Covid-19 kann sich nicht nur auf den Körper auswirken, sondern auch auf die Psyche – und das nicht nur während der Erkrankung. Für einige Patientinnen und Patienten folgen auf die Krankheit Ängste und Depressionen. Die Curamed Akutklinik in Tailfingen behandelt Menschen mit diesen und weiteren Erkrankungen. Im Interview spricht der Privatdozent und Ärztliche Direktor Dr. Yasin Möller über die Folgen von Covid für die Patientinnen und Patienten. Er erklärt, wie die Klinik den Menschen hilft – und warum Corona aus seiner Sicht dazu beigetragen hat, dass psychisch Erkrankte weniger stigmatisiert werden als früher.

Gerade in der Anfangszeit der Pandemie hatten sehr viele Menschen große Angst vor dem Virus. Angst ist ja etwas, das uns schützen kann. Ab wann wird sie zu einer Krankheit?

Dr. Yasin Möller: Diese Frage enthält eine wichtige Differenzierung: Die Angst vor einer Covid-Infektion ist zunächst eine realistische Angst. Damals war die Gefahr recht groß, sich in einer öffentlichen Umgebung mit Corona zu infizieren und dann auch schwer zu erkranken – heute wissen wir ja, dass nicht jeder Infizierte auch erkranken muss. Es gibt aber Erscheinungsformen von Angst, die dieses Maß des realistisch Nachvollziehbaren verloren haben.

Also Angststörungen?

Von einer Angststörung sprechen wir, wenn es sich um eine generalisierte Angst handelt: Sie bezieht sich also auch auf Covid, aber nicht nur. Wenn die Angst nur auf das Thema Covid begrenzt ist, sprechen wir von einer Phobie. Es gibt viele Publikationen, Covid ist ja inzwischen zu einem gut erforschten Thema geworden, die eine Häufung psychischer Erkrankungen bei Covid-Erkrankten feststellen.

Welche psychischen Erkrankungen haben diese Menschen?

Das sind vor allem die genannten Erscheinungsformen von Angst, Depressionen und Zwangsstörungen.

Und die anderen Menschen, die Sie behandeln? Wie sehr beschäftigen Corona und die Pandemie die Patientinnen und Patienten in der Klinik allgemein?

Im Frühjahr letzten Jahres, als wir einen Häufigkeitsgipfel von Infektionen erlebt haben, war das Thema in aller Munde. Wir hatten auch vereinzelt Infekte bei Patienten und beim Personal, aber es ist gelungen, dass die Klinik als Ganzes nicht wesentlich betroffen war. Heute erlebe ich bei meinen Patienten, dass es einen Drang nach Lockerung gibt: Viele Patienten erleben die Restriktionen mit Tests und Masken als sehr einschränkend. Ich habe den Eindruck, dass die meisten von ihnen auf die für den 1. März verkündeten Öffnungen warten.

Ab diesem Stichtag müssen Patientinnen und Patienten in Kliniken keine Masken mehr tragen. Solche Lockerungen können auch bedrohlich wirken, gerade wenn man selbst sehr unter Corona und den Folgen gelitten hat.

Die Einstellung der Menschen zu Krankheit – ich nehme Long Covid nur als Beispiel – unterscheidet sich stark. Es gibt Menschen, die sich vor einer Krankheit wie Covid ängstlich bis überängstlich zurückziehen. Das sind Patienten, die zum Beispiel am Wochenende bewusst in der Klinik bleiben, um sich nur keinem Risiko auszusetzen. Man therapiert diese Patienten gerne in einem Umfeld, das auch einen gewissen Schutz vor Covid zu gewährleisten scheint – real ist ein hundertprozentiger Schutz natürlich nirgendwo möglich. Es gibt aber auch Menschen, die die Krankheit bagatellisieren. Ich erlebe Patienten, die – nicht nur jetzt, sondern auch auf dem Höhepunkt der Pandemie – das Risiko herunterreden. Aber die häufigste Einstellung, dir mir inzwischen begegnet, ist eine vorsichtig optimistische.

Zu Beginn des Jahres 2022 hat das Thema Corona noch alles dominiert. Inzwischen ist das Virus im Alltag vieler Menschen stark in den Hintergrund gerückt. Gilt das auch für Ihre Patienten und Patientinnen in Albstadt?

Es wird in der Tat seltener darüber gesprochen als vor einem Jahr. Aktuell haben wir auch keinen Covid-Patienten im Haus – das spiegelt die bundesweite Gesundheitsstatistik wider. Das Hoch gab es auch bei uns im vergangenen Jahr, viele Patienten haben sich Sorgen darüber gemacht, wie auf die Pandemie zu reagieren ist. Aber spätestens seit Anfang dieses Jahres gibt es auch bei uns eine sukzessive Entspannung, die auch im Patientenkreis spürbar ist.
Dr. Yasin Möller ist Ärztlicher Direktor und Medizinischer Geschäftsführer der Akutklinik Albstadt, einer Privatklinik für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Möller ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Sozialmedizin und Suchtmedizin. Der Privatdozent ist an der Universität Zürich habilitiert.
Dr. Yasin Möller ist Ärztlicher Direktor und Medizinischer Geschäftsführer der Akutklinik Albstadt, einer Privatklinik für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Möller ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Sozialmedizin und Suchtmedizin. Der Privatdozent ist an der Universität Zürich habilitiert.
© Foto: Moritz Clauß

Wie werden Menschen, die aufgrund von Corona psychisch erkrankt sind, in der Klinik behandelt?

Das, was mit den Patienten geschieht, ist Teil des bekannten Arsenals der Psychosomatik. Wir haben Gymnastik und Sport als eine Säule der Behandlung. Damit zeigen wir den Patienten, dass es Ressourcen im Körper gibt, die sie durch ein konsequentes Training im Laufe von Wochen aufbauen können. Wie jeder ängstlich depressive Zustand ist auch Covid mit psychischer Anspannung verbunden. Einen wichtigen Beitrag leisten deshalb Entspannungsverfahren, zum Beispiel progressive Muskelentspannung. Und dann gibt es eine im engeren Sinne psychotherapeutische Säule, um die Krankheit zu verarbeiten.

Ganz unabhängig von Corona: Psychische Erkrankungen sind bis heute oft mit einem Stigma verbunden.

Ich denke, dass diese Stigmatisierung historisch gewachsen ist. Aber Erkrankungen werden in unserer Zeit auch umbenannt. Ich glaube, dass sie dadurch weniger stigmatisiert werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Viele Patienten kommen mit der Diagnose Burnout in unsere Klinik. Diese Diagnose ist eher leicht vermittelbar, sie ist in gewissem Maße eine Anerkennung von übermäßigem Arbeitseifer und Anstrengung – und dafür kann man nichts. Deshalb ist der Begriff Burnout denke ich so beliebt, obwohl die meisten der Patienten, die mit dieser Diagnose in unsere Klinik kommen, schlicht an einer Depression leiden.

Corona wiederum ist ein Thema, das jeden betrifft. Kann das dabei helfen, Stigmatisierungen abzubauen?

Ich glaube, dass Covid dazu beiträgt, die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen voranzutreiben. Eine Infektionserkrankung, für die niemand etwas kann und die vielfältige Symptome auslöst: Die kann man niemandem vernünftig zum Vorwurf machen.

Menschen, die nach Covid psychisch erkranken, werden nicht stigmatisiert?

In Einzelfällen kann das auch bei Covid der Fall sein. Aber die Zahl der Menschen, die infiziert waren und sind, ist so erheblich, dass das allein quantitativ einer breiten Stigmatisierung entgegenwirkt. Bei manchen Patienten hat Covid auch mit einem persönlichen Schuldgefühl zu tun. Das sind Menschen, die denken: Wäre ich lieber zu Hause geblieben, dann hätte ich kein Corona bekommen. Aber ich denke, das ist kein triftiges Argument: Man muss mit Covid eben auch leben. Sonst besteht die Gefahr, in der Vereinsamung depressiv zu werden.