Im Internet kursieren spannende Schlagzeilen – manche klingen bedrohlich: „Achtung, Insider verkaufen ihre Aktien“, „Hier drohen Verluste“, „Droht ein Banken-Crash?“. Andere locken mit dem schnellen Geld: „Top-Rendite“, „Bis zu 150 Prozent Gewinnpotenzial“, „Der vergessene Mega-Markt“.
Der Börsenboom während Corona hat Finanzmedien, Bloggern, Youtubern und anderen selbst ernannten Anlageexperten enormen Auftrieb beschert. Die Titel der Beiträge und Videos klingen reißerisch. Oft erzeugen sie Handlungsdruck. Lockt bei Lithium wirklich die große Chance? Sollte ich jetzt auch bei Wasserstoff einsteigen?

Das Ziel: Panik verbreiten

„Solche Überschriften sind eine Form von Clickbaiting“, sagt Vermögensverwalter Gerd Kommer. Dabei geht es darum, Leser und Zuschauer mit schockartigen, verzerrten, übertriebenen Schlagzeilen anzulocken – und Panik zu verbreiten.
Kommer nennt das Phänomen „Investment-Pornografie“, ein alter Begriff aus der US-amerikanischen Finanzwelt. Dabei sei es nicht das Ziel, seriöse Fakten zu verbreiten, sondern Auflage und Klickraten zu steigern. Und: „schrottige Finanzprodukte und Anlagestrategien zu verkaufen“, sagt Kommer, Autor des Buches „Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs“. Es geht also ums Geld.
Mit solchen Überschriften wird an einige der schlechtesten Emotionen und Eigenschaften appelliert: Gier, Neid, Ungeduld, Naivität, Selbstüberschätzung, Unwissenheit über Kapitalmärkte. Man könnte sagen: Das Buhlen um die knappe Ressource Aufmerksamkeit im Internet hat längst das Thema Geldanlage erreicht. „Social Media gehört zu den schlimmsten Verbreitern von Finanzpornografie.“ Dadurch hat sich das Problem noch einmal verstärkt, sagt Kommer.

Vermögen langfristig aufbauen

Für den langfristigen Vermögensaufbau sind all die heißen Ratschläge und Geheimtipps nicht hilfreich – im Gegenteil. Sie schmälern am Ende höchstwahrscheinlich die Rendite. Vermögensbildung habe nichts mit „schnell handeln“ zu tun. Kommer, der seit mehr als 30 Jahren den Kapitalmarkt kennt, setzt auf ETF (ExchangeTraded Fund), also börsengehandelte Indexfonds. Sie bilden passiv einen Index nach, werden also nicht aktiv von Fondsmanagern zusammengestellt. Eine Strategie, die auch Verbraucherschützer empfehlen.
„Eine solide Geldanlagestrategie zum Vermögensaufbau oder für die Altersvorsorge macht es nicht erforderlich, sich ständig mit der Börse zu beschäftigen“, sagt Niels Nauhauser, Experte für Geldanlage bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Hin und her macht Taschen leer

Nauhauser empfiehlt altbekannte Regeln: kaufen und liegen lassen. Denn in der Regel kostet der Handel mit Wertpapieren Gebühren. Besser langfristig investieren und nicht ständig umschichten – also genau das Gegenteil dessen, was die „Finanzpornografie“ nahelegt. Außerdem wichtig: breit gestreut zu geringen Kosten investieren. Das klappt am besten mit einem ETF auf den MSCI World. Er enthält rund 1600 Unternehmen – und bildet so einen Großteil des Aktienmarkts ab. Die Schwellenländer sind hier jedoch nicht dabei. Wer etwas tiefer einsteigen und das Risiko breiter streuen möchte, kann mehrere ETF auswählen und verschiedene Regionen beimischen. „Innerhalb einer Region kann man noch Blue Chips und Small Caps kombinieren“, sagt der Experte – also umsatzstarke Aktien großer Unternehmen und Unternehmen mit einer geringen Marktkapitalisierung.
„Wir haben heute deutlich mehr Verbraucher mit Portfolios, in denen schon ETF drin sind“, berichtet Nauhauser. „Früher war das etwas für exotische Selbstentscheider. Heute ist das gang und gäbe.“ Und in der Regel sei ein solches Investment eine gute Entscheidung gewesen.
Fondsmanager versuchen, mit einer cleveren Auswahl einzelner Aktien oder Segmente eine höhere Marktrendite zu erlangen. Doch in der Regel scheitern sie damit, zeigen Statistiken. Das gibt ETF-Anlegern Recht. „Die Chancen stehen unter dem Strich denkbar schlecht, mit einer Auswahl an Einzeltiteln den Markt zu schlagen“, sagt Nauhauser und rät generell von Einzelaktien ab. Dadurch sinkt auch das Risiko, dass Anleger sich von reißerischen Überschriften zu unüberlegten und emotionalen Entscheidungen verleiten lassen.

Clever investieren mit ETF

Dass viele Deutsche ihre Furcht vor der Börse verloren haben, dürfte auch mit dem Erfolg der ETF zu tun haben. Tendenziell ist die Zahl der Anleger seit der Finanzkrise 2008 gestiegen.
Im Jahr 2021 war etwa jeder Sechste in Deutschland ab 14 Jahren am Aktienmarkt engagiert – 17,1 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren besaßen Anteilsscheine von Unternehmen, Aktienfonds oder aktienbasierte ETF, zeigen Zahlen des Deutschen Aktieninstituts.
Entscheidend ist aus Sicht von Verbraucherschützer Niels Nauhauser: „Breit streuen, ob mit einem oder zehn ETF.“ Zudem langfristig investieren und nicht ständig umschichten.
Doch was rät er jenen, denen ohne Einzelaktien der Spaß an der Börse fehlt? „Die Versuchung ist groß, trotzdem jeden Tag ins Depot zu schauen“, sagt Nauhauser. Das hat schließlich auch etwas Spielerisches.
Wer dazu neigt und etwas Geld übrig hat, kann etwa 80 Prozent seines Vermögens in ETF stecken, und mit 10 bis 20 Prozent aktiv in den Markt gehen. „So kann man sein Hobby ausleben und sich mit dem Markt messen, wenn man mag und daran Freude hat“, sagt er. Denn ein bisschen Aufregung und Nervenkitzel gehören für manche an der Börse dazu.