Verbieten oder erlauben? Viele Eltern fragen sich, ob sie ihren Kindern das Computerspielen erlauben sollen. Der Medienpädagoge Tobias Gäckle-Brauchler kennt sich damit aus. Am Donnerstag, 9. Februar, hält er einen Vortrag in der Zehntscheuer in Balingen (19 Uhr). Dessen Titel: „Faszination Gaming, Selbstverwirklichung und Eskapismus“. Im Interview mit der SÜDWEST PRESSE spricht er über Chancen und Risiken des Spielens und warum seine Mutter früher jemanden wie ihn gebraucht hätte.

Herr Gäckle-Brauchler, Sie sind Ansprechpartner, wenn es um Soziale Netzwerke und Computerspiele geht. Welche Fragen werden Ihnen gestellt?

Tobias Gäckle-Brauchler: Erst letzte Woche wurde ich von einer Mutter angerufen. Sie hatte die Frage, ob sie ihrem zwölfjährigen Sohn erlaubt, das Computerspiel Fortnite zu spielen. Er hatte sich das gewünscht, die Mutter wollte das eigentlich nicht, dass er das spielt.

Warum nicht? Worum geht es in dem Spiel?

Vom Jugendschutz her wäre es in Ordnung, das Spiel ist ab 12 Jahren. Simpel erklärt: Ich werde mit 99 anderen Menschen auf einer Insel ausgesetzt und kämpfe ums Überleben. Der Letzte, der noch steht, hat gewonnen. Der Punkt ist: Es wird mit Waffen geschossen. Ich sehe aber weder Blut noch Schusswunden. Stirbt eine Figur, fällt sie einfach hin. Die Gewaltdarstellung ist also sehr reduziert.

Was haben Sie der Mutter geraten?

Ich habe ihr gezeigt, dass es zwei Möglichkeiten gibt. Sie kann eine klare Grenze ziehen und Nein sagen. Kinder brauchen Grenzen, an denen sie sich orientieren können. Das kann aber dazu führen, dass das Kind kreative Lösungen findet, um trotzdem heimlich zu spielen. Dadurch disqualifiziert sich ein Elternteil als Ansprechpartner, wenn dem Kind dann irgendetwas im Spiel begegnet, was ihm Angst macht oder es beschäftigt. Die andere Möglichkeit ist, dass dem Kind klargemacht wird, dass die Erlaubnis zähneknirschend stattfindet. Und dass das Spiel nur erlaubt wird, wenn das Kind zu Hause im Wohnzimmer spielt, während mindestens ein Elternteil zu Hause ist.

Wofür hat sich die Mutter entschieden?

Das weiß ich nicht. Nach dem Telefonat sagte sie, sie wolle das jetzt mit ihrem Partner besprechen und dann eine der Möglichkeiten ausprobieren.

Womit beschäftigen Sie sich, wenn Sie gerade nicht mit besorgten Eltern telefonieren?

Mein Aufgabenbereich ist breit gefächert. Grundsätzlich soll ich die Medienkompetenz im Kreis voranbringen. Seit ich hier bin, habe ich mir drei Punkte herausgearbeitet, mit denen ich mich beschäftige. Das erste sind Workshops, die ich im Rahmen des Jugendmedienschutzes gebe. Letztens hatte ich einen Elternabend in einem Kindergarten zum Thema Fernsehschauen, Smartphone und Spiele. Dann war ich an einer Grundschule und habe zum Thema „Erste Berührung mit sozialen Netzwerken“ gesprochen.

Und Ihr zweiter Aufgabenbereich?

Ich organisiere das Projekt „Coding Corner“. Daran sind mittlerweile acht Büchereien im Kreis beteiligt. Kinder spielen dabei mit Robotern und lernen gleichzeitig, diese zu programmieren. Das gibt es für Kinder ab vier Jahren bis 18 oder 19 Jahre.

Wie kann ein 4-jähriges Kind denn einen Roboter programmieren?

Es gibt ganz unterschiedliche Roboter. Der Simpelste für die Kleinen ist der Bee-Bot, also der Bienen-Roboter. Auf ihm sind Knöpfe drauf. Wollen Kinder den Roboter zum Beispiel vorwärtsfahren lassen, dann müssen sie einen bestimmten Knopf drücken. Da spricht man dann auch eher nicht vom Programmieren, sondern vom Codieren.

Warum sollen Kinder das so früh lernen?

Es wird in der Zukunft bei ganz vielen Berufen wichtig sein, mit Künstlicher Intelligenz umzugehen. Ich muss genau wissen, was ich einer Maschine sagen muss, damit sie das tut, was ich von ihr verlange. Wenn ein Roboter oder eine Maschine nicht das macht, was ich will, dann liegt es an mir, also am Menschen. Denn ich habe in diesem Moment nicht das Richtige eingegeben. Deswegen versuchen wir, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine früh genug zu fördern.

Welcher ist Ihr dritter Schwerpunkt?

Das ist die „ComputerSpielSchule“. Auf dem Papier existiert sie schon und ist die sechste in Baden-Württemberg. Die offizielle Eröffnung wird im Laufe dieses Jahres stattfinden. Dabei treffen sich Spielerinnen und Spieler, am besten generationsübergreifend, und spielen gemeinsam. Über die Spielerfahrungen sollen sich die Teilnehmer dann unterhalten. Das verlegt das Spielen vom Zuhause ins Soziale, weil die „ComputerSpielSchule“ in öffentlichen Einrichtungen, zum Beispiel im Jugendhaus stattfinden kann. Kurze Zeit nach meinem Vortrag in der Zehntscheuer wird es auch dort eine Spielsession geben, welche sich explizit an Erwachsene richtet, welche keine oder zumindest wenig Spielerfahrung haben.

Das heißt, Oma muss Fortnite spielen?

Nein, beziehungsweise, was heißt muss? Es wird zumindest angeboten, in einem geschützten Rahmen zu spielen. Dann kann jeder Erfahrungen sammeln und es kommt zu generationsübergreifenden Diskussionen. Ich hoffe auch, dass bei meinem Vortrag am 9. Februar nicht nur Eltern sitzen, sondern auch Personen, die zum Beispiel über 60 sind und dem Spielen kritisch gegenüberstehen. Ich will auch über Vorurteile aufklären.

Welche Vorurteile sind das?

Ein großes Vorurteil, mit dem auch ich als Jugendlicher konfrontiert war, kam nach dem Amoklauf in Erfurt auf, dann nochmal nach Winnenden. Wenn man entsprechende Spiele spielt, ist man ein potenzieller Amokläufer. Das hat sich relativ festgesetzt, kann aber nicht wissenschaftlich belegt werden.

Dann erhöhen gewalthaltige Spiele nicht die Gewaltbereitschaft?

Doch, unter bestimmten Voraussetzungen können diese Spiele die Gewaltbereitschaft von Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen verstärken. Laut der Forschung passiert das aber nicht, wenn ich ein gesichertes soziales Umfeld habe. Also Freunde, vielleicht in einem Verein bin, ein positives Elternhaus habe, wo ich behütet und sozial gesichert aufwachse. Diese Kinder und Jugendlichen können dann gut unterscheiden, was Realität, was Fiktion ist.

Und wenn dem nicht so ist?

Wenn ich in einer Situation aufwachse, in der ich sowieso schon Gewalterfahrungen erlebe, zum Beispiel, indem der Vater Gewalt gegen die Mutter anwendet, dann spielt Gewalt sowieso schon eine Rolle. Spiele ich dann gewalthaltige Spiele, dann funktionieren die Spiele als zusätzlicher Katalysator, die meine Gewaltbereitschaft noch weiter verstärken können. Denn das Spielen ist nochmal eine zusätzliche Ebene, die mir zeigt: Mit Gewalt kann ich mein Ziel erreichen, mit Gewalt kann ich gewinnen.

Welche Vorurteile gibt es noch?

Stichwort Spielzeit. Wer stundenlang spielt, ist süchtig. Die Weltgesundheitsorganisation hat vergangenes Jahr ihren Kriterienkatalog für Krankheiten aktualisiert. Darin steht auch „Gaming Disorder“, also Computer-Spielsucht. Die Zeit spielt dabei aber keine Rolle. Wer zu Weihnachten ein neues Spiel bekommt, spielt vermutlich erst einmal lange, weil es neu und interessant ist. Eine Sucht wird es aber erst, wenn ich keine Kontrolle mehr darüber habe und das Spielen explizite negative Auswirkungen auf meinen Alltag hat.

Dass Sie jetzt unter anderem über Computerspiele referieren, liegt daran, dass Sie selbst so viel Erfahrung damit gesammelt haben?

Ja. Irgendwann habe ich mal meine Mutter zu einem Vortrag von mir eingeladen. Sie sagte danach, genau so jemanden wie mich hätte sie gebraucht. Aber damals gab es das noch nicht.

Das Jahresthema der Zehntscheuer lautet „Sehnsucht“. Was hat das mit Gaming zu tun?

Beim Vortrag wird es auch darum gehen, was mich in Spiele, aber auch in soziale Netzwerke, hineinzieht, was mich dort hält. Auch Gaming oder zum Beispiel „TikTok“ können mich dazu bringen, noch ein Spiel zu spielen oder das nächste Video anzuschauen. Das hat auch was mit Sehnsucht zu tun, mit einem „nicht loslassen können“.

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Zur Person: Tobias Gäckle-Brauchler

Tobias Gäckle-Brauchler hat am Karlsruher Institut für Technologie den Studiengang „Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik“ studiert. Schon während des Masterstudiums Bacherlorstudiums machte Gäckle-Brauchler sich selbstständig und war unter anderem als Referent für das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg und die Bundeszentrale für politische Bildung unterwegs. Seit Januar 2021 ist er im Kreismedienzentrum Albstadt angestellt.