Die Europäische Union hat zum 24. Januar ihre Lebensmittelverordnung erweitert. Demnach dürfen nun neben Mehlwürmern und Heuschrecken auch Grillen und Getreideschimmelkäfer in Pulverform oder teils entfettet in Lebensmittel verarbeitet werden. Das sorgte für Unsicherheit, was das für den Konsumenten eigentlich bedeutet. „Die EU gibt damit grünes Licht für alternative Proteinquellen und erweitert die kulinarische Palette an Speiseinsekten“, sagt Lara Schuhwerk.
Die 30-Jährige ist Gründerin des Albstädter Unternehmens Beneto Foods, das aus Grillenmehl Pasta herstellt. Wenn sich also jemand mit Insekten in Lebensmitteln und den geltenden EU-Verordnungen auskennt, dann ist das sie. Mit der Änderung gilt der Getreideschimmelkäfer als Viertes in der EU zugelassenes Speiseinsekt. Zudem dürfen seit 24. Januar Grillen auch als teilweise entfettetes Pulver in Lebensmittel verarbeitet werden, erklärt sie.
Insekten in Lebensmitteln
Werden jetzt zahlreiche Hersteller Insekten unterheben? Hier hat Schuhwerk eine klare Antwort: Nein. Da es sich noch immer um ein Nischenprodukt handelt, sind die Preise für den Rohstoff Insekt sehr hoch. Ende 2019 zahlte Beneto Foods für ein Kilo Grillenmehl 100 Euro.
Der Endverbraucher muss keine heimliche Untermischung befürchten, stellt Schuhwerk klar. „Die verwendeten Insekten müssen mit deutschem und lateinischen Namen in der Zutatenliste gekennzeichnet werden.“ Außerdem muss sogar festgehalten werden, ob das ganze Tier oder Insektenpulver verwendet werden und ob es teilentfettet wurde. „Versteckt passiert hier nichts.“ Das war auch schon vor der Änderung der Verordnung so.
Einige Bäcker und Nudelhersteller haben dennoch verkündet, dass bei ihnen keine Insekten verarbeitet werden. Das teilt beispielsweise das Backhaus Mahl aus Stetten mit Aufstellern in seinen Filialen mit. Der Münsinger Nudelhersteller Tress betont ebenfalls, dass bei ihm kein Insektenmehl verarbeitet werden wird. Heiner Beck vom Römersteiner Unternehmen Becka Beck findet deutliche Worte: „Mit so einem Sch ... will ich mich nicht beschäftigen. Bei uns werden ganz sicher keine Krabbeltiere und Insekten verbacken“, teilt er über Facebook mit.
Aversion gegen Insekten
Lara Schuhwerk kennt die Aversion gegenüber Insekten. Spätestens seit ihrer Unternehmensgründung wird sie immer wieder damit konfrontiert. Sie kann die Aufregung nicht verstehen. „Bei Getreideprodukten lässt sich nicht vermeiden, dass Insektenbestandteile drin sind.“ Getreide darf beispielsweise nur bei bestimmten Temperaturen gelagert werden. Steigen die Temperaturen könnten Insekten aus ihren in Getreidekörnern gelegten Eiern schlüpfen, erklärt Schuhwerk. Laut Handelsblatt verspeist jeder Mensch etwa 500 bis 1000 Gramm Insekten pro Jahr, zum Beispiel durch Getreide oder versteckt in Gemüse und Fertigsoßen. Für die 30-Jährige ist es Paradox, wie wir immer mehr Wert auf biologische und pestizidfreie Nahrungsmittel setzen, aber Insekten im Essen wollen wir nicht.
„Für mich gehören Insekten als Nahrungsmittel schon in die Kindergärten.“ Kinder gehen mit dem Thema alternative Lebensmittel viel offener um, sagt sie. Bei Messen bringt die Unternehmerin schon mal ganze Hausgrillen als Snack im Paprikamantel mit. „Kinder kommen ganz erstaunt zu unserem Stand und mampfen gleich los“, beschreibt sie. Die Eltern hingegen seien oft geschockt und angeekelt. Den schlechten Ruf von Speiseinsekten möchte sie nicht hinnehmen.
Energie, Mobilität und Ernährung
„Der Mensch funktioniert nicht ohne Proteine.“ Mit rund 40 Prozent Protein haben die Beneto-Nudeln etwa das Vierfache als herkömmliche Nudeln. Zudem sind Grillen reich an Vitamin B 12, Eisen, Calcium und Kalium. „Mit diesem Protein-Anteil können wir unsere Nudeln mit Fleisch vergleichen.“ So kann die Ernährung der Zukunft aussehen, ist Schuhwerk überzeugt. Denn im Sinne des Klimaschutzes müssen mehr als nur die Stellschrauben Energie und Mobilität gedreht werden. „Ernährung ist ein großer Faktor.“
Vergleicht man die Massentierhaltung mit der Grillenhaltung brauchen Grillen zehnmal weniger Futtermittel, 2000-mal weniger Wasser, 200-mal weniger Platz und verursachen 100-mal weniger CO2-Emissionen, zählt sie auf. „Ich möchte niemandem sein Fleisch vom Teller nehmen, aber braucht es das gleich dreimal am Tag?“, fragt sie überspitzt und ergänzt: „Wir sind über den Punkt hinaus, dass es ohne Verzicht geht.“ Das gelte nicht nur für die Ernährung, sondern auch für die anderen Faktoren.
Ein Kritikpunkt veganer Ernährung ist der Preis der Produkte. Kann sich Klima- und Tierschutz wirklich jeder leisten? 500 Gramm Hackfleisch eines namhaften Supermarkts kosten 3,99 Euro, 400 Gramm der High-Protein-Pasta bis zu elf Euro. Vegane Produkte übersteigen den Preis der tierischen Variante meist ebenfalls deutlich. „Unsere Produkte sind noch zu kostspielig“, räumt die Unternehmerin ein. Wie es zu den Preisen kommt, kommuniziert Beneto Foods transparent auf der Homepage. Außerdem sind die Beneto-Produkte aufgrund ihres Proteingehalts deutlich wert- und gehaltvoller, so Schuhwerk. Um auf denselben Proteingehalt mit Fleisch zu kommen, müsse deutlich mehr davon gegessen werden.
„Aber: Tierische Lebensmittel sind viel zu günstig.“ Das sei nur machbar, weil die Tierhaltung von der EU subventioniert werde. Letztlich zahlt das auch der Steuerzahler, er merkt es nur nicht unmittelbar beim Kauf. Die meisten Landwirte könnten ohne Subventionen nicht überleben, so Schuhwerk. Sie habe aus diesem Grund zahlreiche Anfragen von Landwirten, die ins Insektenfarming einsteigen wollen.
Preise für tierische Produkte
Die Preise für tierische Produkte zu erhöhen, wird schon lange gefordert, doch es tut sich kaum etwas. Der Kunde wolle zwar qualitativ hochwertige Produkte und faire Produktion und Haltung, doch am Ende entscheidet der Preis, sagt die Unternehmerin. Für Schuhwerk war klar, auch die Beneto-Produkte müssen preiswerter werden. Es ist gelungen: 200 Gramm Nudeln kosteten 2019 9,50 Euro und jetzt 3,95 Euro. Bis Ende des Monats sollen alle Varianten denselben Preis haben. „Wir haben Prozesse verschlankt, externe Dienstleister gefeuert und ein eigenes Versandlager aufgebaut.“
Für Lara Schuhwerk ist klar, dass wir die Wertschätzung für Lebensmittel teils verloren haben. Die Arbeit dahinter sei vielen nicht bewusst. Das zeigt sich nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch im Gesundheitswesen. Ändern lasse sich das mit Bildung und Selbstverantwortung, sonst müsse irgendwann die Politik Grenzen auferlegen, glaubt sie.
Tierleben gegen Tierleben
Der Trend hin zu Vegetarismus steigt. Einer der Gründe: das Tierwohl. Lara Schuhwerk ernährt sich flexi-vegan, verzichtet auf Fleisch, Fisch und vermeidet Eier und Milchprodukte. Grillen sind allerdings auch Lebewesen. „Leben mit Leben vergleichen geht nicht.“ Doch für sie lässt sich der Verzehr von Hausgrillen wie bei Beneto Foods mit der Biologie der Tiere rechtfertigen. „Das Tier lebt von Natur aus in der Massentierhaltung“, vereinfacht sie es. Denn allein würde eine Hausgrille sterben. Sind es allerdings zu viele Tiere, reduziert sich ein Schwarm auf eine angemessene Größe.
Zudem leben Insekten von etwa einem Tag bis zu drei Monaten. Hausgrillen leben im Durchschnitt zwei Monate. „Bei uns können sie diese zwei Monate fast komplett ausleben.“ Etwa ein Drittel der Grillen eines Zyklus werden für die Reproduktion behalten, der Rest geerntet, wie es heißt. „Insekten sind die Recycler der Natur“, erklärt Schuhwerk die Ernährung der Tiere. In Kooperation mit anderen Firmen erhält sie Reststoffe aus dem Lebensmittelbereich und verwertet diese für ihre Insekten. „Diese Haltung ist in der Gesamtheit tier- und artgerecht und hat noch dazu einen höheren Nutzen für die Menschheit.“
Info Mit dem Unternehmen Beneto Farm hat Lara Schuhwerk eine weitere Firma gegründet. Mit dieser möchte sie eine technologiebasierte Grillenfarm in Deutschland aufbauen. Geplant ist, damit die Produkte von Beneto Foods herzustellen.
Änderung der EU-Lebensmittelverordnung
Mit der Erweiterung der EU-Lebensmittelverordnung dürfen seit 24. Januar Getreideschimmelkäfer und Grillen als teilweise entfettetes Pulver in Lebensmitteln verarbeitet werden. Damit dürfen vier Insekten genutzt werden: Mehlwürmer, Heuschrecken, Grillen und Getreideschimmelkäfer.
Jeder Hersteller muss jedoch kennzeichnen, welche Insekten er verwendet und wie diese verarbeitet wurden. Außerdem sind Allergenhinweise vorgeschrieben, da einige Insekten für Allergiker problematisch sein könnten.
Beneto Foods verwendet Mehl aus der Hausgrille. Diese war bereits als neuartiges Lebensmittel zugelassen. Mit der Änderung der EU-Verordnung kann aber statt des ganzen Tieres auch teilweise entfettetes Pulver genutzt werden. So auch die Larven vom Getreideschimmelkäfer. Zugelassen werden diese Lebensmittel allerdings erst nach intensiver Sicherheitsprüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit.
Eine Massenverwertung ist jedoch nicht zu erwarten, weil der Rohstoff Insekt noch sehr teuer ist.