In tristen Zeiten sehnen sich Menschen nach Farbe. Davon sind Fritz und Tobias Renz überzeugt. Im Dauerkrisenmodus des Alltags darf es optisch also gerne knallig sein. Ein schlichter Basic-Pullover? Nicht mehr in. Bunte Muster, lebensfrohe Designs – „jetzt wird’s wieder farbenfroh“, sagt Fritz Renz. Ob sich der Geschäftsführer der Maute + Renz Textil GmbH vor zehn Jahren hätte vorstellen können, Stoffe mit Muster für Sportleggings im Comic-Look oder für Ugly-Sweater zu produzieren? Fritz Renz schmunzelt und blickt zu seinem Sohn Tobias Renz, der das Label Albstoffe ins Leben gerufen hat.
Tradition und mehr als 40 Jahre Know-how in der Textilherstellung machen Maute + Renz Textil zum Spezialisten für Strick- und Maschenstoffe. Bis heute beliefert die Firma die Bekleidungsindustrie mit gestrickten Jerseys. Speziell die Hersteller von nachhaltiger Ökobekleidung schätzen die in Albstadt hergestellten Maschen-Kreationen.

Werbung auf Instagram setzt beim Endkunden an

Seit 2015 produziert das Tailfinger Familienunternehmen zusätzlich Maschenstoffe unter der Marke Albstoffe. „Unter diesem Label gehen über 90 Prozent der hergestellten Stoffe in den Do-it-yourself-Bereich“, sagt Tobias Renz. Das Prinzip: Albstoffe beliefert Fachgeschäfte und Onlinehändler für den Nähbedarf mit seinen Stoffen, der Endkunde kauft diese ein und näht seine Kleidung selbst.
Das Unternehmen setzt beim Endkunden direkt an. Auf den Plattformen Instagram und Facebook sehen potenzielle Kundinnen Entwürfe, die Designerin Susanne Firmenich unter dem Label „Hamburger Liebe“ exklusiv für Albstoffe kreiert. Die Nähbegeisterten beschaffen sich dann die Stoffe und Schnitte über den Handel. Die Hobbyschneiderinnen investieren gerne Zeit und Mühe in ihr individuell gestaltetes Outfit.

Neue Outlets in Hamburg und Köln

Die Strategie ist erfolgreich. Von 2015 bis 2019 ist der Bereich Albstoffe sehr stark gewachsen. „Die Wirtschaft hat funktioniert, die Menschen waren sorgenfrei und haben Zeit und Geld in ihr Hobby investiert“, erklärt Tobias Renz. Auch während der Corona-Pandemie sei der Absatz nicht spürbar eingebrochen. Speziell die Onlinehändler machten gute Geschäfte, da viele Menschen die Zeit zu Hause nutzten, um zu nähen. „Aber 2022 ist der Hobby-Nähmarkt deutschlandweit um 40 Prozent eingebrochen“, sagt Tobias Renz. Inflation und die Sorge vor hohen Energiekosten haben das Konsum- und Einkaufsverhalten geprägt. „Und am Hobby kann man sparen“, sagt Fritz Renz.
Natürlich sind die Krisen nicht überwunden, doch die Unternehmenslenker spüren, dass das Geschäft wieder anzieht. Erst im November eröffnete Albstoffe nach dem Privatverkauf in Tailfingen das zweite Outlet in Hamburg, am 13. Januar das dritte Outlet in Köln – auf Anhieb mit enormer Resonanz. Eigene Outlets in Berlin und München sind in der Planung. Im Gegensatz zu den Onlinehändlern kaufen die stationären Stoffläden in ihrer Krise vermehrt billige Importstoffe. Albstoffe kontert mit dem Direktvertrieb über seine Outlets. Obwohl ein großer Teil des Absatzes über Onlinehändler erfolgt, kennt Tobias Renz die Bedeutung des stationären Handels. „Die Menschen müssen die Stoffe in die Hand nehmen und fühlen, um die Qualität zu spüren.“ Die Albstädter Textilhersteller sind Experten für Jacquard-Maschenstoffe. Bei dieser Technik werden farbige Garne über elektronisch gesteuerte Strickmaschinen direkt zu gemusterten Stoffen verstrickt. „Im Vergleich zu bedruckten Stoffen sind Jacquardstoffe hochwertiger und langlebiger.“

Regionalität als große Stärke – mehr Albstadt geht nicht

Nach wie vor legen viele Menschen Wert auf Qualität und Regionalität. Das ist die Stärke des Tailfinger Traditionsunternehmens. Die Garne werden über die beiden großen Albstädter Garnhändler Filotex und Weber & Heusser bezogen. Gestrickt wird auf Albstädter Strickmaschinen von „Mayer&Cie und Beck“ mit Albstädter Nadeln von Groz-Beckert. „Mehr Albstadt geht nicht!“, sagt Fritz Renz mit Stolz auf seine Heimatstadt. „Diese Konzentration an Know-how und Strickkompetenz ist weltweit einmalig.“
Die Firma ist GOTS zertifiziert. „Fast-Fashion unterstützen wir nicht“, sagt Tobias Renz. Bei zertifizierten Natur-Textilien, die nach GOTS (Global Organic Textile Standard) hergestellt sind, wird jeder Verarbeitungsschritt von unabhängigen Prüfinstituten nach Umwelt- und sozialen Vorgaben geprüft. Vom Anbau der Baumwolle beziehungsweise der Tierhaltung der Schafe bis zum fertigen Kleidungsstück. Die Anforderungen sind hoch, um diesen Status zu erhalten. Es wird genau dokumentiert, wo und wie jedes Kleidungsstück hergestellt wurde.
Die beiden Albstädter Fachleute wissen, dass das Nähhobby für die Nähbegeisterten seinen Preis hat. Für einen ­Hoodie beispielsweise benötigen sie 1,5 Meter Jacquard-Maschenstoff. Dieser kostet etwa 40 Euro, plus Bündchen für Ärmel und Hals. Die Kundin muss mit 60 Euro rechnen. Hinzukommt die eigene Arbeitszeit für Zuschnitt und Nähen. Je nach Erfahrung und Schnittmuster benötigen Hobbynäherinnen etwa drei Stunden. „Mit einem Pullover für 19,99 Euro im Discounter kann man das nicht vergleichen“, sagt Tobias Renz.

Selbst genähte Unikate, die stolz machen

Jedoch hat die Hobbyschneiderin ein enormes Erfolgserlebnis. Durch das kreative Zusammenstellen der Stoffe und Zutaten und die Auswahl des Schnittmusters erschaffen sich die Näherinnen Unikate für sich und die ganze Familie. Kommt dann Lob und Bewunderung für die selbstgeschaffene Kreation, ist dies der Lohn für Arbeit. Tobias und Fritz Renz kennen die Schattenseiten der Modeindustrie und setzen bewusst einen Gegenpol. „Irgendjemand bezahlt immer den Preis“, sagt Tobias Renz. Bei Fast-Fashion sind es die Näherinnen in Asien und der Türkei, die für Dumpinglöhne ihre Arbeit verrichten. Und die Umwelt, die unter Chemikalien und den großen Transportwegen leidet. Oder es zahlt der Kunde, der bereit ist, für seine nachhaltig produzierte, schadstofffreie Kleidung mehr Geld auszugeben.
Albstoffe kommt entgegen, dass Nähmaschinen für Hobbynäherinnen deutlich günstiger geworden sind. „Vor Jahren haben hochwertige Nähmaschinen selbst im Hobbybereich noch 2000 bis 3000 Euro gekostet“, sagt Fritz Renz. Mittlerweile gibt es Overlock-Nähmaschinen bereits für etwa 200 Euro. Für Hobbyschneiderinnen ist es meist schwierig, hochelastische Stoffe zu verarbeiten. So bietet die Firma fertig genähte Sport- und Yoga-Leggins in der neuen Performance-Kollektion an.