Markus Streich betritt einen schmalen Steg, links und rechts blubbert braunes Wasser. Der Chef der Balinger Kläranlage geht ein paar Schritte, dann dreht er sich um und blickt auf einen Turm, der mit Treppen und Rohren ausgestattet ist. „Das hier“, sagt er, „ist das Herzstück.“
Das silberne Bauwerk, zirka 15 Meter hoch, trägt einen sperrigen Namen: Klärschlammverbrennungsanlage. Sie gehört zu den wichtigsten Stationen im Mikrokosmos der Balinger Kläranlage. „Quasi ein Stromgenerator“, erklärt Streich.
Im Turm wird, wie der Name erahnen lässt, der aus dem Wasser abgeschöpfte und getrocknete Klärschlamm verbrannt. Mit der dabei entstehenden Prozesswärme wird Strom erzeugt. Übrig bleibt am Ende nur noch eine Schlacke – rund ein Sechstel der ursprünglichen Klärschlamm-Masse.
Die Kläranlage versorgt sich also selbst mit Energie. „In guten Jahren können wir 90 Prozent des Bedarfs decken“, berichtet Streich. Damit gilt die Kläranlage im Norden der Stadt als eine der Pionieranlagen Baden-Württembergs. „Besonders jetzt, in der Energiekrise, kommt uns das zugute“, sagt Helmut Reitemann stolz. Der Balinger OB schreitet zusammen mit Streich das Gelände ab. Hinter ihm steigt Dampf aus dem silbernen Turm auf, die Verbrennung läuft. „Viele wissen das gar nicht“, betont Reitemann. „Aber so eine Kläranlage benötigt von allen städtischen Gebäuden mit am meisten Strom.“ Aus diesem Grund hat Balingen bereits vor 20 Jahren in die Anlage investiert, um sie energieeffizienter und zukunftstauglich zu machen.
Gebisse im Abwasser
Dabei ist nicht nur die Klärschlammverbrennungsanlage von Bedeutung. Auch die beiden Faultürme, die wie Getreidesilos in die Höhe ragen, liefern Energie. Während der Klärschlamm darin fault, entstehen pro Jahr rund 450 000 Kubikmeter Faulgas, was einem Heizwert von rund 2,8 Millionen Kilowattstunden entspricht. Zum Vergleich: Damit könnte der Gasbedarf von bis zu 90 Einfamilienhäuser gedeckt werden.
Die beiden Männer gehen ins Betriebsgebäude der Kläranlage. Der Hauptraum, den der Chef „Schaltzentrale“ nennt, sieht aus wie das Innere eines Raumschiffs. Knöpfe leuchten, Bildschirme flackern. Insgesamt 14 Mitarbeiter sind hier dafür zuständig, dass alles stimmt: Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt, Wasserableitung. An der Wand prangt eine große Karte, die das Gebiet des Balinger Zweckverbandes zur Abwasserreinigung zeigt: Geislingen, Dotternhausen, Dormettingen sowie den Albstädter Stadtteil Laufen und natürlich Balingen selbst.
Wer in diesem Gebiet auf die Klospülung drückt, schickt seine Hinterlassenschaften über die Kanalisation in den Norden Balingens. Mit einem groben Rechen und einem Fettfang wird das Abwasser in der Kläranlage vorgefiltert. „Es kann durchaus vorkommen, dass wir Gegenstände wie Gebisse oder Handys rausfischen“, berichtet Streich.
Dann durchläuft das Abwasser mehrere Becken. Die verschiedenen Bakterien darin reinigen es als „Putzkräfte“ Schritt für Schritt. Hierbei entsteht auch der wertvolle Klärschlamm.
Neue PV-Anlage geplant
Das saubere Wasser, von dem ein ehemaliger Klärmeister als Arbeitsnachweis durchaus mal einen Schluck genommen hat, wie Streich erzählt, gelangt schließlich in die Eyach. Dank des Höhenunterschieds wird über eine Turbine auch noch im letzten Arbeitsschritt Strom gewonnen.
Mit mehr als 90 Prozent ist die Balinger Kläranlage in guten Jahren nahezu energieautark. Irgendwann sollen es 100 Prozent werden, da sind sich die beiden Männer einig. Ein Problem sieht der Fachmann Streich noch in den Treibhausgasen, die aus den offenen Becken ausdampfen. Dafür gebe es noch keine Lösung.
Solange will die Stadt andere Bereiche weiter optimieren. Auf fast allen Dächern der Kläranlage gibt es bereits Photovoltaik-Anlagen, die nun um eine neue Freiflächenanlage ergänzt werden sollen. „Wenn alles nach Plan läuft, starten wir noch in diesem Jahr mit dem Bau“, sagt Streich. Die Investitionskosten liegen bei rund einer Million Euro.
Weiteres Potenzial sieht OB Reitemann in der Abwassertemperatur. Die liegt derzeit zwischen sieben und acht Grad: „Wir könnten etwas Wärme entziehen und sie ebenfalls energetisch nutzen.“ Allerdings müsse man auch noch prüfen, ob die Bakterien und Eyach das kältere Wasser überhaupt vertragen. Fest steht, betont Reitemann, dass in der Balinger Kläranlage mehr Energiepotenzial steckt als sie verbraucht: „Das wollen wir künftig noch besser nutzen.“
Seit 1977 in Betrieb
Historie Die Balinger Kläranlage mit ihrem rund 50 Kilometer langen Sammelnetz ist seit 1977 in Betrieb. Mit einem Kostenaufwand von rund 40 Millionen D-Mark war sie zur damaligen Zeit eines der größten kommunalen Projekte der Region Zollernalb. Seit 20 Jahren legt der Zweckverband Abwasserreinigung zunehmenden Fokus auf das Thema Energieeffizienz. Pro Jahr reinigt die Anlage rund zehn Milliarden Liter Abwasser.