Mit ’nem kleenen Stückchen Glück“ sind nur der alte Doolittle und seine Saufkumpane fröhlich zufrieden. Für eine erfolgreiche Musical-Produktion reicht das nicht aus, und so ist das auch keine Glückssache, was dem Theater Ulm mit „My Fair Lady“ gelungen ist, sondern ein hoch professionell erarbeiteter und auf die Bühne gebrachter Publikums-Hit.
Mit Christian von Götz debütiert ein Regisseur in Ulm, der sein Handwerk in der Unterhaltungsbranche souverän beherrscht, der dem Affen nicht nur Zucker gibt und perfekt die bekannten Pointen setzt, sondern sie teils frech weiterdreht. Im wahrsten Sinne: Wenn der nach Eliza schmachtende junge Liebhaber Freddy (der herzerwärmend naive Strahletenor Luke Sinclair) die Haushälterin Mrs. Pearce mit ihrer Riesenschleife auf dem Kopf wie ein Paarläufer die Eisprinzessin kreiselnd fortwirft, dreht sich Christel Mayr um den ganzen Bühnenzylinder, bis sie auf der anderen Seite wieder auftaucht . . .
Aufwändige Kostüme
Dann sollte ein Musical natürlich eine Ausstattungsschlacht sein – voilà, das Theater Ulm präsentiert das Ensemble in ungemein aufwändigen Kostümen von Sarah Mittenbühler. Es grünt nicht nur sehr grün in dieser „My Fair Lady“, beim Pferderennen in Ascot etwa feiert sich die feine Gesellschaft in knalligem Gelb, wobei Eliza rosa heraussticht. Es ist kein viktorianischer Pomp, sondern ein witzig karikierendes Outfit, das die Figuren tragen: wunderlichste Perücken und Hüte in allen Variationen, vom Mini-Zylinder auf Glatze bis zum futuristischen Antennen-Aufputz.
Die Ausstattung distanziert sich so hübsch vom Kitsch. Aber wenn das von Professor Higgins gedrillte Blumenmädchen Eliza auf dem Diplomatenball erscheint, überwältigt sie trotzdem mit einem prächtigen Abendkleid. Sie ist auch eine Augenweide, wenn sie die Wendeltreppe in der mit pop-bunten Buchrücken leuchtend bemalten Bibliothek wie auf dem Laufsteg herunterschreitet.
Maria Rosendorfsky spielt und singt sowieso hinreißend die Eliza. Die Sopranistin aus Wien berlinert schön derb als Gossenmädel, geht höchst komödiantisch in die Sprachschule und entpuppt sich glanzvoll sympathisch als Dame.
Dazu kommt ein enorm agiles Ensemble, inklusive Chor und Ballett: mit Stephan Clemens als Oberst Pickering, Martin Gäbler als saufendem Hotzenplotz Higgins samt seinen zwei schrägen Lakaien Fabian Gröver und Lukas Schrenk. Ulla Willick spielt herrlich Ulla Willick und die bärbeißige Pub-Wirtin wie die kratzbürstig großbürgerliche Mrs. Higgins. Und von den ersten Tönen der Ouvertüre an sorgte Levente Török, der neue 1. Kapellmeister, mit den Philharmonikern für erstklassigen Musical-Sound: so flott wie charmant, so swingend wie süß-sentimental erklangen die Evergreens.
Alles bestens – mal abgesehen davon, dass Alan Jay Lerners und Frederick Loewes 1956 am Broadway uraufgeführtes Musical nicht nur Emanzen schockieren müsste und in Zeiten von #MeToo eigentlich gar nicht mehr geht: Ein Mann beschimpft drei Stunden lang unflätig eine Frau („kannibalische Schlampe“ etc.), benutzt sie als Objekt einer billigen Wette und überhaupt für ein Menschenexperiment. Und am Ende soll sie sich auch noch in ihren Peiniger verlieben und ihm untertänigst die Pantoffeln bringen.
Kotzbrocken Higgins
Das ist, bei aller lustspielmäßigen Ironie und obwohl naturgemäß Eliza die Heldin ist, heute nicht wirklich mehr witzig – und damit eine schwere Aufgabe für den Regisseur. Christian von Götz dreht „My Fair Lady“ nicht durch den Fleischwolf, was auch sinnlos wäre, sonst müsste man das Werk gar nicht erst auf den Spielplan setzen. Also zeichnet er die Figur des Professor Higgins als absoluten Kotzbrocken, der aber, als Eliza ihm wegläuft, erbärmlich hilflos nach der Mama schreit! Markus Hottengenroth spielt das, mit bewundernswert geschliffener Diktion, überzeugend fies. Auch umgeht der Regisseur trickreich das Happy End. Eliza kommt nur in Higgins’ Traum zurück zu ihm, ihre Stimme hallt unwirklich durch die Szenerie.
So bleibt bestes Entertainment in Erinnerung. Riesiger Premierenbeifall. Man weiß nur nicht, was das eher graue, expressionistisch unheilvolle Theaterplakat mit einer trübsinnig dreinblickenden Eliza signalisieren soll: Die Aufführung von „My Fair Lady“ jedenfalls ist eher ein großes Stückchen Glück fürs Publikum.
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Theater-Blog „Im Sechseck“
Zusätzlich zur Theaterzeitung „Vorspiel“ gibt es ab sofort auf der Website des Theaters Ulm einen neuen Blog unter dem Titel „Im Sechseck“. Zu finden sind dort sowohl die ungekürzten Texte aus der Theaterzeitung sowie viele weitere Hintergrundberichte und Geschichten. „Im Sechseck“ teilt sich in verschiedene Kategorien auf, für die auch die Zuschauereinsendungen der Namensvorschläge für die Theaterzeitung berücksichtigt wurden. Unter „89073“ werden beispielsweise neue Ensemblemitglieder und Mitarbeiter vorgestellt. Die Kategorie „FortePiano“ enthält Beiträge zu musikalischen Angeboten und den Philharmonikern. Beim „Kulissengeflüster“ werden Interviews mit Mitwirkenden der Inszenierungen geführt. Unter der Kategorie „Zugabe“ werden humorvolle Zusatzbeiträge, Verlosungen oder Rätsel zu finden sein. Und mit „Das wird man doch wohl noch fragen dürfen“ setzt das Theater sich mit unterhaltsamen und informativen Fragen auseinander, die noch niemand zu fragen gewagt hat.