Wenn die Botox-Spritze in seinen Arm sticht, entspannen sich seine Muskeln, die Steifigkeit lässt nach und Bewegungen fallen ihm für einige Zeit wieder etwas leichter. Seit dreieinhalb Jahren lässt sich Malte Schäfer alle zweieinhalb Monate seinen rechten Arm behandeln. Ganz weg gehen wird die Lähmung davon nicht. Das weiß er. Seit seiner Geburt lebt er mit einer Behinderung, die die rechte Seite seines Körpers betrifft: Sein rechter Arm ist nur eingeschränkt funktionsfähig, ebenso sein rechtes Bein. Er hinkt leicht, sein Gangbild wirkt leicht schief.
Heute ist Malte Schäfer 24 Jahre alt. Ein junger Mann, offen und kommunikativ – mitten im Leben, trotz allem. Als Kellner arbeitet er nun schon fünf Jahre im Museumscafé der Lebenshilfe am Petrusplatz in Neu-Ulm. Er ist von Anbeginn mit dabei, seit der Eröffnung 2018. Dass er den Job bereits so lange macht, erstaunt ihn selbst. Eigentlich dachte er, eine Arbeit wie diese käme für ihn aufgrund seiner körperlichen Einschränkung nie infrage.
„Mit der Zeit habe ich mir Sachen angeeignet. Was andere mit zwei Armen machen, kann ich mit einem machen“, sagt er. „Das dauert halt ein bisschen länger.“ Bei zwei Tassen Kaffee bringe er zuerst den einen, dann den anderen – oder er nehme das Tablett. „Inzwischen kann ich gut einschätzen, was ich darauf nehmen kann, was geht und was nicht.“
Prägende Erlebnisse in der Kindheit
Was alles nicht gehe, mit seiner Behinderung, das hat der 24-Jährige schon öfter gehört. Im Job genauso wie im Alltag. „Wirklich gemerkt habe ich es in der Schulzeit. Ich sollte eigentlich auf die Grundschule im Ort, eine Regelschule. Doch die Rektorin meinte zu meinen Eltern, wir können mit dem behinderten Kind nichts anfangen.“ Ein hartes Statement, von dem ihm seine Mutter erst vor zwei Jahren bei einem Abendessen erzählte. Die Schule im Nachbarort habe ihn dann aufgenommen – auch eine Regelschule. Dass er nicht wie die anderen Kinder in Dietenheim zur Schule gehen konnte, war für den damals Sechsjährigen unverständlich.
„Ich kann mich noch gut an meinen ersten Schultag erinnern. Mein Schulranzen war voll und mich hat’s auf die Schnauze gelegt.“ Bis heute sei es das Einzige, woran er sich von diesem Tag erinnern kann. Vergessen werde er es nie. „Ich habe dann einen Rolli bekommen, damit ich das Ding nicht immer tragen musste.“ Weil nicht nur sein Arm, sondern damals auch noch beide Beine nicht voll funktionsfähig waren, trug er lange Zeit Schienen. Irgendwann kam dann der Rollstuhl. Dass er heute vergleichsweise gut laufen kann, verdanke er vielen Operationen.
Selbstzweifel und negative Gedanken schob er beiseite
Die Grundschulzeit sei für ihn dennoch „die angenehmste Zeit“ gewesen. „Ich habe gesehen, es läuft alles und ich werde von allen unterstützt.“ Rückblickend ist er dankbar, dass er nicht gleich mit dem „Hass“, wie er sagt, konfrontiert wurde. Die blöden Sprüche, die grundlosen Schläge, das Angespucktwerden – das alles kam später. „Am Anfang war es hart“, sagt er. „Ich habe mich gefragt, ob es an mir liegt.“ Irgendwann, so erzählt er, habe er gelernt, damit umzugehen. „Das Leben ist zu kurz, um sich über Sachen aufzuregen, die man nicht ändern kann.“
Er habe auch Momente hinter sich, in denen er einfach nur wütend war, auf sich und auf die Situation. In der sechsten Klasse aber fand er Halt in einem neuen Freundeskreis. Er habe sich nicht längere verstellen müssen, konnte so sein, wie er war.
Der kritische Moment: Die schwere Berufswahl
Mit dem Schulabschluss kam dann die Frage „Was nun?“ Welcher Job käme für ihn in Betracht? „Ich dachte lange, dass Computerjobs so mit das Einzige sind, was ich werde machen können.“ Ein Job in der Gastro? – Nicht auszudenken. „Ich habe dann eine kaufmännische Ausbildung angefangen“, glücklich sei er damit nicht gewesen. Die Ausbildung brach er nach einem Jahr ab. „Es hat nicht so gut funktioniert.“ Seine Ausbilderin habe nicht gut auf ihn eingehen können, wusste oft nicht weiter. Am Ende flossen Tränen. Schäfer zog den Schlussstrich. Und auf die Frage „Was nun?“ folgte ein noch viel bedrohlicheres „Was jetzt?“. Das Feld der beruflichen Möglichkeiten engte sich plötzlich stärker ein als er erwartet hatte. „Wenn es schon hier scheitert“, dachte er damals, „was geht dann noch?“
Wie mühselig es sein kann, mit einer Behinderung eine passende Arbeit zu finden, hat Schäfer damals am eigenen Leib erfahren. Zwar hat sich die Inklusion von beeinträchtigten Menschen auf dem deutschen Arbeitsmarkt in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert. Doch gerade in der freien Wirtschaft, wo das Prinzip der Leistung gilt, bleibt es nach wie vor oft schwer. Woran das liegt? Der 24-Jährige sieht eher indirekte Gründe dahinter: „Man muss natürlich mehr Geduld mitbringen. Man muss ausprobieren, wo die Person am besten reinpasst. Und du darfst die Leute nicht stressen“, sagt Schäfer. Das alles koste Zeit und Kapazitäten – Ressourcen, die im Arbeitsalltag oft Mangelware sind.
Stigmata sind immer noch da
„Kommunikation ist auch sehr wichtig.“ Wenn man stets meine, zu wissen, was für die Person das Beste ist, sei das falsch. „Dann fühlt sich der andere vielleicht übergangen oder unter Druck gesetzt. Es geht darum, in Zusammenarbeit Lösungen zu finden, die passen.“ Sich in andere hineinzuversetzen – auch bei Menschen mit Behinderungen ist das nichts anderes.
Aber es gebe auch noch oft die alten Stigmata über Menschen wie ihn, meint Schäfer. Annahmen wie „Menschen mit Behinderung sind dumm“ – der Satz kommt schnell, mit viel Kraft, als wollte er ihn schnell hinter sich bringen und nicht länger darüber nachdenken, um der Wut, die er dabei spürt, keinen Raum zu geben.
Nach der abgebrochenen Ausbildung nagte der Zweifel auch an ihm. Zusammen mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester, die ihn immerzu unterstützt hatten, überlegte er, wie es nun weitergehen würde. Schließlich kamen sie auf die Lebenshilfe. „Im September des gleichen Jahres habe ich in Senden angefangen, in der Werkstatt.“ Vielfältig sei die Arbeit nicht gewesen. „Ich habe einfach gemerkt, dass ich dafür überqualifiziert bin.“
Zum Glück fehlt ihm noch eine Prise „Zauber“
Als die Lebenshilfe ihm anbot, im Café anzufangen, war er erst skeptisch, aber letztlich sehr froh – und das ist er bis heute, sagt er. Zuspruch finde er in den Reaktionen der Gäste, die ihn auch „ein bisschen bewundernd“ ansehen – wie er das schaffe, mit einem Arm. „Das war für mich ein Punkt, wo ich wusste: Ich bin auf einem guten Weg.“ Jetzt müsse es nur noch mit der eigenen Wohnung klappen, weg vom Elternhaus. Und mit dem Kochen – denn „das kann ich überhaupt nicht“, sagt er lachend. Denn nach der Arbeit für sich „etwas zaubern“ zu können, gehöre zum guten Leben schließlich dazu.
Im Februar feiert das Museumscafé Jubiläum
Das Museumscafé am Petrusplatz in Neu-Ulm ist mehr als ein Cafe: Es ist „gelebte Inklusion“ – so steht es auf einem Flyer der Lebenshilfe Donau-Iller. Das Konzept des Cafés: Hemmungen abbauen und Menschen zusammenbringen. Im Café arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Im Februar 2018 hat das Café eröffnet. Bereits seit fünf Jahren bietet es Menschen wie Malte Schäfer eine Möglichkeit trotz Handicap einer interessanten Arbeit nachzugehen, die ihren Stärken entspricht.
Die Lebenshilfe betreibt auch noch das Café Mittendrin in der Ulmer Friedenstraße. Weitere Inklusionsprojekte sind zudem die Gärtnerei St. Moritz, die CAP-Lebensmittelmärkte und das Ausflugsschiff Ulmer Spatz auf der Donau. Die Integrationsfirma ADIS in Neu-Ulm hilft auch bei der Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
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