Die Erleichterung ist dem jungen Mann anzusehen: Nach der Urteilsverkündung im Hechinger Landgericht steht der Rumäne lächelnd auf und lässt sich die Fußfesseln abnehmen – er kann gehen. Dass er im August 2022 ein Feuer in Gammertingen gelegt hat, bei dem ein 55-Jähriger zu Tode kam, kann ihm die Schwurgerichtskammer nicht nachweisen. Wegen fehlender Beweise hat sie ihn am Freitagmittag freigesprochen.
Ein paar Stunden zuvor sah die Lage für den 25-Jährigen noch ganz anders aus: im Raum stand eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Die Staatsanwaltschaft forderte sieben Jahre Haft. Sie legte dem Rumänen zur Last, in der Nacht vom 26. auf den 27. August 2022 absichtlich einen Brand in der Gammertinger Marktstraße verursacht zu haben. Dort wohnten vier seiner Arbeitskollegen, ebenfalls rumänische Staatsangehörige. „Er war enttäuscht, dass niemand mehr wach war und mit ihm feiern wollte, als er ankam“, sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Daraufhin habe er im Wohnzimmer Feuer gelegt. „Es war ihm klar, dass es sich von den Polstermöbeln ausbreiten würde.“

Ein zweiter Mann schwebte in Lebensgefahr

Tatsächlich entwickelte sich – aus welchen Gründen auch immer – in der Wohnung ein Vollbrand, der 55-Jährige erlag noch vor Ort einer Rauchgasvergiftung. Ein zweiter Bewohner wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, wo er mehrere Tage im Koma lag, aber überlebte. „Er schwebte in Lebensgefahr und konnte nur durch die schnelle Reaktion der Feuerwehr gerettet werden“, betonte die Staatsanwältin mehrfach. Zwei weitere Männer wurden leicht verletzt.
Ein technischer Defekt kann als Ursache für den Brand ausgeschlossen werden, wie ein Gutachter in einer früheren Gerichtssitzung erklärt hatte. Infrage kommt laut dem Experten Brandstiftung – oder aber eine vergessene Zigarette. „Er gab aber zu verstehen, dass das ein eher seltenes Phänomen ist“, sagte die Staatsanwältin. „Die Bewohner müssten derart betrunken gewesen sein, dass sie ihre Zigaretten auf dem Polster abgelegt haben und nicht in den Aschenbechern, die dort herumstanden.“
Weitere Punkte, die laut Staatsanwaltschaft für die Schuld des 25-Jährigen sprechen: ein Feuerzeug in seiner Wohnung, auf dem die DNA eines Geschädigten zu finden war und eine Zeugenaussage. Ein Nachbar hatte vor Gericht berichtet, den Rumänen kurz vor Ausbruch des Brandes nahe des Hauses in der Marktstraße gesehen zu haben. „Das sind zu viele Zufälle“, fand die Staatsanwältin. Der Mann habe zudem mehrfach gelogen, etwa bei seiner Aussage bei der Polizei. Weil er zur Tatzeit nachweislich stark alkoholisiert gewesen war, sei allerdings von einer verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen: Deswegen forderte sie sieben Jahre Haft und nicht über zehn, wie bei Brandstiftung mit Todesfolge denkbar (siehe Infokasten).

Verteidiger: Es gibt keine Beweise

Carsten Kühn, Verteidiger des 25-Jährigen, hielt in seinem Plädoyer dagegen. Er wolle dem Nachbarn nicht unterstellen, dass er seinen Mandaten vorsätzlich falsch identifiziert habe, aber: „Man kann sich nicht auf diese Identifizierungsleistung verlassen.“ Und auch die DNA auf dem Feuerzeug beweise nichts: „Die Männer arbeiteten in derselben Firma und kannten sich alle wechselseitig.“ Es hätte laut der Verteidigung also durchaus sein können, dass sie sich das Feuerzeug zu einem früheren Zeitpunkt gegenseitig ausliehen.  „Das Problem bei einer DNA-Spur ist, man weiß nicht, wann sie entstanden ist.“
Die Theorie mit der vergessenen Zigarette sei nicht abwegig. Einer der Bewohner sei am Abend des Brandes schwer alkoholisiert gewesen. „Es ist naheliegend, dass er im Rauschzustand seine Zigarette liegen gelassen hat“, so der Verteidiger. Ein sicheres Wissen gebe es nicht – ebenso wenig wie Beweise gegen seinen Mandanten. „Es ist tragisch, dass ein so schlimmes Geschehen keine Aufklärung findet. Aber wichtiger ist, dass man keinen Menschen verurteilt, dem die Tat nicht nachzuweisen ist.“

Situation vor Brand bleibt unklar

Das sah auch das Gericht so und sprach den Rumänen frei. Nicht der Angeklagte müsse in Deutschland seine Unschuld beweisen, sondern die Strafverfolgungsbehörde seine Schuld,  begründete der Vorsitzende Richter, Hannes Breucker, das Urteil. Für den Anzündevorgang gebe es keine Beweismittel: weder Zeugen, noch Videos, noch gesicherte Aussagen des Sachverständigen. Die Situation vor dem Brand bleibe unklar.
Die DNA auf dem Feuerzeug bewertete Breucker als „neutrale Information“. Wann die Spur dort hinterlassen wurde, könne nicht geklärt werden. Und auch auf die Aussage des Nachbarn sei kein Verlass. Es gebe allein im Kreis der Zeugen mehrere Personen, die dem Angeklagten „zum Verwechseln ähnlich sehen“, vor allem bei Nacht. Am Körper des 25-Jährigen habe man zudem keine Auffälligkeiten wie Brandrückstände, Ruß oder Schmauch feststellen können.

Gericht: Kein Motiv nachweisbar

Ein weiterer wichtiger Punkt laut Breucker: Es gibt kein Tatmotiv. Jedenfalls habe man ein solches nicht nachweisen können. Keiner der Zeugen habe ausgesagt, dass der Rumäne mit seinen Kollegen Streit hatte, ihnen gegenüber aggressiv war oder Geld forderte. Vielmehr sei er als friedlicher Mensch beschrieben worden, der allerdings dazu neige, „im Suff“ Sachbeschädigung zu begehen. „Aber das ist eine ganz andere Größenordnung, als einen Brand zu legen und den Tod eines Menschen in Kauf zu nehmen“, führte der Richter aus.
Was bleibt, sind Zweifel. Es sei möglich, dass der 25-Jährige der Täter sei. „Aber wir konnten das nicht nachweisen.“ Die letzten Worte des Richters an den jungen Mann: „Sie wissen am besten, ob sie einen Menschen auf dem Gewissen haben, oder nicht. Wir wünschen uns inständig, dass wir uns hier in diesem Raum nicht mehr wiedersehen.“ Das dürfte wohl auch im Sinne des Freigesprochenen sein.

Hohe Strafen bei Brandstiftung mit Todesfolge

Verursacht der Täter oder die Täterin durch eine Brandstiftung wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
Leichtfertigkeit bedeutet in diesem Kontext eine Handlung aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit heraus, obwohl der Täter oder die Täterin imstande gewesen wäre, die Gefahr zu erkennen.
Der Tatbestand ist nicht nur bei direktem Verbrennen verwirklicht, sondern z.B. auch bei einer tödlichen Rauchgasvergiftung oder wenn sich das Opfer auf der Flucht vor den Flammen aus dem Fenster stürzt und so stirbt.