Cihan Sinanoglu von der Türkischen Gemeinde Deutschland ist entsetzt. „Wieder sterben Menschen. Wieder sind rassistische Motive die Ursache“, beginnt er seinen Appell, mit dem er auf den Terroranschlag von Hanau reagiert. Sinanoglu weist darauf hin, dass sich die Tat gezielt gegen bestimmte Menschen richtete. Und er will, dass der rassistische Terror als solcher benannt wird. „Echte Solidarität bedeutet, das anzuerkennen.“
Der Terroranschlag von Hanau trifft die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in einem besonderen Maße. Neun der zehn Getöteten hatten einen Migrationshintergrund. Mit ihnen erhöht sich die Zahl der Todesopfer von rechtsmotivierten Straftaten seit der Wende auf 180, sagt Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, weist zudem darauf hin, dass es allein in den vergangenen Tagen ein halbes Dutzend Bombendrohungen gegen Moscheen gegeben hat. „Dieses Land macht mir gerade Angst“, schreibt der deutsch-russische Pianist Igor Levit am Donnerstag bei Twitter. Viele formulieren Ähnliches.

Migrationspolitiker Bozkurt (SPD) kritisiert geringes Interesse an rassistischen Taten

Auch Aziz Bozkurt (SPD) spricht davon, dass Ereignisse wie der Hanauer Anschlag Unsicherheit auslösen. „Das Vertrauen, dass der Staat am Ende schon richtig handelt, schwindet immer mehr. Das ist gefährlich“, sagt der Migrationspolitiker dieser Zeitung. Der Staat sei offenbar nicht in der Lage, ihn zu schützen, befürchtet Bozkurt und beklagt, dass das mediale Interesse an rassistischen Taten oft zu gering sei.
Bozkurt denkt etwa an vergangenen Freitag, als es in mehreren Bundesländern Razzien gegen eine mutmaßliche rechtsterroristische Vereinigung gegeben hat, der Generalbundesanwalt zwölf Beschuldigte festnehmen ließ und das mediale Interesse dennoch eher gering war. „Wären das Islamisten gewesen, hätte es Sondersendungen gegeben. So aber juckt es keinen.“ Das sei extrem bedrückend.

Kritik an der Gesellschaft: Migranten zu wenig in Spitzenpositioen vertreten

Für Bozkurt liegt das daran, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft – jeder vierte Mensch in Deutschland hat derzeit einen Migrationshintergrund – nicht in allen Bereichen wiederfindet. Es gebe zu wenig Menschen mit Zuwanderungsgeschichten in den Medien und auch in der Politik. „Deshalb fehlt manchmal der Blick“, sagt er und mahnt: „Betroffen ist nicht eine kleine Gruppe, das muss die Gesamtgesellschaft verstehen.“
Die stellvertretende SPD-Chefin Serpil Midyatli ist Tochter türkischer Einwanderer und damit eine der wenigen Politikerinnen mit Migrationshintergrund in Spitzenpositionen. Midyatli warnt am Donnerstag  im Gespräch mit dieser Zeitung vor dem „um sich greifenden rassistisch motivierten Rechtsterrorismus“. Sie nennt es „eine Schande, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland Angst um ihr Leben haben“.
Als Reaktion auf Hanau verlangt sie einen entschiedenen Umgang mit der AfD. „Der Rechtsstaat muss jetzt mit aller Härte zurückschlagen“, sagt sie. „Alle demokratischen Parteien in allen Ländern müssen die Kooperation mit der AfD auf allen Ebenen ausschließen. Sie ist der politische Arm des Rechtsterrorismus.“ Innenminister Horst Seehofer (CSU) müsse deshalb die gesamte Partei vom Verfassungsschutz beobachten lassen.

AfD-Chef Meuthen spricht von „wahnhafter Tat eines Irren“

Midyatli ist nicht die einzige, die am Donnerstag eine Verbindung zwischen dem Rassismus des Terroristen Tobias R. und der Ideologie der AfD herstellt. Die AfD selbst reagiert darauf mit einer Mischung aus Anteilnahme und der Leugnung, dass dies eine rechtsextreme Terrortat sei. Parteichef Jörg Meuthen twittert, dass das „weder rechter noch linker Terror“ sei, sondern die „wahnhafte Tat eines Irren“. Eine politische Instrumentalisierung sei „zynisch“. Auch Co-Parteichef Tino Chrupalla spricht von der „Tat eines Geisteskranken“.
Eine Schuldige für die Taten macht hingegen der Ex-Landesvorsitzende aus Berlin, Georg Pazderski, aus. Er nutzt den Anschlag, um seine Kritik an der Politik von Bundeskanzlerin Merkel zu äußern. Auf Twitter schreibt er: „Ist das wirklich noch das 2017 von Merkel-CDU beschworene Deutschland, in dem wir gut und gerne leben?“ Trotz heftiger Kritik an der Aussage hatte er den Tweet bis zum Abend nicht gelöscht.