Impfen, Masken, Long-Covid: Dr. Cornelia Werner beschäftigt sich seit Pandemiebeginn intensiv mit Corona und seinen Folgen. Auf Twitter informiert die Erbacher Hausärztin über das Virus, ihren Sommerurlaub hat sie für die Produktion eines Podcasts genutzt, der andere Ärzte für Corona-Langzeitfolgen sensibilisieren und Betroffenen Hoffnung geben soll. Beim Interview in ihrem Sprechstunden-Zimmer trägt die 42-Jährige FFP3-Maske, auf dem Schreibtisch liegen Fachbücher, der Luftreiniger rauscht sanft vor sich hin.

Frau Werner, gibt es noch Tage, an denen Sie sich überhaupt nicht mit Corona beschäftigen?

Dr. Cornelia Werner: (lacht) Nein, die gibt es nicht mehr. Ich glaube auch ehrlich, dass das eine sinnvollere Herangehensweise ist, als so zu tun, als sei die Welt wie vor 2020. Corona wird nicht mehr weggehen, wir sitzen noch mitten im Schlamassel und müssen Wege finden, damit zu leben – aber soweit sind wir noch nicht.

In Bayern und Baden-Württemberg gilt von Mittwoch an keine Isolationspflicht mehr.

Ich frage mich, wie man so etwas verantworten kann, es entspricht definitiv nicht Artikel zwei des Grundgesetzes, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Man sollte die Bevölkerung vor Infektionen schützen – und zwar auch, weil es Long-Covid gibt. Die aktuelle Politik führt ungebremst zu einer chronisch kranken Gesellschaft.

Mit welchen Symptomen kommen Long-Covid-Patienten zu Ihnen in die Praxis?

Am einfachsten greifbar sind die typischen Organschäden nach einer Erkrankung, zum Beispiel, dass jemand merkt, dass er nicht mehr so gut atmen kann. Schwerer greifbar sind die bis zu 200 diffusen, möglichen Symptome. Was die meisten dieser Leute verspüren, ist eine ausgeprägte Belastungsintoleranz. Keine normale Müdigkeit, sondern eine, die durch Schlaf nicht verschwindet und bereits durch alltägliche Tätigkeiten verursacht wird. Dazu kommen Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Hautausschläge, Herzrasen und andere Beschwerden. Eine meiner Patientinnen, eine 15-jährige Schülerin, liegt nur noch im Bett oder auf dem Sofa.

Sie kann nicht mehr in die Schule gehen?

Sie ist vollkommen aus dem Schulalltag herausgerissen. Man sieht ihr nicht viel an, aber sie hat massive Körperschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel. Sie kann kaum aufrecht sitzen, ist unfähig, zu gehen, und alles ermüdet sie extrem. Das Fiese an Corona ist: Jemand, der bei seiner eigenen Erkrankung nur Halskratzen hatte, kann sich das nicht vorstellen. Dazu kommt, dass viele Mediziner im Studium nichts über dieses Chronische Erschöpfungssyndrom gelernt haben, es ist so ein bisschen unser blinder Fleck.

Welche Rolle spielt die psychische Belastung für solche Patientinnen und Patienten?

Sie haben einen ganz hohen Leidensdruck, aber auch lange eine hohe Leidensfähigkeit. Nach einer gewissen Zeit werden viele aber psychisch auffällig. Das ist ja klar: Wenn man sich plötzlich nicht mehr bewegen kann, nicht mehr am Leben teilnehmen kann, dann ist man irgendwann auch fertig mit den Nerven. Aber das sollte man bitte nicht verwechseln: Sie sind dann meist somatopsychisch erkrankt, nicht psychosomatisch.

Im Podcast „O-Ton Allgemeinmedizin“ sprechen Sie zurzeit auch mit anderen Ärzten über diese Fälle, außerdem kommen Patientinnen und Patienten zu Wort. Ein Kind sagt zum Beispiel: „Ich vermisse es, aufstehen zu können und mit in der Welt zu sein.“

Eine andere Patientin hat mir mal gesagt, es sei, wie durch eine Milchglas-Scheibe hinauszuschauen. Dahinter leben alle anderen weiter. Das ist ja auch ein Fakt: Alle tun so, als sei das Leben wieder normal, aber jeden Tag sterben Menschen an Corona und jeden Tag wächst die Zahl der Long-Covid-Patienten.

Viele Menschen waren inzwischen selbst infiziert, manche mehrfach, und wollen jetzt wieder mehr Freiheiten.

Ich kann das verstehen. Ehrlich gesagt habe ich auch die Schnauze voll von Corona. Ich trage jeden Arbeitstag von morgens bis abends FFP3-Maske, natürlich will ich mein altes Leben zurück.

Aber?

Aber selbst wenn das Virus bei jemandem nur einen Schnupfen auslöst, kann dieser Schnupfen eine Kettenreaktion in Gang setzen, die einen anderen umbringt oder zu Long-Covid führt. Ganz abgesehen davon, dass wir in der Praxis arbeitsfähig bleiben müssen und viele kranke Patienten haben. Die dürfen sich nicht hier bei uns anstecken.

Häufig können Long-Covid-Erkrankte wochenlang nicht zur Arbeit gehen. Wie behandeln Sie diese Patienten?

Was den Menschen am meisten hilft, ist, dass wir ihnen zuhören und glauben. Wir wissen, dass es Long-Covid gibt. Die Behandlung geht dann immer nach Trial-and-Error, oft auch mit Medikamenten, die eine Zulassung für andere Erkrankungen haben. Das ist etwas, was unserem evidenzbasierten Arbeiten total widerspricht, aber der Leidensdruck der Menschen ist so hoch und es gibt nur wenige Studien, also schaffen wir unsere eigene Evidenz.

Und das funktioniert?

Wir können die Symptome lindern. Heilen können wir niemanden.

Wie frustrierend ist das für Sie als Ärztin?

Es ist echt frustrierend. Aber ich finde trotzdem wichtig, dass jeder Hausarzt sich seiner Patienten annimmt, ihnen zuhört, sich zum Thema fortbildet. Es ist normal, dass man Dinge nicht weiß – auch als Arzt. Deshalb finde ich es immer wichtig, dass man offen dafür ist, dazuzulernen. Darum mache ich auch den Podcast.

Auch auf Twitter informieren Sie regelmäßig über Corona. Ärztinnen und Ärzte werden dort immer wieder unter Druck gesetzt und beleidigt, viele haben das soziale Netzwerk deshalb wieder verlassen.

Wirklich viele von uns sind feindlich angegangen worden. Mir haben Leute geschrieben, ich sei eine Mörderin, weil ich natürlich meinen Patienten die Covid-Impfung empfehle – solche Accounts blockiere ich dann, da sind viele Bots dabei, die gezielt auf Leute losgehen.

Warum sind Sie bisher trotzdem auf Twitter geblieben?

Ich habe sehr profitiert von Twitter, vom Austausch mit anderen Ärzten und Wissenschaftlern. Ich bin dadurch Mitglied des „Team Halo“, einem Teil der Vereinten Nationen Verified Initiative geworden, wodurch ich weltweit Kontakte knüpfen konnte. Und ich habe viele tolle Menschen kennengelernt, die sich an mich gewandt haben, damit ich ihnen helfe. Auch wegen dieser Menschen mit Long-Covid, die gerade von der Gesellschaft abgehängt werden, bin ich dort noch aktiv.
Ihr findet uns auch auf Instagram!

„Über kurz oder lang“ – Podcast über Long-Covid

In Staffel eins des Podcasts „O-Ton Allgemeinmedizin“ des Fachverlags Medical Tribune spricht Dr. Cornelia Werner mit anderen Expertinnen und Experten über die Langzeitfolgen von Covid-19. Die Staffel trägt den Titel „Über kurz oder lang – Long-Covid“ und ist auf Spotify, in Apple Podcasts und anderen Podcast-Apps abrufbar.
Die Hausärztin beschäftigt sich intensiv mit Corona und seinen Folgen. Ihre Praxis in Erbach war lange Corona-Schwerpunktpraxis. Auf Twitter hat Werner rund 28.000 Follower, seit 2021 ist sie Kolumnistin der Medical Tribune, 2022 wurde sie in das „Team Halo“ zur Aufklärung über Sars-Cov-2 aufgenommen.