Es klingt paradox: Überall werden Maßnahmen ergriffen, um den Klimawandel zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen. Ausgleichsmaßnahmen bei Versieglungen von Flächen gehört längst zum Standard vieler Kommunen, obwohl auch hier kritisiert wird, es handelt sich nur um einen Scheinausgleich. Mehr Grün scheint jedoch vielerorts angestrebt, um Städte abzukühlen und beispielsweise Lebensraum für Insekten zu bieten. In Albstadt aber werden Mittelbeete abgebaut. Der Grund dafür: Rechtsvorschriften machen die Pflege dieser Beete fast unmöglich (die SÜDWEST PRESSE berichtete). Das Paradoxon stößt dem Grünen-Ortsverband von Albstadt allerdings gewaltig auf.
Mit Beton versiegelt
Blühende und grüne Beete in den Albstädter Fahrbahnmitten sollen weichen. Nachdem bereits zahlreiche Beete im Stadtteil Ebingen mit Beton versiegelt wurden, setzt sich die kommunale Grünvernichtung nun im Talgang und auch im Eyachtal mit den „schöneren“ Granitbelägen fort.
Im Ortsverband der Grünen war man sich in der jüngsten Sitzung am Dienstag einig, dass das Gebot der Stunde Entsiegelung und nicht Versiegelung von Flächen laute. Das Unverständnis beim Ortsverbandsvorsitzenden Markus Ringle, bei der ebenfalls anwesenden Fraktionsvorsitzenden Susanne Feil und bei allen anderen Anwesenden war daher grundsätzlicher Art, weil Flächenversiegelungen immer einhergeht mit negativen Folgen, zum Beispiel für die Artenvielfalt, für den Wasserkreislauf oder für das Flächenklima.
Ist es wirklich durchdacht?
Stirnrunzeln verursachte die städtische Darstellung, wonach die Grünvernichtung deswegen erforderlich sei, weil die Grünpflege für die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr sicher möglich wäre, teilt der Ortsverband mit. Die Autofahrer würden sich nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen und Absperrmaßnahmen halten. Im Ortsverband stellte man sich Fragen: Nutzt die städtische Verwaltung tatsächlich alle verkehrsrechtlichen Möglichkeiten, um die eigenen Mitarbeiter zu schützen? Gibt es vielleicht eine Scheu vor vermeintlich unpopulären Maßnahmen wie temporäre Ampellösungen und Umleitungen? Welche Sanktionen haben Autofahrer bei Geschwindigkeitsüberschreitung zu erwarten? Wie schaffen es andere Gemeinden, ihre Grünanlagen zu erhalten?
Der Grünen-Ortsverband spricht sich für den Erhalt der Mittelbeete als grüne, blühende Inseln und Lebensräume für Flora und Fauna ebenso aus wie für eine zeitnahe Antragsstellung auf Ermittlung des Flächenentsiegelung-Potenzials in Albstadt. So könnte es einen Ausgleich für die abgebauten Beete geben. Die Stadt hatte indes solchen Ausgleichsflächen bereits zugestimmt. Ins Detail ging es diesbezüglich aber noch nicht.
Auf einem Quadratmeter Erdboden lassen sich teils 2000 Arten wie Regenwürmer, Raubmilben und Springschwänze finden. Experten gehen davon aus, dass dies 100 000 Individuen entspricht, die beim Pflanzenwachstum helfen. Das Verkehrsministerium des Landes Baden-Württemberg hat daher 2018 erstmals den Wettbewerb „Blühende Verkehrsinseln“ ins Leben gerufen. Landkreise, Städte und Gemeinden wurden dazu aufgerufen, Verkehrsinseln zu bepflanzen, um Nahrung und Lebensraum für Wildbienen und andere Insekten zu schaffen. Wichtig ist bei dem Wettbewerb, dass sich die Fläche auf oder neben einer Straße befindet und die Pflanzen heimisch sind.
Sind Ausgleichsflächen vorhanden?
Doch trotz eines solchen Wettbewerbs bleibt das Problem mit den „Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen“ (RSA), die die Stadt Albstadt noch vor Jahresfrist umgesetzt hat. Eine Lösung hierfür liefer der Bund deutscher Baumschulen. Im Rahmen der Kampagne „Mehr grüne Städte für Europa“ empfiehlt der Bund auf pflege-extensive Bepflanzung zu setzen. Denn neben der RSA gebe es oft nicht genug Personal, um sich um solche Flächen zu kümmern, teilt der Bund mit. Es gebe aber eben Pflanzen, die weniger Pflege benötigen.
Die Stadt hält Sperrungen für „unverhältnismäßig“
Bei Arbeiten an bepflanzten Mittelinseln müssen seit April 2022 drei Meter Restfahrbahn übrig bleiben, damit beispielsweise die Feuerwehr noch ungehindert dort entlangfahren kann.
In der Goethestraße in Tailfingen aber ist dieser Abstand nicht gegeben. Eine Sperrung und eine Umleitung über Wohngebiete hält die Stadt für wenig zielführend. Schließlich fahren täglich mehr als 20 000 Fahrzeuge über die Goehtestraße. Eine Sperrung würde einen raschen Rückstau auslösen, so Baubürgermeister Udo Hollauer.
Die Stadt Albstadt hält solche Eingriffe in den Verkehr wegen einiger Beete für „unverhältnismäßig“, da jedes Beet bis zu fünfmal jährlich gepflegt werden muss. Wie viele solcher Mittelbeete abgebaut werden, ist in der Stadt noch nicht bekannt. buxx