Nördlich von Frommern zeigt sich Autofahrern eine grüne Landschaft, so idyllisch wie sie Joghurthersteller gerne auf ihren Verpackungen präsentieren. Das Idyll trügt, denn unter dem Grün vergraben liegen eben solche Verpackungen mitsamt all der restlichen Hinterlassenschaften früherer Generationen: ein Müllkörper von einem Volumen über 55 000 Kubikmeter, rund 14 Meter mächtig.
Diese alte Deponie „Mettenesch“ ist ein Relikt aus Zeiten, da jede Gemeinde sich ihres Abfalls noch selbst entledigte. Haus- als auch Industriemüll landete ohne jede Trennung in Erdmulden oder auf abschüssigem Gelände. Solche sogenannten Altlasten befinden sich in Balingen noch an weiteren Stellen, darunter die Deponie „Am Büttenbach“ in Zillhausen sowie am alten städtischen Müllplatz in der Kernstadt.
Fällige Sanierungsarbeiten an den alten Mülldeponien
Für diese Bestände hatten die Verwaltung und der Gemeinderat 2018 das Ingenieurbüro HPC AG aus Rottenburg mit Sanierungsuntersuchungen beauftragt. Das Augenmerk lag auf den Verdolungen, also das Rohrsystem, über welches durch den Abfall hindurch gesickertes Regenwasser zum Schutz des Grundwassers umgeleitet wird.
Die nun vorliegenden Ergebnisse wurden am Mittwochabend dem Technischen Ausschuss vorgelegt. „Hat der Vortrag dazu gedient, uns zu schockieren?“, möchte Ausschussmitglied Klaus Hahn (CDU) rhetorisch wissen. Denn gemessen anhand der aktuellen Preise in der Baubranche kommen auf die Stadt Sanierungskosten von mehr als zwei Millionen Euro zu, wobei von einer weiteren Kostensteigerung auszugehen ist.
Vergrabene Mischkippen
Der Usus im Umgang mit Abfall, wie er zwischen den 50er und 70er Jahren herrschte, rächt sich beinahe überall in der Republik schwer. Nach Recherchen des Deutschlandfunk existieren mindestens 80 000 solcher Mischkippen mit unterschiedlicher Gefahr für die Umwelt. Und was Balingens Technischen Ausschuss gestern beschäftigte, dürfte in 50 bis 60 Jahren die neue Generation von Balingern aufs Neue vor immense Ausgaben stellen. Dann dürfte die Sanierung sanierfällig sein. Langfristige Linderung wäre eigentlich der Aushub und die sachgerechte Entsorgung. Solche Kosten aber können sich die Kommunen nicht leisten, und so wählt man das kleinere Übel, saniert die Konstruktionen aus den 60er und 70er Jahren.
Nicht alle Kippen sind mit einer Verdolung versehen. Gebaut wurden sie dort, wo man besondere Bedenken, zum Beispiel wegen naheliegender Gewässer hegte. Die Rohre verlaufen durch oder unterhalb der Abfallkörper und sind meist von leicht porösem Beton, sodass verschmutztes Sickerwasser eindringen und dann ablaufen kann. Über vertikal eingebaute Schächte ist es möglich, die Verdolungen auf ihren Zustand zu inspizieren.
Keine Gefahr für Grundwasser, aber Bedenken bei Bächen
Alle drei Deponien in Balingen sind nach Angaben der HPC schwer sanierungsbedürftig. Sie weisen Rissen auf, in Zillhausen ist ein Rohrkörper bereits eingebrochen. Untersuchungen während der frühen 2000er Jahre haben in allen Fällen dieselben Hauptschadstoffe zutage gefördert. Dabei handelt es sich um Mineralölkohlenwasserstoffe und polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, die man auch im Sickerwasser fand.
Auch ein erhöhter Ammoniumgehalt wurde festgestellt. Die Werte seien nicht „exorbitant“, in jedem Fall aber müsste die umliegende Natur geschützt werden, so das Ergebnis von HPC: In den Ablagerungskörpern darf sich kein Wasserstau bilden, sonst können die Schadstoffe ausgeschwemmt werden und an die Oberfläche gelangen. Auf Nachfrage von Erwin Feucht (Grüne) bestehe in Balingen immerhin keine Gefährdung für das Grundwasser.
Kleinste Baustelle ist die Frommener Deponie. Hier wurde von 1961 bis 1978 überwiegend Hausmüll und in kleiner Menge gewerblicher Abfall (rund zehn Prozent) entsorgt. Die Verdolung wurde mit einer Kamera abgefahren. Dabei stellte das Ingenieurbüro erhebliche Risse und defekte Anschlüsse fest, auch an den Kontrollschächten.
Weil auf der Verdolung das Gewicht des alten Abfalls ruht, werden sich die Risse mittelfristig vergrößern. Für die Sanierung soll eine Standardmethode angewandt werden; ein Rohr wird sozusagen in das bestehende Rohr eingesetzt. Hierfür fallen nach derzeitigem Stand 370 000 Euro an.
Müll setzt sich in Bewegung
Dringlicher sei die Situation derweil in Zillhausen am Büttenbach. Von Stockenhausen kommend liegt an betreffender Stelle links der Straße verborgener Abfall aus den Jahren 1950 bis 1975, ebenfalls Haus- und Gewerbemüll. Die Masse hatte sich 1966 in Bewegung gesetzt, es kam zu einer Rutschung. Aktuell sei die Standsicherheit erneut in einem kritischen Bereich.
Das liegt daran, dass der Abfall an einem Steilhang liegt und das Abrutschen bei zu hoher Wassereinlagerung droht. An der Verdolung seien einige Schäden bereits irreparabel, sodass kein integriertes Rohr, sondern nur noch eine Wiederherstellung in offener Bauweise möglich sei (rund 290 000 Euro).
Enorme Kosten, aber zu 50 Prozent förderfähig
Zum alten städtischen Müllplatz gehört ein begehbarer Tunnel von rund 170 Metern Länge. Der betonierte Teil – ältere Abschnitte sind noch aus Naturstein – ist teilweise weggespült, zudem hat sich Schwemmmaterial abgelagert. Für die Sanierung schlägt HPC eine bogenförmige Wellstahlkonstruktion vor, weil andere Verfahren mit erheblichen Risiken beim Bau verbunden seien. Hier beläuft sich die voraussichtliche Ausgabe auf satte 1,37 Millionen Euro.
„Es sind enorme Kosten, die da auf uns zukommen. Aber nichtsdestotrotz werden wir daran nicht vorbeikommen“, resümierte Oberbürgermeister Helmut Reitemann vor einem nach dem Vortrag recht schweigsamen Ausschuss. „Aber wir müssen das nicht gleich morgen machen, sondern können Zug um Zug planen.“ Laut HPC wären die Maßnahmen zu 50 Prozent förderfähig.
Ein kleiner Abriss für jüngere Leser
Dass Gemeinden und Städte noch bis in die 70er hinein Müll vergruben, hat seinen Ursprung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Schutt und Trümmer sollten schnell und unkompliziert verschwinden. Dies wurde sozusagen zum Standardverfahren, bis schließlich die aufkeimende Umweltbewegung für ein gesamtgesellschaftliches Umdenken sorgte, und damit die organisierte Müllabfuhr in ihrer heutigen Form entstand. Sie wird nicht durch die Gemeinden, sondern durch Landkreise (mit Ausnahme der großen Städte) und durch gewerbliche Anbieter abgewickelt. Die in diesem Zuge entstandenen Deponien sind mittlerweile aber ebenfalls gut gefüllt, weshalb heute ein erheblicher Anteil unseres Abfalls über die thermische Verwertung entsorgt wird; er wird schlicht verbrannt.