Das Haus in der Büchsengasse 1 ist das, was man landläufig eine Bruchbude nennt. Es steht leer. An der Fassade hängen Kabel herunter. Die Fenster sind blind, die Farbe an den Fensterrahmen blättert ab. Kellerfenster fehlen und sind zugemauert. Auf die teils bröckelnden Fassade sind Graffiti gesprüht.
Das Haus grenzt an ein Restaurant, hat zwei Stockwerke und verwahrlost – und das nicht erst seit gestern. Im Gegenteil. Wie Anwohner sagen, verfällt das Gebäude seit Jahrzehnten. Sie stören diese Zustände und sie haben sich an unsere Zeitung gewandt, um darauf aufmerksam zu machen. Namentlich will niemand in der Zeitung stehen, doch die Anwohner sind der Redaktion bekannt. Sie berichten, dass sich inzwischen in der Büchsengasse 1 Marder eingenistet hätten, die die Kabel der Autos annagen.
Zuschüsse zur Modernisierung der Häuser
Dabei hat die Büchsengasse zum Sanierungsgebiet „Stadtmitte/Münster“ gezählt, wie Dirk Feil sagt, Geschäftsführer der städtischen Sanierungstreuhand Ulm (San). Zu den Aufgaben der San gehört es, die Stadterneuerung Ulms zu fördern und städtebauliche Missstände zu beheben. Dafür gibt es Geld. Für ein Sanierungsgebiet beantragt die Kommune beim Land Fördermittel, erklärt Feil. Die Eigentümer können wiederum das Geld bei der San beantragen. Fachleute sprechen von Modernisierungszuschüssen, die es für Gebäude in der Büchsengasse in der Zeit von März 1986 bis Dezember 2011 gab.
„Erfreulich viele Eigentümer haben die Zuschüsse eingefordert“, sagt Feil. Heutzutage sieht man in der Büchsengasse gepflegtes Fachwerk und herausgeputzte Giebel mit Guckenhürle, den ulmischen Ausgucktürmen. Das Fachwerkhaus in der Büchsengasse 12 ist sogar im Jahr 2018 mit dem Denkmalschutzpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet worden. Die Gasse ist ein Schmuckstück geworden.
Keine Verpflichtung, ein Gebäude zu sanieren
Nicht so die Büchsengasse 1, die Anwohner als Schandfleck bezeichnen. Können Häuser im Sanierungsgebiet auch nicht hergerichtet werden? Laut Feil sind die Zuschüsse lediglich ein Angebot. Es besteht keine Verpflichtung, ein Gebäude zu sanieren.
Wer Antworten zu den Gründen sucht, warum die Büchsengasse 1 so aussieht wie sie aussieht, landet bei der Ulmer Brauerei Gold Ochsen. Dort weiß Karlheinz Mack als Leiter der Personalabteilung, dass das Gebäude zum Besitz der Leibinger Vermögensverwaltung zählt. Auskünfte holt er bei Ulrike Freund ein, der Geschäftsführerin der Leibinger Vermögensverwaltung. Dem Unternehmen ist der „optimierungsbedürftige Zustand der Immobilie durchaus bewusst“, teilt Freund schriftlich mit. Doch „nicht zuletzt im Hinblick auf die Auflagen des Denkmalschutzes gestaltet sich die Situation äußerst herausfordernd.“ Überlegungen zu Abriss und Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses habe es gegeben, heißt es weiter, doch „die Ausgangslage ist komplex“.
Stadt sind die Hände gebunden
Weiter lässt Freund mitteilen, dass die Büchsengasse 1 nicht das einzige Objekt sei, „für das wir Verantwortung tragen“. Sie verweist auf zahlreiche andere Sanierungs- und Bauvorhaben. Dennoch habe man die Immobilie nicht aus den Augen verloren. Vielmehr engagiere sich das Unternehmen für ein attraktives Stadtbild. „Dieser Anspruch gilt auch bei der Büchsengasse 1.“ Bis etwas konkret wird, werde es noch dauern.
Was sagt die Stadt dazu? Der Ulmer Baubürgermeister Tim von Winning spricht offen über die Möglichkeiten, die die Stadtverwaltung in Fällen von Leerstand hat, nämlich wenig bis keine. „Eigentümer dürfen Häuser leer stehen lassen. Wir können dann noch nette Briefe schreiben und darum bitten, dass der Zustand geändert wird. Mehr Möglichkeiten haben wir nicht“, sagt von Winning. Ihn persönlich ärgere das zwar, aber „ich muss es akzeptieren“. Eigentum und Grund und Boden genießt in Deutschland einen großen Schutz, führt er aus. Eine Möglichkeit einzugreifen bestünde dann, wenn die Verkehrssicherheit beeinträchtigt werde. So sei es um die Büchsengasse 1 jedoch nicht bestellt.
Leerstand in Ulm: kein großes Problem
Grundsätzlich wäre es möglich, eine Zweckentfremdungsverordnung zu erlassen und gegen Leerstand vorzugehen, führt von Winning aus. Der Ulmer Gemeinderat hatte sich jedoch dagegen entschieden – in Abwägung von Aufwand und Erfolg. Tübingen und Freiburg sind Städte, die versuchen, durchzugreifen. Mit Baugeboten oder drohenden Strafzahlungen sollen Eigentümer zum Wohnungsbau gebracht werden. Nur ist der Aufwand groß, der Effekt gering und Personalkapazitäten sind dafür gebunden, sagt von Winning. Bei allem Ärger über den verschwendeten Wohnraum sei Leerstand in Ulm kein allzu großes Problem.
Kein Fall für den Denkmalschutz
Eigentümer können dann zum Sanieren gezwungen werden, wenn ein Gebäude etwa ein Kulturdenkmal ist. Das ist bei der Büchsengasse 1 allerdings nicht der Fall. So ist es zumindest im Buch „Ulm – historische Bausubstanz“ vermerkt. Erschienen ist es im Jahr 1973. Es ist ein Werk von Ulmer Architekten und Bautechnikern. Eine Karte gibt darüber Auskunft, aus welcher Zeit die Gebäude in Ulm stammen. Notiert ist darin über die Büchsengasse 1, dass das Haus frühestens im Jahr 1850 gebaut wurde. Damit ist es kein Fall für den Denkmalschutz.