Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass man von Familienmitgliedern, Freunden, Bekannten oder Arbeitskollegen den Satz hört: „Mich hat’s erwischt.“ Erkältungen und grippale Infekte belasten die Gesundheit vieler Menschen seit langem. Dass die Beschäftigten im Zollernalbkreis im vergangenen Jahr so häufig krank waren wie nie zuvor, überrascht daher nicht unbedingt. „Aber wie hoch der Anstieg der Krankmeldungen 2022 ausgefallen ist, hat uns überrascht“, sagt Martin Hummel. „Es ist ein historisches Hoch und der größte Sprung, den wir jemals hatten.“
Hummel, stellvertretender Geschäftsführer der AOK Neckar-Alb, präsentierte am gestrigen Dienstag den Gesundheitsreport 2022 der Krankenkasse. Dieser ist repräsentativ für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Zollernalbkreis (ZAK), weil die AOK hier mehr als 56 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten versichert.
Und diese Versicherten haben sich 2022 häufig krankschreiben lassen: Die im ZAK beschäftigten AOK-Mitglieder waren 2022 an 6,8 Prozent aller Kalendertage krankgeschrieben; das entspricht etwa 24 Krankentagen im Jahr – und ist seit dem ersten AOK-Gesundheitsreport 1991 der Höchstwert. Zum Vergleich: 2021 betrug der Krankenstand 5,2 Prozent.
Erkältungserkrankungen sind der Treiber
Treiber für die hohe Zahl der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen sind Atemwegserkrankungen. Erkältungen und grippale Infekte sind für 30 Prozent aller Krankschreibungen ursächlich – im Vorjahr lag dieser Wert bei lediglich 18,7 Prozent. Wer nun als Erstes an Corona denkt, liegt falsch. Zumindest zum Teil. Denn Covid-Infektionen führt die AOK in der Kategorie „Sonstige Erkrankungen“ auf. Dass nahezu niemand ohne Erkrankung durchs Jahr gekommen ist, zeigt der Anteil der Mitglieder, die sich 2022 mindestens einmal oder mehrfach beim Arbeitgeber krankgemeldet haben. Dieser Wert liegt bei 71 Prozent – 2021 lag er noch bei 56,7 Prozent. Immerhin: Die Beschäftigten waren im Durchschnitt deutlich kürzer krankgeschrieben (11,1 Tage).
Maske ist Fluch und Segen
Die Gründe für den hohen Anstieg der Atemwegserkrankungen sind durchaus bekannt. „Die Maske ist Segen und Fluch zugleich“, sagt Martin Hummel. Das alltägliche Leben sei durch die Mund-Nasen-Bedeckung eingeschränkt gewesen, doch die Alltagsmasken haben Menschen nicht nur vor einer Covid-Infektion geschützt, sondern auch vor anderen Erkältungskrankheiten. „Es ist der umgekehrte Effekt wie im Vorjahr“, sagt Hummel. „2021 gingen die Atemwegserkrankungen drastisch zurück, eben weil die Maske und das Abstandhalten die Menschen geschützt haben.“ Jetzt ohne Maske ist das Immunsystem oft nicht mehr stark genug, um Infektionen abzublocken. „Nun kommen die Erkrankungen geballt.“ Ein weiterer Grund für den Anstieg der Atemwegserkrankungen ist das RS-Virus. Das habe keineswegs nur Kinder infiziert.
Zweithäufigste Diagnosen bei den Krankschreibungen sind Muskel- und Skeletterkrankungen (10,7 Prozent aller Krankschreibungen), gefolgt von Verletzungen (4,8 Prozent).
Junge Menschen öfter krankgeschrieben
Neben der hohen Zahl der Krankheitstage an sich fallen auch weitere Tendenzen auf. Eine davon: Beschäftigte im Alter zwischen 15 und 29 Jahren waren 2022 deutlich häufiger krankgeschrieben als in den Vorjahren. Warum ist das so? „Das Bewusstsein und die Sensibilisierung, mehr auf die Gesundheit zu achten, ist gestiegen“, sagt Monika Rautenberg vom Betrieblichen Gesundheitsmanagement der AOK Neckar-Alb. Weitere Vermutungen sind schnellere, beziehungsweise einfachere Krankschreibungen während der Pandemie. Häufig genügte ein Anruf beim Arzt, eine Untersuchung war in vielen Fällen nicht notwendig. Ebenso könnte der hohe Leistungsdruck eine Rolle spielen. Denn psychische Erkrankungen nehmen weiterhin zu.
Hohe Belastung: viele AU-Tage im Gesundheitswesen
Die AOK betrachtet beim Gesundheitsreport auch einzelne Branchen. Negativer Spitzenreiter mit den meisten Krankschreibungen 2022 ist dabei das Gesundheits- und Sozialwesen. „Das überrascht uns nicht. Die Belastung gerade im Gesundheitssektor war in den vergangenen Jahren enorm hoch. Nicht nur wegen der Pandemie“, sagt Martin Hummel. Im Durchschnitt war jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer im Gesundheits- und Sozialbereich 7,5 Tage arbeitsunfähig geschrieben (siehe Grafik). Auch die Beschäftigten in den Branchen Energie/Wasser/Entsorgung, im Verkehr- und Transportwesen sowie im verarbeitenden Gewerbe sind (gewohnt) im oberen Bereich.
Info Grundlage für den Gesundheitsreport sind Krankheitsdaten aus dem Jahr 2022 von 53917 im Zollernalbkreis beschäftigten AOK-Mitgliedern. Ausgewertet wurden diese vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WldO). Berücksichtigt wurden nur durch eine ärztliche Bescheinigung gemeldete Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle).
Wie lange waren Covid-Infizierte krankgeschrieben?
32 Prozent aller bei der AOK Neckar-Alb versicherten Beschäftigten waren seit Beginn der Pandemie mindestens einmal wegen einer Covid-Erkrankung krankgeschrieben. Das geht aus dem Gesundheitsreport 2022 der Krankenkasse hervor.
Beschäftigte im Alter ab 60 Jahren fielen im Schnitt 11,1 Tage mit einer akuten Covid-Erkrankung aus und 45,2 Tage mit einer Post-Covid-Erkrankung. Jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine Corona-Infektion schneller überstanden: Unter 30-Jährige fielen im Schnitt 7,3 Tage mit einer akuten Erkrankung aus, bei einer Post-Covid-Erkrankung wurden sie 16,7 Tage arbeitsunfähig geschrieben. swp