Draußen auf dem Weihnachtsmarkt Lichterketten, Feuerwurst und Glühwein. Drinnen ein Gedenken an die Bombennacht vor 75 Jahren – im eiskalten Münster, das damals am 17. Dezember 1944 wundersam verschont worden war und ein lebensrettender Zufluchtsort im Feuersturm. „Aus dem vollen Leben heraus“ sind die Ulmer am Dienstagabend in ihre Kirche gegangen zu einem ökumenischen Gottesdienst, „aus dem vollen Leben“ heraus war im Krieg die Zerstörung, der Tod und das Leid über die Menschen gekommen – wie Dekan Ernst-Wilhelm Gohl sagte.
Alexandra Ostapenko, Markus Hottgenroth und Christian Katzschmann vom Theater Ulm lasen aus Rudi Küblers Buch „17. Dezember 1944. Die Zerstörung Ulms“, die Predigt hielt Dekan Ulrich Kloos über das Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ – aber nach dem Gedenkläuten aller Ulmer Kirchen erklang Musik, tröstende Musik: Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem (in der Fassung Franz Xaver Süßmayrs).
Friedemann Johannes Wieland dirigierte in dem auch im Seitenschiff voll besetzen Münster den Motettenchor der Münsterkantorei und die Süddeutschen Kammersolisten. Eine beherzte, bewegende Aufführung. Ein junges, hervorragendes Quartett übernahm die solistischen Aufgaben: Verena Gropper (Sopran), Henning Jensen (Tenor), Lena Sutor-Wernich mit einem dunkel leuchtenden Alt und Andreas Burkhart mit edlem, weichem Bass. Der reine Wohlklang im Benedictus. Mozarts Requiem, von großer Menschlichkeit getragen, ist auch ein Werk der Zuversicht: „und das ewige Licht leuchte ihnen“. Stille, Glockengeläut, zaghaft aufbrandender, schnell wieder abebbender Applaus.
„O Menschenkinder“
In der Wengenkirche hatte bereits am Sonntag eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die Zerstörung des katholischen Sakralbaues unter dem Motto „Die Nacht ist vorgedrungen“ gestanden. Das Adventslied von Johannes Petzold nach einem Gedicht von Jochen Klepper bildete auch die Grundlage für den 3. Satz des „Tryptique“ überschriebenen Werks für Chor, Orgel, Schlagwerk, Pauken und zwei Sprecher, das der katholische Dekanatskirchenmusiker Andreas Weil für diesen Anlass komponiert hatte.
Bevor die ergreifend intensiv agierenden Musiker – der Wengenchor, Albrecht Schmid (Orgel), Binh Ngo (Schlagwerk) sowie Karin Kiehlneker und Anja Ruess (Sprecherinnen) – das „Tryptique“ unter Weils Leitung intonierten, sang die Gemeinde in der mit zahlreichen Kerzen feierlich illuminierten Kirche den Choral „Mit Ernst, o Menschenkinder“. Die Grußworte von Pfarrer Michael Estler und Oberbürgermeister Gunter Czisch sowie der Impulsvortrag von Oliver Schütz stimmten die vielen Besucher auf das Kommende ein.
Stille, Schweigen
Die dann von der Empore regelrecht herabstürzende Musik (1. Satz nach dem Gedicht „Alle Tage“ von Ingeborg Bachmann) traf die Zuhörer mit ihren harten, perkussiven Einschlägen direkt ins Mark. Nein, das war beileibe keine gefällige, sondern eine finstere, ja grimmige, dabei unmittelbar packende und dem Anlass wahrhaft würdige Musik von großer Suggestionskraft. Düster und schwer auch der 2. Satz nach biblischen Klageliedern und Psalmen. Den versöhnlichen 3. Satz gestalteten zunächst die Musiker. Zur vierten Strophe von „Die Nacht ist vorgedrungen“ stimmte die Gemeinde ein. Dann Stille. Glockengeläut. Schweigen. Zu applaudieren wagte niemand.