Lange sah die OB-Wahl nach einem Duell aus, Dirk Abel (CDU) gegen Erwin Feucht (er ist bei den Grünen). Kurz vor Bewerbungsschluss am 6. Februar haben fünf weitere Kandidierende ihre Bewerbung erfolgreich abgegeben, sie sind zur Wahl zugelassen. Eine von ihnen ist Sybille Fleischmann. Sie wird von der SPD unterstützt, tritt aber als unabhängige Kandidatin an. Und wenn in Balingen jemand sagt, „die kenne ich schon als so kleines Mädle“, liegt das daran, dass sie in einem prominenten Haus in dieser Stadt aufgewachsen ist: Ihr Vater war zwei Amtsperioden lang Balingens Oberbürgermeister. Verwaltungserfahrung hat sie also indirekt. Sie weiß, dass dieser Beruf in vielen Fällen weder Feierabend noch Wochenende kennt.

Frau Fleischmann, welche Fähigkeiten bringen Sie mit in diesen Wahlkampf?

Sybille Fleischmann: Ich war bei Microsoft Projektmanagerin, sechs Jahre in Deutschland, sieben in den Vereinigten Staaten. Dabei habe ich in den Projekten alle Phasen der Produktentwicklung betreut. Es ging darum, zu verstehen, was die Nutzer wollen und wie wir das umsetzen. Das waren komplexe Probleme, unsere Aufgabe war es, verschiedene Interessengruppen zusammenzubringen. Das hilft mir im Wahlkampf sehr, ebenso wie die Kurse in Kommunalpolitik, die ich besucht habe.

Weil Digitalisierung nicht nur der Unterhaltung dient, sondern wichtige Aspekte des öffentlichen Lebens neu beleben kann.

Richtig, das habe ich erlebt nach dem verheerenden Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010. Ich leitete ein landesweites Infrastrukturprojekt, um Breitband-Internetanschlüsse in die Städte außerhalb der Hauptstadt und den ländlichen Raum zu bringen. Durch diese Anbindung kann sich Gewerbe dort ansiedeln. Dafür habe ich Ausbilder, die Unternehmen und die Verwaltung zusammengebracht und das Projekt koordiniert.

Ihr Beruf hat sie durch die halbe Welt geführt, nicht angesprochen haben wir Ihr Engagement in Südamerika, in Afrika und zuletzt in der Ukraine. Wirkt eine Rückkehr nach Balingen nicht wie ein Bruch im Lebenslauf?

Nein, Balingen ist meine Heimat. Als ich 2016 hier meine Mutter bis zuletzt gepflegt habe, habe ich deutlich gesehen, was im Leben wirklich wichtig ist. Ich war mit viel Freude in der Welt unterwegs, aber jetzt möchte ich mich für meine Heimatstadt engagieren.
Ob Wahl Balingen Sybille Fleischmann
Ob Wahl Balingen Sybille Fleischmann
© Foto: Peter Kiedaisch

Was möchten Sie in Balingen alles angehen?

Unbedingt die Digitalisierung, sie durchzieht alle Themen. Sie ist der Motor, um Prozesse zu optimieren. Es wird auch darum gehen, wie wir Dienste für unsere Bürgerinnen und Bürger künftig anbieten.

Sie wollen eine Plattform für Bürger schaffen?

Die Plattform gibt es schon, die Frage ist, was da drauf steht. Mir fehlen Protokolle, um Gemeinderatsentscheidungen nachvollziehen zu können. Es sollte nachvollziehbare Erklärungen zu allen Entscheidungen geben.

Ratsprotokolle zu lesen, dürfte nicht allen Freude machen.

Gut, nehmen wir ein anderes Beispiel: Warum benutzen so wenige Menschen den Rufbus? Weil viele glauben, das sei ein Service lediglich für Seniorinnen und Senioren. Es muss kommuniziert werden, dann muss es darum gehen, wie solche Dienste vernetzt werden können, etwa mit anderen Bewegungsformen. Und dafür braucht es eine gut verständliche App oder den Zugang per Telefon.

Balingen wirkt wie alle Städte sehr verdichtet. Und dennoch herrscht Wohnraummangel. Wie sieht Ihr Konzept aus?

Es stimmt, die jüngsten Bauprojekte sind nicht immer auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten, insbesondere nicht für Familien. Wir müssen da mehr machen, das höre ich oft. An der Eyach entstehen gerade zwei neue Mehrfamilienhäuser. Das ist schön, aber für die meisten zu teuer.

Preiswerten Wohnraum zu schaffen, ist eine Kunst, an der schon viele Konzepte abgeprallt sind.

Es gibt kein Patentrezept, aber ich schaue mir verschiedene Ansätze an. Etwa Baugenossenschaften, in denen sich Bürgerinnen und Bürger zusammentun, und bei denen die Stadt als Bürge einspringt. Eine Idee könnte auch die Konzeptvergabe sein. Da kann man beispielsweise eine Sozialquote integrieren. Doch wie wir es drehen und wenden: Die Baukosten steigen, das ist ein großes Problem.

Das Thema Bildung ist auch sehr relevant, wie steht es um die frühkindliche in Kitas?

Als Wirtschaftsstandort brauchen wir Kita-Plätze. Und zwar bedarfsgerecht, möglichst wohnortnah und mit guten Öffnungszeiten. In Sachen Ganztagsbetreuung an den Schulen kommen weitere Aufgaben auf die Verwaltung zu. Auch hier gilt es, auf die vielfältigen Angebote hinzuweisen. Wir werden Sporthallen, die auch von Schulen genutzt werden, sanieren müssen.

Wie geht es dem Gewerbe in Balingen?

Die Verwaltung für die Unterstützung des Gewerbes ist gut aufgestellt. In Niko Skarlatoudis und seinem Team haben wir jemanden, der wirklich etwas bewegt. Was wir zusätzlich bräuchten, wäre so etwas wie Fördermittelmanagement. Wenn man an Gelder von EU, Bund oder Land herankommen will, ist das extrem aufwendig. Das sehen wir auch daran, wie lange es gebraucht hat, die Töpfe für Digitalisierung an Schulen anzuzapfen. Das ist eine große Aufgabe für die Stadtverwaltung.
Wenn Fördermittel nicht abgerufen werden, liegt das oft daran, dass die Zeit für Kreativität fehlt, wie die Fördermittel eingesetzt werden können. Zum Beispiel wird ein städtischer Klimamanager zu 100 Prozent gefördert. Aber man muss erstmal draufkommen. Und den brauchen wir, denn die Klimafolgen-Anpassung wird auch die Kommunen beschäftigen. Es geht nicht nur darum, wie wir uns vor Extremwetterereignissen wie Sturzregen besser schützen können, es wird auch wichtig sein, ein Konzept zu erarbeiten, wie wir extreme Hitze im Sommer besser abfedern können. Und natürlich wird es für das Gewerbe wichtig sein, die interkommunalen Konzepte weiterzuentwickeln. Wir sollten auch für Start-ups etwas anbieten können, etwa Co-Working-Spaces.

Wie kann der Verkehr in der Stadt noch flüssiger werden?

Dem Thema begegne ich sogar auf dem Wochenmarkt. Die Leute sind begeistert von den neu geschaffenen Kreisverkehren. Wo früher langes Warten an den Ampeln großer, unübersichtlicher Kreuzungen Alltag war, ist jetzt das Einfädeln in den Kreisverkehr viel angenehmer, einfach, weil man kaum warten muss.

Andere Städte, etwa Tübingen, würden Autos am liebsten ganz aus der Stadt verbannen. Was halten Sie davon, Autofahren unattraktiver zu machen, indem Sie weniger öffentlichen Parkraum anbieten?

Das wäre bestimmt keine gute Idee. Wir haben eine schöne Fußgängerzone, drumherum gibt es viele kostenfreie Parkplätze. Das hat sich bewährt und hängt auch mit dem Mobilitätskonzept der Stadt zusammen. Noch können die Menschen aus den Stadtteilen nur mit dem Auto in die Innenstadt kommen. Zudem wäre eine Umstellung auf kostenpflichtige Parkplätze mit Investitionen verbunden, von denen man gar nicht weiß, ob sie sich amortisieren würden. Das würde sich nicht lohnen. Ja, es gibt den Trend, Autofahren unbequem zu machen. Dafür braucht man dann aber auch die gut ausgebaute Alternativen des ÖPNV. Mein Ziel ist es, es den Menschen leichter zu machen. Denken wir nur an die Senioren. Und an die Einzelhandelsgeschäfte, die ohne kostenfreie Parkplätze weniger Kunden haben würden. Die Balinger sind Auto-affin.

Stadtentwicklungskonzepte sind bereits auf den Weg gebracht worden.

Ja, aber wir müssen auch noch einiges umsetzen. Vieles muss man nicht revolutionär verändern hier, aber weiterentwickeln. Wir haben eine tolle Stadtverwaltung, auch der Gemeinderat arbeitet produktiv über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammen.

Wie wird die Wahl ausgehen?

Wenn ich 51 Prozent erhielte, wäre es schön, es steht aber zu befürchten, dass es einen zweiten Wahlgang geben wird.

Werden Sie plakatieren?

Natürlich, sobald die Plakate von der Druckerei geliefert werden, wahrscheinlich heute noch. Die Adresse meiner Webseite lautet „www.fleischmann.jetzt“. Reinschauen ist erlaubt.

Sybille Fleischmann: Zur Person

Die gebürtige Balingerin Sybille Fleischmann ist die Tochter des ehemaligen Oberbürgermeisters Dr. Eugen Fleischmann. Sie ist bereits früh mit Kommunalpolitik in Berührung gekommen.
Fleischmann gehört keiner Partei an und tritt als überparteiliche Kandidatin an. Die Bewerbung der 50-jährigen Projektmanagerin bei der OB-Wahl wird von der örtlichen SPD unterstützt.
Die Kandidatin Sybille Fleischmann wohnt in Balingen – in der Stadt, in der sie aufgewachsen ist, die ihre Heimat ist.