Es ist der Albtraum jeder Eltern: Das Kind wird über eine Online-Plattform von einem Erwachsenen angeschrieben, der sich als Gleichaltriger ausgibt, aber möglicherweise pädophile Neigungen hat und sich so an Kinder heranschleichen möchte. So gehen die Ermittler im Fall der getöteten Ayleen (14) aus Gottenheim bei Freiburg davon aus, dass sie den Tatverdächtigen in einem Online-Chat kennengelernt hat.
Wenn Pädophile auf Online-Plattformen versuchen, Kontakt zu Kindern aufzunehmen, sprechen Experten vom sogenannten „Cybergrooming“. Medienpädagogin Saskia Nakari vom Stadtmedienzentrum Stuttgart führt regelmäßig an Schulen Präventionsveranstaltungen zu diesem Thema durch und berät Eltern und Kinder. Sie sagt: Erwachsene unterschätzen häufig das Gefahrenpotenzial sozialer Medien. „Ich habe das Gefühl, wir verschließen davor noch etwas die Augen.“ Das Problem sei, dass Lehrer und Eltern häufig nicht in der Lebenswelt der Kinder unterwegs seien, die Plattformen oft nicht gut kennen würden.
Wie häufig kommt es vor, dass Kinder in den sozialen Medien sexuell belästigt werden?
„Die Dunkelziffer ist sehr hoch“, sagt Nakari. Wenn sie in einer Schulklasse sei, gebe es immer mindestens zwei Kinder, die entsprechende Erfahrungen bereits gemacht hätten. Mehr als die Hälfte der Kinder habe ihrer Einschätzung nach schon mit Fremden über soziale Netzwerke kommuniziert. Die Vereinten Nationen und das FBI gehen laut Nakari davon aus, dass jede Sekunde weltweit etwa 750 000 Pädokriminelle online sind.
Auf welchen Plattformen sind Kinder potenziell gefährdet?
„Es gibt kein soziales Netzwerk, das rein für Kinder ist“, sagt Medienpädagogin Nakari. Auf allen Plattformen seien auch Erwachsene unterwegs und damit auch Themen wie Gewalt und sexuelle Übergriffe. Grundsätzlich würden Mädchen eher auf bildlastigen Plattformen Opfer von Cybergrooming, etwa auf Instagram oder Tiktok. „Wenn Kinder dort beispielsweise Bilder posten, auf denen im Hintergrund ihr Zimmer zu sehen ist, finden Täter leicht einen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch.“ Bei Jungen sei zu beobachten, dass der Kontakt eher über Videospiele mit Chatfunktion stattfinde, also etwa Fifa oder Fortnite – wie offenbar auch im Fall Ayleen.
Wie können Kinder erkennen, dass Sie von Fremden mit schlechten Absichten angeschrieben wurden?
Laut Saskia Nakari gibt es entsprechende Warnsignale, auf die Kinder achten können. „Das ist immer eine ähnliche Masche“, sagt sie. Vorsicht sei geboten, wenn der Gesprächspartner etwa die Telefonnummer haben wolle. Es sei ratsam, immer in öffentlichen Chats zu bleiben, wie etwa auf Instagram, und nicht in private Chaträume wie etwa Whatsapp zu wechseln, rät die Expertin. Zudem sollten die Alarmglocken schrillen, wenn der Kontakt geheimgehalten werden solle, ein Treffen im realen Leben vorgeschlagen werde oder Geld und Geschenke angeboten würden. Zudem sei es wichtig, dass Kinder immer ihre Eltern oder andere erwachsene Bezugspersonen informieren sollten, wenn es ein Treffen geben sollte. Es biete sich auch an, noch einen Freund oder eine Freundin mitzunehmen, und sich grundsätzlich nur im öffentlichen Raum zu treffen.
Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu schützen?
Für Eltern sei es das A und O, zu verstehen, worin die Faszination der Plattform für ihre Kinder liege, sagt Saskia Nakari. „Eltern sollten mal ein Computerspiel mitspielen, mal beim Chatten mitlesen und sich auch selbst zeigen lassen, was ihre Kinder so bei Tiktok machen“, rät die Medienpädagogin. Zudem sei es unheimlich wichtig, beim Einstieg in die Plattformen die Privatsphäre-Einstellungen anzuschauen. „Bei Tiktok ist beispielsweise erstmal alles öffentlich“, sagt Nakari. Es mache Sinn, einzustellen, dass zunächst nur Freunde aus dem realen Leben das eigene Kind anschreiben können. Zudem sei es wichtig, dem Kind zu vermitteln, „dass im Internet viel Murks passiere“ und es wichtig sei, dass das Kind dann die Eltern auch informiere. „Wenn Kinder immer Angst haben müssen, dass dann das Handy weggenommen wird, tun sie das nicht.“
An wen können sich Eltern wenden, wenn Ihre Kinder Opfer wurden?
Saskia Nakari rät Eltern im Zweifel, eine Fachberatungsstelle aufzusuchen. Diese gebe es inzwischen in so gut wie jedem Landkreis in Baden-Württemberg: „Die Experten dort können den Einzelfall einschätzen und Tipps geben, wann etwa die Schulleitung oder die Polizei informiert werden sollte.“ Eine ausführliche Materialsammlung des Landesmedienzentrums zu diesem Thema gibt es im Internet unter diesem Link. Zudem finden Sie am Ende des Artikels eine Liste mit allen Beratungsstellen in Baden-Württemberg zum Download.
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