Die Hand zur Faust geballt und gen Himmel gestreckt: So zeigt ein Bild in der Zehntscheuer den ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela. Im Rahmen der Sonderausstellung „Gesucht: Eine bessere Welt“ liest die Autorin Dagmar Petrick am Donnerstag, 26.01., um 16 Uhr aus ihrem Buch „Hendrik und der berühmteste Häftling der Welt“ – womit Mandela gemeint ist. Im Interview erzählt Petrick, worum es in ihrem Buch geht und wie sie sich für Frieden einsetzt.

Wie kamen Sie dazu, Bücher zu schreiben?

Dagmar Petrick: Als Filmkritikerin habe ich für verschiedene Zeitschriften geschrieben. Ich konnte mir immer Filme aussuchen, die ich gut fand. Das war toll. Aber irgendwann wurde es mir ein Anliegen, meine eigenen Geschichten zu schreiben.

Wollten Sie schon immer schreiben? Ob für Zeitschriften oder Bücher?

Ich habe mal überlegt, ob ich Lehrerin werden soll. Noch vor dem Studium hat mir die Berufsberatung empfohlen, das mal auszuprobieren. Jetzt sage ich immer, dass das der Keim für meine Schriftstellerei ist. Denn um das Unterrichten auszuprobieren, bin ich nach Nordirland gegangen und habe dort Deutsch unterrichtet. Schon damals dachte ich: Irgendwann muss ich über das, was ich dort gesehen habe, ein Buch schreiben.

Was Sie dann auch getan haben.

Ganz genau, mit meinem Buch „Robin und die Farben der Bordsteine“. In Nordirland bepinseln die Menschen ihre Bordsteine in den Farben jener Nation, zu der sie gehören möchten. Als ich dort war und in den Ferien in Versöhnungseinrichtungen gearbeitet habe, habe ich verstanden: Die Menschen dort kennen sich oft einfach nicht. Und trotzdem sind sie verfeindet, weil sie nur Vorurteile in den Köpfen haben. Sie können gar nicht anders. So ist das auch in meinem Nordirland-Roman.

In der Zehntscheuer lesen Sie aber aus Ihrem Buch über Mandela.

Ja, der passt da natürlich auch rein. Es geht um die Frage, wie können wir eigentlich versöhnt miteinander leben?

Und wie können wir das?

Indem wir Vorurteile erkennen und ausräumen. Mein Held Hendrik ist elf Jahre alt. Er ist der Sohn eines Gefängniswärters, der Mandela in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts bewacht. Hendriks Vater kümmert sich auch um dessen Post. Es gibt tatsächlich Biografien von Gefängniswärtern. Die habe ich mir durchgelesen.

Was steht da drin?

Darin wird Mandela als jemand beschrieben, der sich nach den Kindern der Gefängniswärter erkundigt hat. Er fragte, ob diese in der Schule lernen. Bildung war Mandela wichtig. Und so fragt auch der Vater von Hendrik in meinem Buch plötzlich, was Hendrik denn so in der Schule lernt.

Wie geht es weiter?

Als Mandela von der Gefängnisinsel Robben Island in ein Gefängnis auf dem Festland verlegt wird, zieht auch Hendrik nach Kapstadt um. Dort begegnet er Menschen, die ihm eine andere Sicht vermitteln als jene, die er von seinem Vater kennt. Er lernt zum Beispiel eine Klassenkameradin kennen, deren Vater weiß ist  und im Gefängnis sitzt. Das ist ein Schock für Hendrik. 

Warum?

Weil er denkt: Nur schwarze Menschen sitzen im Gefängnis. Plötzlich merkt er: Es gibt eine andere Erzählung, es gibt eine andere Sichtweise – auf dieselben Dinge. Vielleicht habe ich doch nur Vorurteile in meinem Kopf. Darum geht es. Wie Hendrik gelernte Vorurteile entlarvt.

Warum wollten Sie über Nelson Mandela schreiben?

Ich fand Mandela schon immer spannend. Als mein erster Sohn geboren wurde, habe ich Mandelas Biografie gelesen, die der heimlich im Gefängnis geschrieben hatte. Rolihlahla, Mandelas Stammesname, bedeutet „Unruhestifter“. Er ist derjenige, der an einem Ast zieht. Der den Frieden stört. Aber eben den falschen Frieden.

Wie kamen Sie auf die Geschichte von Hendrik?

Ich habe mich sehr intensiv mit einer Freundin unterhalten, die während der 1980er Jahre in Südafrika gelebt hat. Sie sagt, wenn sie meine Geschichte liest, denkt sie, ich wäre dort gewesen. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Ich habe auch sehr gründlich recherchiert.

Wie lange haben Sie an dem Buch geschrieben?

Furchtbar lang. Ich glaube, ein Jahr. Literatur braucht meistens ein bisschen länger, zumindest bei mir.

Warum heißt Ihr Held Hendrik?

Das ist ein typischer Afrikaans-Name in Südafrika. Jeder dritte Junge heißt dort Hendrik. Und ich wollte, dass er ein ganz normaler Junge ist, er könnte eigentlich jeder sein.

Sie haben im vergangenen Jahr ein neues Buch rausgebracht. Worum geht es darin?

„Martha, Helen und der Weg aus der Dunkelheit“ erzählt von der taubblinden Schriftstellerin Helen Keller. Darin wird vor allem geschildert, wie sie, die nicht sehen und nicht hören konnte, die Sprache entdeckt hat.

In der Sonderausstellung in der Zehntscheuer geht es um das Thema Frieden. Sie sind Mitglied bei PEN, einer Schriftstellervereinigung, die sich für Frieden einsetzt.

Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dort einmal dabei zu sein. Früher dachte ich immer: PEN, das sind Menschen wie Günter Grass. Aber da sind natürlich auch weniger bekannte Autoren und Autorinnen dabei. Ich habe drei Bürginnen gehabt, die dafür einstanden, dass mein Schreiben mit dem übereinstimmt, wofür der PEN steht.

Was machen Sie im Rahmen dieser Mitgliedschaft?

Demnächst findet die große Jahrestagung in Tübingen statt. Dorthin kommen auch Stipendiaten vom PEN, also Autoren und Autorinnen, die auch aus ihren Büchern lesen werden. Bei deren Betreuung möchte ich mich einbringen. Denn der PEN setzt sich für verfolgte Autorinnen und Autoren ein, die es wirklich etwas kostet, wenn sie ihre Meinung schreiben. Sie werden verfolgt, können für ihre Worte ins Gefängnis kommen oder gefoltert werden.

Sie waren bei der PEN-Sitzung im Mai 2022 dabei, bei der es zum Zerwürfnis des Vorstandes kam, Journalist Deniz Yücel trat an diesem Tag als PEN-Präsident zurück. Wie haben Sie die Ereignisse erlebt?

Ich fand das ziemlich traumatisierend. Ich bin noch nicht so lange bei der PEN und ich war sehr, sehr erschrocken. Ich konnte es nicht fassen, dass sich gebildete Literaten so angehen. Wir alle haben eine gemeinsame Charta unterschrieben, in der es unter anderem heißt, dass wir für die Freiheit des Wortes einstehen.

Deniz Yücel wurde unter anderem Mobbing vorgeworfen. Außerdem habe er mit Aussagen über ein Eingreifen der NATO in den Ukraine-Krieg seine Amtsbefugnis überschritten, so ein weiterer Vorwurf.

Yücel war natürlich eine Galionsfigur für den PEN, weil er selbst Verfolgung erlebt hat und im Gefängnis saß. Ich kann nur sagen, was ich von anderen gehört habe. Ich glaube, in dem Konflikt haben auch persönliche Eitelkeiten eine Rolle gespielt. Anders kann ich es mir nicht erklären. Es macht mich traurig, dass nur drei Wochen nach der Sitzung eine neue Vereinigung gegründet wurde, der PEN Berlin. Ich hatte eigentlich nach Gotha den Eindruck, dass versucht wurde, wieder aufeinander zuzugehen. 

Sie bleiben beim „alten“ PEN?

Ja. Zunächst habe ich überlegt, auszutreten. Aber ich habe wirklich sehr, sehr liebe Leute beim PEN kennengelernt. Und die Arbeit des PEN ist immer noch sehr unterstützenswert. Yücel ist mit den Worten zurückgetreten, er wolle nicht Präsident einer Bratwurstbude sein. Dann bin ich jetzt eben Mitglied einer Bratwurstbude.

Das ist ja auch nicht das Schlechteste.

Nein, eigentlich sind Bratwurstbuden schöne, gesellige Plätze.

Autorin Dagmar Petrick im Kurzporträt

Dagmar Petrick hat neue deutsche Literatur und Medien sowie Anglistik an der Philipps-Universität Marburg und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Anglistik sowie evangelische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Sie lebt in Ludwigsburg.