Kein schöner Tag für eine Frau aus Ebingen. Ihr Mann, etwas älter als sie und deutlich in den 80ern, ist dement. Obendrein halbseitig gelähmt. Sie kümmert sich um ihn. Am Ende eines langen gemeinsamen Lebens, sagt sie, könne sie gar nicht anders, als bei ihm und für ihn da zu sein.
Das wollte sie auch vergangene Woche. Ihrem Mann ging es nicht gut. Der Hausarzt wies ihn ins Krankenhaus ein. Seine Frau wollte dort ein Zimmer mit ihm teilen: „Ich muss ihn doch pflegen“, sagt sie. Und er, ihr Mann, wolle von ihr gepflegt werden. Nur von ihr.

Pfleger muss mit der Polizei drohen

Als sie aber um 16 Uhr mit ihm die Notaufnahme des Zollernalb-Klinikums betrat, entwickelte sich ihr Tag nicht nach Wunsch. Zunächst mussten beide bis 23 Uhr ausharren, ehe eine Ärztin entschied, ihr Mann müsse über Nacht bleiben, weil eine Magenspiegelung erforderlich sei.
Oben, auf der Station, erfuhr die Frau, dass sie aber nicht bleiben könne. Offenbar fehlte auf dem Einweisungsformular das Kreuz an der richtigen Stelle, jedenfalls stand in dem Formular nichts davon, dass sie als Begleitperson auf der Station gelitten sei. Davon unbeirrt, verlangte sie auf der Station nach einer Einlage und Feuchttüchern, um ihren Mann zu säubern.

Im falschen Film?

Der verantwortliche Pfleger beharrte darauf, sie möge umgehend die Station verlassen, er habe in der Nacht noch genug zu tun und könne sich nicht auch noch um sie kümmern. „Ich dachte, ich bin im falschen Film“, erinnert sich die Frau aus Ebingen.
Es entbrannte ein kurzer Streit, der Pfleger drohte sogar mit der Polizei. Diese informierte er, nachdem er sie nachts um drei erneut im Zimmer ihres Mannes angetroffen hatte. Kurze Zeit später wurde sie von der Polizei nach draußen geleitet.
Das ist ihre Sicht der Dinge. Dass diese Geschichte nicht durch die Sozialen Medien galoppiert, ist dem Fremdeln ihrer Generation mit diesem für sie immer noch neuen Medium geschuldet. Wäre sie 50 Jahre jünger, hätte das Klinikum jetzt damit zu tun, etwaige Kommentare auf Facebook zu relativieren.

„Pfleger hat alles richtig gemacht“

So schnell könnte das gehen, dabei, das belegt die Patientendokumentation, wie die Klinik auf Anfrage mitteilt, dabei hat der Pfleger schlicht und einfach alles richtig gemacht. Er hat seinerseits eine sogenannte Gefährdungsanzeige geschrieben. In dieser gab er an, dass durch das Verhalten der Frau Zeit (die er eigentlich für seine Patienten auf der Station benötigt hätte) verloren ging und er das Wohl anderer Patienten gefährdet sah.
Zwischen Personal und Patient drängen sich aber vermehrt zwei Phantome mit hässlichem Gesicht. Sie säen Zwietracht: „Wir stellen vermehrt fest, dass Aggressivität und Gewalt zunehmen“, beklagt Katharina Grjasin. Sie ist Pflegedirektorin des Zollernalb-Klinikums. Was auf Facebook eine vermutlich untergeordnete Rolle spielen würde, wäre das Anhören der Gegenseite. Die aber kann durchaus zu einem objektiveren Bild beitragen.

Deeskalationsversuche

Dr. Erwin Biecker (stellvertretender ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Standort Balingen) relativiert den Vorfall, ohne ihn abzustreiten: „Im konkreten Fall gab es zahlreiche Deeskalationsversuche.“ Pflegerinnen und Ärzte haben mit der Frau geredet, haben sie beruhigen wollen, ihr Angebote unterbreitet. Doch der betagten Frau sei keine Hilfe recht, kein Vorschlag gut genug gewesen, „und irgendwann ist der Wunsch des Personals verständlich, endlich in Ruhe weiterarbeiten zu können. Die Ärzte und Pflegekräfte haben oft Verständnis für die Bitten und Anliegen der Angehörigen, kommen jedoch ressourcenmäßig an ihre Grenzen.“
Am Tag nach dem Zwischenfall hat es die Frau bei alten Routinen belassen: Sie hat sich über den Pfleger beschwert. Bei dessen Vorgesetzten, zudem, das hat sie in einem Gespräch mit unserer Zeitung angekündigt, werde sie sich auch an Landrat Günther-Martin Pauli wenden, schließlich sei ihr Mann in der CDU: „So geht man nicht mit Menschen um“, sagt sie. Ganz gleich, ob ihr Mann privat versichert ist (er ist es) oder nicht, das müsse man sich nicht gefallen lassen.

Beschwerde beim Landrat

Solche Fälle gibt es, bestätigt der Sprecher des Landratsamts, Steffen Maier. Fälle, die auf dem Schreibtisch des Landrats landen. Als solcher ist Pauli Aufsichtsratsvorsitzender des Zollernalb-Klinikums. Aber er greife nicht ein ins operative Geschäft. Auch dann nicht, wenn ihn die Beschwerde eines Parteifreunds erreicht. „Vielen Dank für den Hinweis“, pflegt er zu antworten, „bitte wenden Sie sich ans Klinikum.“ Dort gibt es eigens ein Beschwerdemanagement. Mitarbeiter werden übrigens in Kommunikationstraining und Selbstverteidigung geschult. So weit ist es gekommen. Also abhaken?
Nein. Dazu sind solche Fälle viel zu exemplarisch, weil kaum etwas den Klinikalltag so trefflich zu beschreiben, respektive so klischeehaft zu verzerren vermag. Genau das stört Pflegedirektorin Katharina Grjasin und den stellvertretenden ärztlichen Direktor Erwin Biecker. Während Corona haben die Medien Ärzte und Pfleger gefeiert, sagen sie. Insbesondere aber haben sie über die coronabedingt widrigen Arbeitsbedingungen berichtet. Danach aber sind sie nicht mehr zur Normalität zurückgekehrt: „Da wurde der Beruf kaputt geschrieben“, klagt Katharina Grjasin an.
Dabei biete er so viele Möglichkeiten zur internen und externen Weiterbildung. „Es gibt viele Karrierechancen.“ Ob im Pflegemanagement, in der Pflegewissenschaft, auf der Stroke-Unit, im Palliativ-Bereich, als Praxisanleiter, als Intensivpfleger, in der Onkologie oder in anderen Bereichen.
Zudem können Pflegekräfte bis zu 39 Tage Jahresurlaub erhalten. Das bietet nicht jede Branche.

Fachkräfte fehlen

Vor 20 Jahren war das anders. Damals waren 28 Tage üblich. Auch Ärzte kennen nicht mehr die früheren, qualvoll langen und schlafraubenden 36-Stunden-Schichten: „Da waren wir immer in der Klinik“, erinnert sich Biecker an seine Anfangszeit. Das sei jetzt viel besser, sagt er.
Mehr Freizeit, das bedeutet aber auch weniger verfügbares Personal. „Natürlich kommt es dann in einer Notaufnahme zu Wartezeiten.“ Zumal das Patientenaufkommen nicht planbar ist. Langes Warten gefällt den wenigsten Patienten. „Verständnis und Rücksicht“, sagt Katharina Grjasin, „würden in solchen Situationen allen das Leben erleichtern“. Der Fachkräftemangel ist auch in der Medizin ein Thema: „Ohne Ärzte aus dem Ausland kämen wir nicht mehr über die Runden“, sagt der Chefarzt. Ohne renitente Patienten mit Chefarztallüren durchaus.