Die Blauen kamen in Überzahl, drei Beamte gegen zwei grüne Stile mit Blättern dran. An jenem Sommertag im vergangenen Jahr hielten die Polizisten Stefan „Obi“ Oberdorfer einen Durchsuchungsbefehl unter die Nase. Irgendwie hatten sie mitbekommen, dass über seiner Kneipe Hemperium etwas gedeiht, was dort nicht gedeihen darf.
Die Polizisten stiegen aufs Flachdach und sahen dort zwei Cannabis-Stecklinge aus der Erde wachsen. Pflanzenfreund Obi, der den Hanf von einem Bekannten „in Obhut genommen“ hatte, musste mit ansehen, wie seine liebevoll gegossenen „Cannabis-Babys“ wegtransportiert wurden. „Dilettantisch abgeerntet“ habe man sie.
Mehr als 4500 Euro soll Obi für den illegalen Anbau Strafe zahlen. Es ist, so hofft der 52-Jährige mit bis zum Steißbein gefilztem Haupthaar, die letzte unangenehme Anekdote aus dem alten Deutschland. Aus einem Deutschland, das seine „Wunderpflanze“ kriminalisiert.
Der Tag, für den Obi seit mehr als 30 Jahren kämpft, ist zum Greifen nah. Die Ampel-Regierung will Cannabis noch dieses Jahr legalisieren, zumindest teilweise. Man darf bald bis zu 25 Gramm besitzen und man darf bald auch anbauen, drei weiblich blühende Pflanzen, deren Blüten das High-Gefühl erzeugen, sind erlaubt.

Schulvortrag als Wegbereiter

Obi rührt in einer Tasse mit buntem Aufdruck und schmeckt seiner Kaffee-Kaba-Kreation hinterher. Er sitzt in seiner Kneipe in der Zinglerstraße, vor der Scheibe zieht der Feierabendverkehr vorbei, die Gefühlslage ist diffus. Ihn regt das mit der Strafe schon noch richtig auf. „An riesa Aufriss wägä zwoi so kloine Stecklinge“, sagt er.
Kurz vor der Legalisierung wird er sich noch mal wehren gegen das alte Deutschland. Mit Briefen, Anwalt und allem, was dazugehört. Obi tippt sich auf die Stirn: „Alles an Witz. Für diesen Prozess könnte i Eintrittskarta verkaufa.“
Eine Polizeiaktion mit Durchsuchungsbefehl wegen zwei Stecklingen – und ein Jahr später ist er am Ziel. Vielleicht ist es die ironische Pointe, die seiner Geschichte noch gefehlt hat.
Obis Weg als einer der bekanntesten Cannabis-Aktivisten Süddeutschlands begann 1988. Als Schüler musste er einen Vortrag halten, als Thema suchte er sich die Pflanze aus, die die Musiker seiner Generation verehrten wie eine grüne Gottheit.
Dass das vor allem an der berauschenden Wirkung der Blüten lag, war ihm schon klar. Aber Obi las auch, dass man aus der Nutzpflanze Kleidung und Papier und Sonnencreme und Kraftstoff und Tierfutter machen kann. Ab diesem Tag war Cannabis für ihn eine Wunderpflanze. Bis heute ist er überzeugt: Sie hat das Potenzial, die Welt zu retten.
Als junger Mann beschließt Obi, sein Leben der Wunderpflanze zu widmen. Er kifft, besucht Konzerte, geht auf Messen. Einmal sagt seine Freundin zu ihm: „Jetzt wächst mir dein Hanf bald wirklich zu den Ohren raus.“ Aber Obi ist nicht nur langhaariger Hedonist, sondern auch kalkulierender Geschäftsmann. 1995 eröffnet er das Hanflager, in dem die Kunden alles kriegen, was sie für den Konsum der Cannabisblüten brauchen, Drehpapier, Pfeifen und so weiter, außer eben die illegale Blüte selbst.

Patentierter Hanfburger

2002 macht Obi die Kneipe Hemperium auf und zeigt, was seine Wunderpflanze alles kann. Er bietet Hanfbier an, er serviert seinen patentierten Hanfburger, er lässt Hanfnudeln produzieren, wirbt für Hanfsocken, dank denen er „koine Schwoißfiaß mehr“ hat.
Obi baut sich in diesen Jahren sein kleines Cannabis-Reich. Der Gesetzgeber zieht die Grenzen eng und Obi kämpft dafür, dass die Grenzen irgendwann fallen. Er bastelt Schilder, plant Aktionen, drei Jahrzehnte verbringt Obi als Aktivist.
Der vorläufige Siegeszug findet nun am 6. Mai statt. Zur Mittagszeit ziehen die Unterstützer des Welt-Hanfs-Marschs durch Ulm. Die Plakate für den großen Tag lagert Obi in seiner Kneipe.
Apropos Plakate. Obi nimmt den nächsten großen Schluck aus seiner Kaffeetasse und macht einen Schulterblick Richtung Theke. Dort steht ein junger Mann, der Obi mit beim Aufhängen hilft: „Flo, mir müssat unbedingt no ois nach Berlin schicka.“ Flo nickt.
Wie fühlt sich das an, so lange für eine Sache gekämpft zu haben, die nun Wirklichkeit wird? Obi grinst: „Guad.“ Wobei er den Politikern in der Hauptstadt gerne noch einige Änderungswünsche ins Ohr flüstern würde – 99 legale Pflanzen pro Person wie beim Tabak, zum Beispiel.
Während die Cannabis-Aktivisten feiern, schlagen viele Menschen im Land die Hände über dem Kopf zusammen. Unionspolitiker, Ärztekammern, die Gewerkschaft der Polizei – sie alle kritisieren die Regierungspläne mit einem gewaltigen Stakkato: Einstiegsdroge, Suchtpotenzial, unkontrollierbare Effekte, explodierende Gesundheitskosten, Jugendschutz, Psychosen. Cannabis mit dem berauschenden Wirkstoff THC könne Menschenleben ruinieren.
Obi widerspricht – naturgemäß – in vielen Punkten. Das mit den Psychosen schiebt er beispielsweise vor allem „auf das synthetisch hergestellte Zeug“. Psychiater der Uni Ulm, die von steigenden Fällen berichten, sehen das ganz anders. Doch mit denen, die seine Wunderpflanze kritisieren, kommt Obi auf keinen grünen Zweig. „Die sagen Cannabis macht Psychosen – wen wundert des bei der Strafverfolgung?“, scherzt er.
Wenn der Tag gekommen ist, für den Obi schon so lange kämpft, will er sich in die Sonne setzen und „a Pfeifle anzünda.“ Er ist sich sicher: „Des wird an epischer Moment.“

Legalisierung nicht in vollem Ausmaß

Die Berliner Ampel-Koalition will die Cannabis-Legalisierung in Deutschland vorantreiben – allerdings nicht in dem Ausmaß, das sie im vergangenen Jahr angekündigt hatte. 2022 hieß es zum Beispiel in einem Eckpunkte-Papier, Cannabis solle in lizenzierten Geschäften an Erwachsene verkauft werden. Nun ist in diesem Zusammenhang nur noch von einem „regionalen Modellvorhaben“ die Rede.
Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigengenuss soll künftig deutschlandweit nicht mehr bestraft werden. Zudem sollen Erwachsene drei weibliche Cannabis-Pflanzen anbauen dürfen.