Im Grunde war es eine einzige, über allem schwebende Frage, die am Freitag während der zweiten Runde der Kandidatenvorstellung zur OB-Wahl in Balingen die knapp 1000 Zuschauer in der Stadthalle beschäftigte: Wie könnte die Eyachstadt in einigen Jahren wohl aussehen? Und damit verbunden: Woher soll das Geld für die Visionen kommen, aus welchen Quellen die Energie? Und wie lässt sich daraus Lebensqualität generieren?
Knapp dreieinhalb Stunden kämpften die Kandidaten um die Gunst des Publikums; in der ersten Runde mit individuellen Präsentationen von zehn Minuten, anschließend alle gemeinsam auf der Bühne, konfrontiert mit den Fragen der Bürger an sechs Mikrofonen. Die Amtsanwärter zogen nahezu jedes Register; ihre Antworten fielen informativ, humorvoll bis provokant aus. Gelegentlich zeigten Kandidaten Schwächen, die das lebhafte Publikum aber sofort quittierte: Zu lange Beiträge oder Abweichungen wurden nicht toleriert.
Soll Balingen sparen oder investieren?
Nüchtern und praktisch gab sich bezüglich der Finanzen CDU-Kandidat und Pressesprecher des RP Tübingen, Dirk Abel (46): „Ich sehe im städtischen Haushalt kein Potenzial für Einsparungen, ich sehe aber auch für die nächsten Jahre kein Potenzial, größere Einnahmen zu generieren“. Deshalb gelte es, vorsichtig und mit dem frei werdenden Geld nach der Gartenschau zu planen.
Grünen-Kandidat Erwin Feucht (63) betonte dagegen den nötigen Zuwachs an Gewerbe. In jedem Fall müsse ein in der Stadt bestehender Investitionsstau behoben werden. Hierfür vertraue der im Gemeinderat aktive Konditormeister auf ein „natürliches, gesundes Wachstum“ Balingens als Wirtschaftsstandort.
Die Schulden im Auge zu behalten und sich bei den Ausgaben auf das Notwendigste zu konzentrieren, mahnten der Polizist Siegfried Schäfer (61), Elektromeister Markus Robert Weinmann (54) sowie der Privatier und Kandidat für die Liberal-Konservativen Reformer, Stefan Buck (47). Letzterer ärgerte sich in diesem Zusammenhang über den interkommunalen Gewerbepark in Meßstetten.
Dem widersprach SPD-Kandidatin Sybille Fleischmann (50), die gerade aus der Erschließung dieser Fläche auf zusätzliche Einnahmen hoffe. Die Ausgaben Balingens seien völlig im Rahmen, doch gelte es mehr Fördergelder zu generieren: „Es gibt viele Töpfe vom Bund, die für lange Zeit erst gar nicht angesprochen werden“, so die Projektmanagerin.
Regenerative Energie: Kann Balingen energieautark werden?
Nahezu unisono plädierten die Kandidaten für den Ausbau von Photovoltaikanlagen. Zudem dürfe keine Abhängigkeit von einer einzigen Technik entstehen, wie Feucht insistierte. „Ich bin auch für Windräder an jedem Berg. Dann kommen wir da hin“, äußerte sich Siegfried Schäfer mit Blick auf die „EU-2030-Ziele“ für Deutschland (aus dem europäischen Energie- und Klimaplan). Veranstaltungstechniker Dominik Ochs (28) von Die Partei legte nahe, eng mit den Experten der Stadtwerke zu kooperieren. Abel wolle Biogas, Wind- und möglicherweise Wasserkraft sowie den Einsatz von Energiespeichern einbeziehen.
Lediglich Stefan Buck schloss Windräder „auf den schönen Balinger Bergen“ aus. Elektromeister Weinmann irritierte hörbar Teile des Publikums mit Äußerungen bezüglich einer vermeintlichen Ineffizienz von PV-Anlagen.
Bezahlbarer Wohnraum und mehr Lebensqualität
Gemessen am Beifall schien die Frage, wie Wohnraum künftig bezahlbar gestaltet werden kann, besonders viele Zuhörer umzutreiben. Für einen Mietpreisdeckel sprachen sich Ochs, Fleischmann und Buck aus. Die SPD-Kandidatin argumentierte zudem, dass die Stadt Grundstücke halten müsse, um Einfluss auf die Wohnlandschaft nehmen zu können.
Dirk Abel sorgte sich, dass ein Mietpreisdeckel Bauherren abschrecken könnte. Er wolle stattdessen an Privatleute mit noch unbebauten Grundstücken appellieren. Erwin Feucht halte es für sinnvoll, zu sanieren und bei Neubauten auf die Konzeptvergabe zu setzen. Siegfried Schäfer rief Alleinstehende dazu auf, andere Wohnformen in Betracht zu ziehen, sich etwa in WGs zu organisieren.
Weil es mit Wohnraum alleine noch nicht getan ist, klopfte das Publikum ab, wie die Kandidaten für die nachfolgenden Generationen sowohl Bildung als auch Lebensqualität garantieren wollen. Sämtlichen Kandidaten schwebt der Einsatz von mehr Lehr- und Erziehungskräften vor, Abel warf die Idee von Betriebskindergärten ein.
Ochs und Fleischmann verwiesen im Verlauf des Abends mehrmals auf die Notwendigkeit, bürokratische Hürden für Bürger durch eine verstärkte Digitalisierung abzubauen – im Bereich der Bildung etwa, um Pädagogen mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe zu verschaffen.
Feucht propagierte, dass das Zusammenspiel von bezahlbarem Wohnraum, Einkaufsmöglichkeiten und guter Infrastruktur, etwa mit größeren Spielplätzen statt vielen kleinen, die Stadt zwangsläufig auch für die Jugend attraktiver mache: „Da kommt mein Alexander Humboldt zu tragen. Alles hängt mit allem zusammen.“
Was muss sich nach der Bürgermeisterwahl in Balingen ändern?
Nachholbedarf erkannten Fleischmann, Feucht sowie Schäfer und Buck im Mobilitätskonzept der Stadt. Die beiden letzteren konzentrierten sich auf den Sanierungsbedarf der Straßen, die ersten beiden auch auf das ausbaufähige Radwegenetz.
Weinmann beklagte die Armut in der Stadt. Dominik Ochs dagegen ließ (in Manier eines klugen Spaßkandidaten, der das Publikum für sich zu gewinnen wusste) an diesem Abend mehrfach durchblicken, dass man für junge Menschen ein deutlich größeres Kulturangebot schaffen müsse.