Am Donnerstag, 24. Februar 2022, erschütterte eine Nachricht Europa: Russland hat die Ukraine angegriffen. Nur zwei Tage später wurde „Albstadt hilft“ ins Leben gerufen. Die Gruppe umfasst nur vier Personen, die bereits am Samstag das erste Mal das Theater Thalia in Tailfingen öffneten, um Sachspenden für die Kriegsopfer zu sammeln. Fast eineinhalb Jahre später und Nadja Holzner, Marianne Roth, Stefan Baumann und Tobias Bartsch sammeln immer noch für die ukrainische Bevölkerung. „Albstadt hilft“ zeigt, dass auch ein Einzelner einen Unterschied machen und, dass auf komplizierte Bürokratie verzichtet werden kann.
Kann „Albstadt hilft“ im Thalia bleiben?
Doch wie steht es um das Engagement jetzt? Denn die Stadt Albstadt stellt der Organisation das Theater Thalia kostenfrei zur Verfügung. Der Gemeinderat hatte aber im Sommer 2022 eigentlich beschlossen, das Thalia abzureisen. Wie berichtet, wurde ein Bürgerbegehren zum Erhalt gestartet, das aber als nicht zulässig erachtet wurde. Trotzdem entschied sich der Gemeinderat, den Bürgerinnen und Bürgern Gehör zu schenken und die Hallenkonzeption, die auch das Theater umfasst, erneut zu beraten.
Das ist bislang noch nicht geschehen, weswegen „Albstadt hilft“ weiterhin als Einzige das Thalia nutzen dürfen. Nur geheizt werden die Räume nicht, verrät Nadja Holzner, die selbst jetzt noch eine Jacke tragen muss, wenn sie im Thalia arbeitet. „Ich hoffe, die Entscheidung wird noch lange nicht gefällt.“ Denn sollte das Thalia abgerissen werden, benötigt „Albstadt hilft“ neue Räumlichkeiten mit viel Platz.
Albstädter spenden immer noch fleißig
Trotz mehr als einem Jahr nach Kriegsbeginn sind die Menschen des Spenden nicht müde geworden, bemerken Baumann und Holzner. „Im Winter sind die Spenden ein bisschen zurückgegangen“, sagt Nadja Holzner. Über Weihnachten schlossen sie die Spendenannahme. Ein wenig bang war es ihnen dann doch, als sie im Januar die Türen wieder öffneten. „Schon um kurz vor 14 Uhr standen die Menschen Schlange“, erinnert sich Baumann allerdings zurück. Spenden werden jeden Samstag von 14 bis 16 Uhr angenommen.
„Wir bereiten derzeit die vierte Abholung in diesem Jahr vor“, sagt der Initiator. Die Rede ist nicht etwa von ein paar Umzugskartons mit Kleidung, Medizin, Decken und anderen Utensilien. „Albstadt hilft“ füllt regelmäßig Transporter und sogar 7,5-Tonner. „Im Zollernalbkreis sind wir die größte private Sammelstelle und in Baden-Württemberg unter den Top 5“, da können sich Baumann und Holzner den Stolz nicht verkneifen. Müssen sie auch nicht, denn, was sie da mit Marianne Roth und Tobias Bartsch auf die Beine gestellt haben, kann sich sehen lassen.
Bis heute ist „Albstadt hilft“ kein eingetragener Verein und das ist eine bewusste Entscheidung, erklärt Baumann. Sie wollten auf die damit zusammenhängende Bürokratie verzichten. Um einen Verein zu gründen, benötigt es mindestens sieben Mitglieder, einen Vorstand und eine Satzung und vieles mehr. Das frisst jedoch alles Zeit. Trotzdem hat ein Verein auch seine Vorteile, berichten die beiden Gründer: Manchen Ortsgruppen übergeordneter Organisationen wurde die Zusammenarbeit mit „Albstadt hilft“ untersagt, weil sie kein Verein sind. Damit möchten die Organisationen sichergehen, dass sie keinen Betrügern aufsitzen.
Dass diese Sachspenden auch bei den Hilfsbedürftigen ankommen, können die Helfer belegen. „Wir arbeiten eng mit dem CDH Stephanus zusammen“, betont Baumann. Das Hilfswerk ist seit Jahrzehnten weltweit im Einsatz und betreibt seit etwa 20 Jahren Kinder- und Behindertenheime unter anderem in Kiew. CDH Stephanus Trossingen verfügt zudem über Gelder, „Albstadt hilft“ nicht. Denn als private Sammelstelle wollen und dürfen sie keine Geldspenden annehmen.
Verplombte Lastwagen fahren Hilfsgüter in die Ukraine
Sind die Pakete in Albstadt kategorisiert und verpackt, werden sie von dem Hilfswerk abgeholt und von Trossingen aus in die Ukraine gefahren. Die Lastwagen werden verplombt und erst wieder in der Ukraine geöffnet. Von dort aus werden sie weiterverteilt.
„Mittlerweile haben wir 120 Kategorien“, sagt Nadja Holzner und zählt auf: Kleidung für Frauen, Männer und Kinder, Medikamente, Erstlingspakete, Krücken, Rollstühle. Vor allem medizinisches Material, Krücken, Rollstühle und Medizin wird benötigt. „Wir nehmen auch abgelaufene Medizin.“ Bis zu fünf Jahre lang darf sie schon abgelaufen sein. „Das ist besser als nichts“, erklärt Baumann. Denn letztlich gebe es in der Ukraine von allem zu wenig. Ausgemusterte Verbandskasten werden beispielsweise an die Soldaten weitergereicht, um Verletzte zu versorgen.
Mittlerweile haben Holzner und Baumann gute Kontakte zu einigen geflüchteten Ukrainern, die mittlerweile in Albstadt und der Region leben. Doch daher kam das Engagement nicht, denn keiner der vier Initiatoren von „Albstadt hilft“ hatte ursprünglich eine Verbindung zur Ukraine. „Wir machen es gerne“, erklären die beiden bescheiden, während sie neue Spenden annehmen und vor den Bergen an Paketen stehen. „Nadja betreut gerade zwei ukrainische Familien“, ergänzt Baumann. Einer habe sie eine Wohnung vermittelt, sofern das Amt zustimmt. „Wir haben in der Zwischenzeit ein ganz enges Verhältnis“, so die Albstädterin.
Solange der Krieg andauert, wird es auch „Albstadt hilft“ geben, versichern sie. „Und darüber hinaus“, sagt Baumann, „wenn der Krieg vorbei ist, wollen wir in die Ukraine fahren und beim Aufbau helfen.“ Denn auch dann, so die beiden, werde Hilfe benötigt. Hilfe, die die Albstädter gemeinsam geben können.
Wo können die Sachspenden abgegeben werden?
Die Annahmestelle von „Albstadt hilft“ ist im Thalia-Theater, Thaliastraße 9 in Tailfingen. Jeden Samstag ist die Spendenannahmestelle von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Der Name „Albstadt hilft“ wurde von der Stadt abgesegnet. Die Organisation geht davon aus etwa 1400 Pakete mit etwa 80 Tonnen bislang in die Ukraine geschickt zu haben.
Waren es zu Beginn vier Initiatoren sind es mittlerweile nur noch Nadja Holzner, Marianne Roth und Stefan Baumann. Tobias Bartsch sammelt eigenständig Spenden für die Ukraine. „Meine Mutter hat von Anfang an mitgeholfen“, fügt Holzner hinzu. Ansonsten freuen sie sich über Unterstützung. Jeder, der helfen mag, kann samstags ins Thalia kommen.
Über ihre Facebook-Seite veröffentlichen sie regelmäßige Informationen über die Hilfsfahrten, aber auch, wenn bestimmte Güter benötigt werden. Derzeit werden vor allem medizinische Artikel wie Medizin, Verbände oder dergleichen benötigt, sowie haltbare Lebensmittel mit Dosenöffner oder integriertem Öffner, Wasser ohne Kohlensäure für Babynahrung und Krücken, Rollstühle und Rollatoren.
Außerdem sucht eine der ukrainischen Frauen, die „Albstadt hilft“ seit der zweiten Kriegswoche unterstützt, Arbeit. „Sie arbeitet ehrenamtlich als Psychologin in Albstadt, Balingen und Meßstetten“, sagt Holzner, „sie sagt aber, dass sie alles machen würde.“ Das Problem: Sie spricht nur gebrochen Deutsch und ihr Diplom ist in der Ukraine. Trotzdem hofft „Albstadt hilft“ auch hier auf die Unterstützung der Albstädter zählen zu können. Weitere Infos gibt es per E-Mail an [email protected]