Kann das Existenzminimum gekürzt werden, wenn Arbeitslose Mitwirkungspflichten verletzen? Am Dienstag verhandelten die Richter des Bundesverfassungsgerichts über die Frage, ob Sanktionen für Hartz IV-Empfänger mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Bisher drohen Kürzungen, wenn etwa ein Termin im Jobcenter verpasst oder eine zumutbare Arbeit abgelehnt wird. Das Sozialgericht Gotha hält diese gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten für verfassungswidrig. Vom Existenzminimum seien keine Abstriche möglich, auch nicht bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten.
Sozialminister Hubertus Heil (SPD) verteidigte in Karlsruhe die 2005 eingeführten Hartz IV-Reformen mit ihrer „aktivierenden“ Arbeitsmarktpolitik. Der Sozialstaat müsse die Möglichkeit haben, zumutbare Mitwirkungspflichten einzufordern. „Ohne Kürzungsmöglichkeit würde die Regelung leerlaufen“.

Jung, männlich, studiert

Der Anwalt der Bundesregierung, Ulrich Karpenstein, wies die Argumentation des Sozialgerichts Gotha zurück. Das Grundrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum sei ein eigenständiges Grundrecht neben der Menschenwürde. Anders als bei der Menschenwürde seien hier gesetzliche Einschränkungen möglich: „Der Staat lässt aber niemand verhungern, der seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.“ Friederike Mussgnug von der Diakonie Deutschland sagte: „Bei den Pflichtverletzungen handelt es sich oft nicht um Verweigerung, sondern um Überforderung.“ Der zweite Regierungsanwalt Matthias Kottmann verwies auf Erkenntnisse der Bundesagentur für Arbeit. „Statistisch am häufigsten von Sanktionen betroffen sind junge Männer mit Hauptschulabschluss auf dem Land in Westdeutschland“, so Kottmann. Es gebe „keine Schieflage zulasten besonders verletzlicher Gruppen.“
Eine Million Sanktionen haben die Jobcenter im Jahr 2017 verhängt. Viele Empfänger waren mehrfach betroffen. In rund drei Viertel aller Fälle geht es um Meldepflichten. Dann wird der Regelsatz von derzeit 424 Euro um zehn Prozent gekürzt. Wenn eine zumutbare Arbeit oder ein Training ohne wichtigen Grund abgelehnt wird, droht die Kürzung um 30 Prozent.
Die Linke hatte vorab kritisiert, der neue Senatsvorsitzende Stephan Harbarth sei befangen. Vor kurzem habe Harbarth als CDU-Bundestagsabgeordneter noch eine Streichung von Sanktionen abgelehnt. Das Gesetz stellt aber klar, dass die frühere Mitwirkung an der Gesetzgebung einen Richter nicht befangen macht, denn in der Gesetzgebung gehe es um Politik, nicht um Verfassungsrecht.