Tafelläden sind eine gute Sache, darüber könnte man sich einig sein. Es hätte also ein schönes Jubiläum des 25-jährigen Bestehens der Tafeln in Deutschland werden können. Und doch sehen sie sich seit Wochen von allen Seiten Kritik ausgesetzt – die Vorkommnisse aus Essen sind in aller Munde.
Für Claudia Steinhauer war die Essener Entscheidung, derzeit nur Deutsche neu als Kunden aufzunehmen, „ein Akt der Hilflosigkeit“. Nach außen erscheine das freilich unmöglich, sagt die Leiterin der Abteilung Soziale Dienste beim DRK-Kreisverband Ulm, der die Tafelläden im Alb-Donau-Kreis trägt: „Ich denke, die Ehrenamtlichen vor Ort waren einfach überfordert.“ Wer sich für die Tafel engagiere, sei garantiert kein Rassist. Auf die Region seien die Verhältnisse an der Essener Tafel nicht übertragbar, sagt Steinhauer. „Wir arbeiten anders.“ Statt auf vorgepackte Tüten oder Kisten zu setzen, seien die Tafeln vor Ort vielmehr eine Art Tante-Emma-Laden. Jeder Kunde wähle selbst, was er kaufen wolle. „Das ist für mich eine Frage der Würde.“ Damit es nicht zu Ungleichbehandlungen und langen Wartezeiten kommt, setzt das DRK auf ein rollierendes Zeitkartensystem: Jeder Kunde bekommt im Wechsel ein Zeitfenster von 30 Minuten zugewiesen. Wer am einen Termin als Erstes einkaufen darf, ist am nächsten erst später an der Reihe. „Dadurch ist jeder mal der Erste und mal der Letzte“, sagt Steinhauer. Das funktioniere gut.
Nach einem großen Kundenansturm im Zuge der Flüchtlingswelle 2016, als im Schnitt 154 Kunden pro Öffnungstag in den Ehinger Tafelladen strömten, kamen im vergangenen Jahr nur mehr 127 Personen pro Tag. Zum Vergleich: 2015 waren es knapp 120. Dass sich die Zahlen normalisiert haben, ist für Claudia Steinhauer nicht überraschend. „Viele unserer Kunden, die 2016 als Flüchtlinge in die Region kamen, haben zwischenzeitlich Arbeit gefunden oder eine Ausbildung begonnen“, sagt sie. Sie seien nicht länger auf den Tafelladen als günstige Einkaufsmöglichkeit angewiesen.
Helfer als Übersetzer
Auch im Erbacher Tafelladen, einem der kleinsten in der Region, hat sich die Situation entspannt. Hier kamen 2016 auf einen Schlag doppelt so viele Kunden, Helfer und Waren aber gab es nicht in diesem Maße mehr. Es herrschte Gedränge, ältere Frauen trauten sich nicht mehr in den Laden. Die Tafel bekam das Problem in den Griff. „Klare Regeln“ und „Verständigung“ lauten die Stichworte. Die Richtlinien – etwa, dass Männer und Frauen gleichberechtigt an der Reihe sind – wurden in mehrere Sprachen übersetzt, die Stadt organisierte Helfer, die dolmetschten.
Ähnlich behalf sich Claudia Steinhauer in Ehingen. Mit der Unterstützung von Asylbewerbern, die bereits länger im Land waren und gut Deutsch sprachen, vermittelte sie den zahlreichen fremdsprachigen Kunden die Regeln und Grundsätze der Tafel. „Ich sage nicht, dass wir durch die vielen Flüchtlinge keine Probleme hatten“, gibt Steinhauer zu. „Aber wir haben sie gut gelöst.“ Asylbewerber ergänzen bis heute die ehrenamtlichen Tafelladen-Teams aus Rentnern, Hausfrauen und Schichtarbeitern, helfen mit. Denn ein großer Teil der Arbeit muss vor den Öffnungszeiten bewältigt werden.
Eine Beschränkung für bestimmte Kundengruppen kann sich Steinhauer nicht vorstellen: „Wenn es Probleme mit einzelnen Menschen gibt, muss man im Einzelfall reagieren.“ Der Letzte, der in einem DRK-Tafelladen aufgrund seines Verhaltens Hausverbot bekommen habe, sei ein Deutscher gewesen.
Debatte um die Essener Tafel
Beschränkung Im Essener Tafelladen werden vorübergehend, voraussichtlich bis Ende März, nur noch deutsche Bedürftige als Neukunden aufgenommen. Grund: Die ehrenamtlichen Helfer klagen über Überlastung und einen Verdrängungswettbewerb. Der Anteil der Migranten an der Kundschaft sei auf etwa 75 Prozent gestiegen. Ältere Menschen und alleinerziehende Mütter hätten sich bei der Warenvergabe bedrängt gefühlt.
Reaktion Die frühere Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) sagte zuletzt, eine Gruppe von Menschen pauschal auszuschließen, fördere Vorurteile und Ausgrenzung. Bedürftigkeit sollte das Maß sein „und nicht der Pass“. Kritiker sprachen von Diskriminierung und „Wasser auf den Mühlen der Rechtspopulisten“. Tafeln kritisierten die Beschränkung.