Es fehlt Personal. Diesen Satz hört man heutzutage häufig und vor allem branchenübergreifend. In zahlreichen Kindertagesstätten in Baden-Württemberg fehlt das Personal, um die so dringend notwendigen Plätze anzubieten, um flexible Öffnungszeiten zu gestalten oder um überhaupt offenzubleiben. Dieses Problem könnte sich in den nächsten Jahren noch verschlimmern. Laut einer Verdi-Umfrage spielen rund ein Drittel der pädagogischen Kräfte mit dem Gedanken, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder sogar ganz zu kündigen.
Doch woran liegt es, dass sich in dieser Branche und auch im Pflegebereich kaum neues Personal gewinnen lässt? Für Salvatore Pertolino liegt es am Gehalt. Das sei deutlich zu niedrig. Pertolino ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Verdi-Gruppe Zollernalb und der Verdi-Seniorengruppe des Kreises. Seit 1976 ist er bereits Mitglied von Gewerkschaften, seit Gründung von Verdi, 2001, auch dort. Am Mittwoch war er zusammen mit etwa 150 Erzieherinnen, Erziehern, Pflegepersonal des Zollernalb Klinikums und Gewerkschaftern auf dem Bürgerturmplatz in Albstadt, um dort für mehr Gehalt zu streiken. Die Gruppe war zuvor in Balingen (siehe Seite 12).
10,5 Prozent mehr Gehalt
Wie berichtet, hatte und hat Verdi zu zahlreichen Warnstreiks aufgerufen. Damit wollen sie den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen, ihrer Forderung von 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, nachzukommen. Vom 27. bis 29. März finden die nächsten Tarifverhandlungen mit Bund und Kommunen statt, allerdings glaubt Madeleine Glaser nicht, dass sie vorab ein Angebot erhalten werden. Die stellvertretende Verdi-Bezirksgeschäftsführerin erklärt, dass es daher noch weitere regionale Warnstreiks geben wird. An diesem Donnerstag streiken Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Reutlingen und am Montag in Göppingen. Außerdem können sich die Verdi-Vertreter auch unbefristete Streiks vorstellen. „Wir werden den Druck erhöhen“, sagt Pertolino.
Erzieher haben früher nicht gestreikt
Erzieherinnen und Erzieher im Streik, das habe es vor einigen Jahrzehnten noch nicht gegeben, so Pertolino. „Immer mehr Erzieherinnen haben mittlerweile den Mut, zu streiken.“ Auch im Gesundheitswesen hätte es solche Warnstreiks früher nicht gegeben. Das liegt an der sozialen Ader, die in solchen Berufen vonnöten ist, ist der Gewerkschafter überzeugt. Verdi müsse oft Überzeugungsarbeit leisten, dass Streiken nichts Böses sei, sondern ein gutes Arbeitsverhältnis ermöglicht. „Wenn man keine Angst wegen des Finanziellen haben muss, fördert das eine innovative Gesellschaft“, betont er.
Seitdem auch Erzieherinnen und Erzieher streiken, erlebt Verdi bei dieser Berufsgruppe einen deutlichen Schub in Sachen Gehalt. „Das hat aber 15 Jahre gedauert“, fügt Glaser hinzu. „Wo sich Beschäftigte, gerade Frauen, gewerkschaftlich organisieren, erhalten sie mehr Gehalt.“
Das Gehalt spiele eine große Rolle beim Fachkräftemangel, so Pertolino. Da statistisch gesehen immer noch hauptsächlich Frauen mit den Kindern zu Hause bleiben und dann als Teilzeitkraft wieder einsteigen, benötigt es ein volles Gehalt, das meist vom Mann beigesteuert wird. Diese wählen vorwiegend nicht einen Beruf mit unterdurchschnittlichem Gehalt, so der ehrenamtliche Vorsitzende (siehe Infokasten). Auch daher rühre die schlechte Männerquote bei den Gesundheitsberufen und den Erzieherinnen, sagt er.
Was erhofft sich Verdi von den Warnstreiks?
„Wir streiken auch für euch“, ruft Madeleine Glaser den drei Polizeibeamten des Reviers Albstadt zu. Denn am Mittwoch wurde nicht nur für Erzieherinnen und Erzieher gestreikt, sondern für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Deswegen streikte neben den städtischen Angestellten auch Personal der Kliniken Balingen und Albstadt. „Die Stimmung ist gut“, fasst es Salvatore Pertolino zusammen. Die Motivation vor allem bei den Kollegen der Kliniken sei hoch.
Doch wie erfolgreich werden die Warnstreiks sein? Glaser erklärt, dass sie sich durch die Streiks ein Angebot noch vor der Verhandlung erhoffen, glaubt selbst allerdings nicht daran. Letztlich müsse es eine deutliche Entgeltsteigerung geben, fordert Verdi.
Info Von den städtischen Einrichtungen waren am Mittwoch trotz Streiks sechs im Normalbetrieb, vier Einrichtungen konnten eine Notbetreuung anbieten und zwei Einrichtungen (Gallusstraße und Steigstraße) waren geschlossen.
Durchschnittliches Gehalt
Im Durchschnitt verdienen Erzieherinnen und Erzieher in Baden-Württemberg 3140 Euro monatlich. Das geht aus der Lohnspiegel-Datenbank des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Im Ländervergleich liegt Baden-Württemberg auf dem vierten Platz. Nur in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Bayern verdienen Erzieherinnen und Erzieher mehr. Am wenigsten verdienen sie im Schnitt in Mecklenburg-Vorpommern. Dort gibt es monatlich nur etwa 2820 Euro. Das Statistische Bundesamt sagt, der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in Baden-Württemberg betrug 2021 branchenübergreifend rund 4350 Euro.
Schlagwörter
Warnstreik