Die Bekleidungsbranche gilt als eine der schmutzigsten auf der Welt. Zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entstehen bei der Herstellung von Kleidung und Schuhen. Das ist mehr, als internationale Flüge und Seeschifffahrt zusammen verursachen. Das Europäische Parlament hat weitere Zahlen: Allein 2015 verbrauchte die Textil- und Bekleidungsbranche 79 Milliarden Kubikmeter Wasser. 2700 Liter Wasser benötigt es für die Herstellung eines T-Shirts. Das ist etwa die Menge, die eine Person in zweieinhalb Jahren trinkt. Inwieweit muss die Politik deswegen die Hersteller in die Pflicht nehmen?
Seit Jahren gilt in der Europäischen Union die „Extended Producer Responsibility“ (EPR), die „erweiterte Herstellerverantwortung“. Mit dieser Regelung sollen Hersteller in die Pflicht genommen werden, recyclingfähige Materialien und Waren zu produzieren, recycelte Fasern einzusetzen und die Entwicklung von Zukunftstechnologien zur Aufbereitung und Verwertung der Fasern aus Alttextilien zu fördern. Das klingt erstmal vielversprechend, allerdings ist die Auslegung der EPR den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen.
Erhöhung der Recycling-Quote
Zudem veröffentlichte die EU-Kommission im März 2022 im Rahmen des „Green Deal“ eine Textilstrategie als Teil des Maßnahmenplans für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Ziel dieser Regelung sei die Erhöhung der Recycling-Quote im Bekleidungssektor. Dies ist eine der Maßnahmen, um bis 2050 den Übergang hin zu einer klimaneutralen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu schaffen. Angestrebt wird, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.
„Ein anderes Beispiel, das derzeit in der Branche die Runde macht, ist das geplante Verbot der PFA“, sagt Dr. Wolfgang Epp, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen, über Perfluoralkoxy-Polymere. „Teflon oder die GoreTex-Schicht sind mit diesen Langzeitchemikalien gefertigt.“ Ein Verbot hätte einschneidende Auswirkungen auf die Textilindustrie, erklärt Epp. Ein einseitiges Verbot für bestimmte Anwendungen habe auch schnell Auswirkungen auf andere Branchen. „Bei uns in der Region wird diese Schicht beispielsweise sehr erfolgreich für Stents und bei Führungsdrähten eingesetzt.“ Diese werden beispielsweise in Hechingen und Dettingen hergestellt. Der Wegfall von PFA in der Textilindustrie könnte dazu führen, dass für die eigentlich von dem Verbot ausgenommene Medizintechnikbranche die Produktion zu teuer wird, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK.
Die Kammer hatte vergangene Woche zu einem Expertenforum Textil nach Albstadt geladen. Textilunternehmen müssen sich für den gesamten Lebenszyklus ihrer Waren verantworten, insbesondere mit Blick auf Recycling, Entsorgung und den Einsatz recycelter Fasern. Doch wie kann das in der Praxis umgesetzt werden und mit welchem bürokratischen Aufwand für die Unternehmen? Diese Fragen stellten sich die Teilnehmer des Expertenforums, und erarbeiteten sieben Forderungen.
Denn unter den Gästen war auch Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: „Die Textilregion Neckar-Alb gehört zu den stärksten in Europa.“ Sie sei eine Wirtschaftskraft und -macht. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit dies auch so bleibt. Ein Verbot bestimmter Chemikalien beispielsweise hätte zur Folge, dass ganze Produktionsstrecken ins Ausland umgesiedelt werden, so die Ministerin.
Doch sie betonte auch, dass sich jedes Unternehmen auf den Green Deal einstellen müsse und sich die Anforderungen tiefgreifend verändern werden. Sie wolle sich jedoch dafür einsetzen, die Regelungen zu vereinfachen und die Regelungswut zu reduzieren. „Wir sind dazu gezwungen, dass die Vorgaben auch umsetzbar sind.“ Das gelte nicht nur für die Textilbranche.
Kostensteigerung und Bürokratie
Umsetzbarkeit umfasst auch die Finanzierung solcher Umstellungen. Schon jetzt haben Unternehmen mit Bürokratie und Kostensteigerungen zu kämpfen. Ein Beispiel nennt Martina Bandte, Präsidentin von Karl Conzelmann, Vorstandsvorsitzende der Fachvereinigung Wirkerei Strickerei Albstadt und Präsidentin von Gesamtmasche: Im Rahmen der Tarifverhandlungen wurde einer durchschnittlichen Einkommenserhöhung um 8,1 Prozent zugestimmt und einer Einmalzahlung in Höhe von 3000 Euro. „Erwirtschaftet haben wir diese Erhöhung noch nicht.“
Es sei unbestritten, dass ein modernes Unternehmen auch nachhaltig wirtschaften müsse, so Bandte. „Doch den Kampf gegen Fast Fashion gewinnen wir nicht mit Bürokratie.“ Schon jetzt müssen zahlreiche Unternehmen ihre Produktion einstellen, erklärt Jens Meiser, Geschäftsführer von Carl Meiser. Von zwölf Faserherstellern haben acht schließen müssen. „Ich war davon überzeugt, dass der Green Deal eine Chance ist.“ Mittlerweile sei er pessimistischer, hofft aber auf Rückenwind vonseiten der Politik.
Info Zum Expertenforum Textil der IHK waren namhafte Vertreter erschienen: Eschler Textil, Hugo Boss, Marc Cain, Mey, Uhlsport, Vaude Sport, Hohenstein Institute, Hochschulen Albstadt-Sigmaringen und Reutlingen, Karl Conzelmann, Comazo, Carl Meiser, Gebrüder Conzelmann, Groz-Beckert, Mayer & Cie., Reseda Binder und Trigema.
Die Forderungen der Textilbranche Neckar-Alb
Für die Textilunternehmen der Region ist klar, eine Umsetzung des Green Deal geht nur in Zusammenarbeit mit Unternehmen und Politik. Beim Textilforum der IHK verfassten sie sieben Forderungen an die Politik:
● Keine nationale Lösung, sondern eine EU-einheitliche Lösung
● Alle Akteure der textilen Wertschöpfungskette sollen miteinbezogen werden, bei der Ausarbeitung der praktischen Umsetzung und der Bewertung der „Gebührenverordnung“ und bei der Definition der Güte des Produktes in Bezug auf die Umweltauswirkungen
● Recycling-Infrastruktur weiter ausbauen und gefördert wird
● die erhobenen Gebühren sollen für Forschung, Entwicklung sowie den Aufbau eines Recycling-Systems eingesetzt werden
● einfache Handhabung des gesamten Prozesses
● keine Benachteiligung des EU-Binnenmarkts
● keine Redundanzen mit bestehenden Richtlinien.
● Alle Akteure der textilen Wertschöpfungskette sollen miteinbezogen werden, bei der Ausarbeitung der praktischen Umsetzung und der Bewertung der „Gebührenverordnung“ und bei der Definition der Güte des Produktes in Bezug auf die Umweltauswirkungen
● Recycling-Infrastruktur weiter ausbauen und gefördert wird
● die erhobenen Gebühren sollen für Forschung, Entwicklung sowie den Aufbau eines Recycling-Systems eingesetzt werden
● einfache Handhabung des gesamten Prozesses
● keine Benachteiligung des EU-Binnenmarkts
● keine Redundanzen mit bestehenden Richtlinien.
Die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) gilt bereits in der EU. Ihre Auslegung unterscheidet sich in den verschiedenen Mitgliedsstaaten. EPR besagt, dass produzierende Unternehmen für den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte verantwortlich sind. Die erweiterte Herstellerverantwortung trifft den Inverkehrbringer des Produkts. Dies können neben dem Produzenten auch Händler und Importeure sein, die bestimmte Produkte in den europäischen Markt einführen.
Im März 2022 wurde durch die EU-Kommission die Textilstrategie als Teil des Maßnahmenplans für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft im Rahmen des Green Deal veröffentlicht. Hersteller von Textilien sollen zukünftig die Verantwortung für ihre Produkte entlang der gesamten Wertschöpfungskette wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund sollen EU-Vorschriften zur erweiterten Herstellerverantwortung bei Textilien in der Novellierung der Abfallrahmenrichtlinie 2023 verankert werden. Technische Textilien sind von den Regelungen bisher ausgenommen.