seiner Nutzer gesichert. Diese Unmenge an Daten wird nun analysiert, und das, ohne den digitalen Fingerabdruck der Kriminellen zu verändern. „Die Beweise müssen in einem Verfahren vor Gericht Bestand haben. Da darf es keine Zweifel geben“, sagt Prof. Holger Morgenstern. IT-Forensiker sind die Spurensicherung im Netz – auch ohne weiße Schutzanzüge.
Immer im Wettstreit mit Kriminellen
Prof. Morgenstern, Dekan der Informatik-Fakultät der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, kennt die Herausforderungen der IT-Forensiker. Wie an einem realen Tatort versuchen Täter bei Straftaten im Internet keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Es ist ein stetiger Wettstreit zwischen Kriminellen und Ermittlern. „Gerade bei digitalen Straftaten ändern sich die Vorgehensweisen sehr schnell“, sagt Morgenstern. Damit die Ermittler den Tätern auf die Spur kommen und sie überführen können, müssen sie gut ausgebildet sein. Im Masterstudiengang „Digitale Forensik“ auf dem Campus in Albstadt erhalten sie ihr Fachwissen; Albstadt ist eine Hochburg für IT-Forensiker. Prof. Morgenstern und sein Team unterrichten pro Semester 30 Studierende.
Daten finden, ohne die Spur zu verfälschen
Im Gegensatz zur IT-Sicherheit, die Cyberangriffe verhindern soll, geht es bei digitaler Forensik um Spurensicherung und Analyse. Die Schwierigkeit: Daten sichern, ohne sie zu verfälschen. „Allein wenn man den Rechner startet, verändern sich mehr als 1000 Dateien“, sagt Morgenstern. Jeder Zugriff, jeder Klick wird registriert und hinterlässt einen digitalen Abdruck. IT-Forensiker, die ihr Fach beherrschen, sichern dennoch ausreichend unverfälschte, rechtssichere Beweise.
Dabei ist es wie an einem real existierenden Tatort: „Der IT-Forensiker lebt von den Fehlern des Täters“, sagt Prof. Morgenstern. Je mehr Fehler, desto besser lässt sich rekonstruieren, wie die Verdächtigen vorgegangen sind. Und wie man es aus Krimis kennt, kann auch das Fehlen jeglicher Spur eine Spur sein. „Wenn auf einmal alle Daten verschlüsselt sind oder fehlen, ist das verdächtig und reizt den Forensiker erst recht, auf den Festplatten weiterzusuchen“, sagt Holger Morgenstern.
Viele Behörden suchen dringend Experten
Die Nachfrage nach IT-Forensikern ist enorm. Bundes- und Landeskriminalamt, Verfassungsschutz, Zoll, Steuerfahndung, Cybersicherheitsagenturen und Geheimdienst sind potenzielle Arbeitgeber, ebenso wie in der freien Wirtschaft Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien. „In vielen Prozessen sind digitale Daten wichtige Bestandteile, auch bei klassischen Straftaten und im Zivilbereich.“
Hackerangriffe erwecken zwar medial großes Interesse, bestimmen aber nicht die tägliche Arbeit. Scheidet einer von zwei Geschäftsführern aus dem Unternehmen aus und nimmt Kundendaten oder digital-archiviertes Know-how in eine neue Firma mit, sind ebenso digitale Forensiker gefordert wie bei Erbangelegenheiten, wenn ein Testament auf dem Computer verfasst wurde. „Etwa 50 Prozent unserer Absolventen landen bei Behörden, die andere Hälfte in der Privatwirtschaft“, sagt der Dekan.
Der Verantwortung bewusst sein
Seit 2010 bietet die Hochschule Albstadt-Sigmaringen den Masterstudiengang „Digitale Forensik“ an – mehr als 200 Absolventinnen und Absolventen haben ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. „Bei allen wichtigen Behörden und Unternehmen sind IT-Forensiker vertreten, die in Albstadt studiert haben“, sagt Morgenstern.
Als Vorreiter in diesem Bereich achte man nicht nur auf fachliche Kenntnis: Den hoch qualifizierten Spezialisten wird die ethische Verpflichtung mitgegeben. „Mit den digitalen Beweisen kann man Menschen ins Gefängnis bringen“, betont Prof. Morgenstern. Beschuldigt man jemanden zu Unrecht, Kinderpornografie zu verbreiten, ist das der gesellschaftliche Tod der Person. „Die Verantwortung ist immens. Das muss jedem IT-Forensiker bewusst sein.“
Bedarf an Spezialisten steigt weiterhin
Der Studiengang „Digitale Forensik“ an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen wird berufsbegleitend im Fernstudium absolviert und ist im gesamten deutschsprachigen Raum als Master-Angebot etabliert. Die Studierenden erhalten fundiertes Wissen der Computer-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, das sie in Theorie und Praxis als digitalforensischer Experte auszeichnet.
Im komplexen Umfeld der Cyberkriminalität herrscht weltweit Expertenmangel. Die Zahl der Sicherheitsvorfälle erreicht immer wieder Höchststände und wird auch mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung aller Lebensbereiche weiter ansteigen. Damit ist der Bedarf an Spezialisten unvermindert hoch.