Alle reden über Elektromobilität, Autonomes Fahren und Digitalsierung der Produktion. Die Wieland Werke aus Ulm liefern die Basistechnologie dafür. Daher wollte Konzernchef Erwin Mayr Europas größten Kupferverarbeiter mit dem Kauf einer Sparte des Hamburger Arubis-Konzerns für den globalen Wettstreit aufstellen. Das scheiterte am Veto der EU. Doch der promovierte Physiker hat Alternativpläne.

Ärgert Sie, dass die EU den Kauf der Aurubis-Sparte verboten hat?

Erwin Mayr: Die Übernahme der Flachwalzsparte der Aurubis wäre aus unserer Sicht für Europa ein Gewinn gewesen, für Kunden und Mitarbeiter, denn Wieland steht für Investitionen in Anlagen, Innovationen, Qualität und Service – also eine positive Zukunft. Die Entscheidung der Kommission ist inhaltlich und prozesstechnisch zumindest fragwürdig und aus europäischer industriepolitischer Perspektive sicherlich ein Fehler.

Beurteilt die EU Fusionen noch nach den richtigen Kriterien?

Dies ist zu einer politischen Diskussion geworden, vor allem vor dem Hintergrund der abgelehnten Transaktion von Siemens und Alstom. China und die USA streiten sich um die globale Vorherrschaft. Wir sehen ein aggressives und politisch unterstütztes Vorgehen aus China und eine zunehmende Abschottung der USA unter dem Motto „America First“.

Was muss sich in Europa ändern?

Die EU hat in diesem globalen Machtkampf einen kleinstaatlichen Blick. Das europäische Kartellrecht sowie die sehr bürokratische Institution dahinter sind reformbedürftig. Ohne eine Reform kommen die europäische Industrie und als Konsequenz die Kunden, wir alle, ins Hintertreffen gegenüber großen und wachsenden Wettbewerbern aus Asien und den USA.

Was sind die Folgen?

Wenn sich die EU nicht bewegt, wird auch die europäische Kupferindustrie in asiatische und amerikanische Hände gelangen – wie das schon beim Großteil der Stahl- und Aluminiumbranche geschehen ist. Die ultimativen Entscheidungsträger sitzen dann nicht mehr in Europa. Daran können wir kein Interesse haben.

EU-Kommissarin Vestager argumentiert, dass Sie die Kunden vor überhöhten Preisen schützen will.

Das ist für mich zu kurz gedacht. Ich denke, eine starke europäische Industrie mit gut bezahlten Arbeitsplätzen tut den Bürgern besser als eine aus dem Ausland gesteuerte Branche, in der Europa nur Zuschauer ist. Die Kupferhalbzeug-Industrie liefert die Basis für zentrale moderne Entwicklungen, sei es in der Elektromobilität, dem autonomen Fahren oder in der Automatisierung der Produktion. Gerade deshalb ist ein starkes europäisches Unternehmen in dieser wichtigen Branche von strategischer Bedeutung.

In Ihrer Branche herrscht ein extremer Wettbewerb.

Und sie ist von Überkapazitäten und jahrelang schwachen Kapitalrenditen geprägt. Ein großer organischer Ausbau der Produktionskapazitäten wäre daher strategisch nicht klug.

Sondern?

Zukäufe in unseren Zielmärkten Asien und USA sind der richtige Weg. Dort ist das Wachstum groß. Zudem wollen wir damit Chancen und Risiken global ausbalancieren – auch zur langfristigen Sicherung unseres Geschäfts in Europa. Wielands Schwerpunkt und Firmensitz wird immer in Deutschland sein.

Wie lautet Ihr Ziel?

Wir haben ein globales Netzwerk von Vertriebs-, Service- und Produktionsgesellschaften. Wir wollen aber noch passgenauere Angebote für unsere Kunden entwickeln, mit noch kürzeren Lieferketten und bester Qualität weltweit. Damit ermöglichen wir unseren Kunden, noch erfolgreicher als bisher zu sein. Vor diesem Hintergrund haben wir in den letzten 18 Monaten in den USA mehrere kleinere Zukäufe getätigt, um Schritt für Schritt unsere Fähigkeiten für den Erfolg der Kunden auszubauen.

Wie wirkt sich das Megathema Elektromobilität auf Wieland aus?

Die Technologie wird sich in den nächsten 10 bis 20 Jahren durchsetzen und unser Wachstum möglicherweise langfristig und nachhaltig antreiben. Wieland kommt entgegen, dass es sich um eine Evolution handelt und dass es zunächst nur wenig reine E-Autos und mehr Hybridfahrzeuge gibt, also Autos, die die alte und neue Technologie vereinen. Wir liefern ja viele Komponenten für die bestehende Antriebstechnologie.

Wo steht Wieland bei dem Thema?

Mit unseren Hochleistungslegierungen können wir sehr viel zur künftigen Wertschöpfung in Elektrofahrzeugen sowie der autonomen Fahrzeugtechnologie beitragen. Steckverbinder zum Beispiel werden noch wichtiger, weil die Digitalisierung und notwendige Vernetzung im Fahrzeug zunimmt. Zudem steckt in Elektromotoren und den dazugehörigen Komponenten viel Kupfer. Wir sind bereits heute  Entwicklungspartner vieler Automobilhersteller und deren Zulieferer, wenn es um Komponenten für effiziente Elektromotoren geht. Wir haben hier in Ulm sehr gute Ingenieure, die an diesem  Zukunftsthema arbeiten.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei Ihnen?

Eine wichtige. Wir nutzen die Datenmengen, die wir in der Produktion erheben. Wir wollen verstehen, was an den Anlagen geschieht, um vorausschauend handeln und somit beispielsweise Ausfallzeiten reduzieren zu können. Unsere Kunden erhalten zunehmend digitale Informationen, wie das Halbzeug bei uns entlang der Wertschöpfungskette entstanden ist.

Ist das alles?

Wir nutzen sie auch, um über neue Geschäftsmodelle oder Geschäftsfelder nachzudenken. Gleichzeitig haben wir Wieland Ventures gegründet. Wir schauen breit nach interessanten Start-up-Ideen, die uns künftig helfen können. Das Themenspektrum reicht von der Arbeitssicherheit über innovative Recyclinglösungen bis hin zu neuen Ideen für Batterietechnologien. Die Ideen von außen ergänzen unsere interne Forschung und Entwicklung.

Was ist Wielands größte Aufgabe?

Das detaillierte Ausarbeiten und die sorgfältige Umsetzung der Wieland Strategie zum profitablen Wachstum weltweit, durch gezielte Investitionen und Zukäufe, so dass die Zukunft der Gruppe langfristig gesichert ist und Chancen global optimal genutzt sowie Risiken minimiert werden. Gemäß dem Motto „culture eats strategy for breakfast“ ist die größte Herausforderung dabei die Weiterentwicklung der Firmenkultur, so dass die Mitarbeiter weltweit die Vision und Strategie verstehen und mit großer Motivation unterstützen.

Warum ist das so schwierig?

Um in dem zunehmend schärferen Wettbewerbsumfeld weiterhin führend zu sein, müssen wir uns zu einem globalen und agilen, also einem sehr beweglichen, Unternehmen entwickeln. Diese Veränderung führt oft zu Unsicherheit und fällt vielen Mitarbeitern schwer, ist aber notwendig. Ansonsten werden wir gegenüber Konkurrenten zurückfallen.

Wie soll die Firmenkultur aussehen?

Zu mehr Offenheit und Transparenz sowie mehr Internationalität und klarer Ergebnisverantwortung. Vor allem eine offene Kommunikation ist der Nährboden auf dem Inspirationen, Visionen und Motivation gedeihen. Mit dieser Firmenkultur als Basis haben wir eine gute Chance die anspruchsvollen Ziele der Wieland Gruppe zu erreichen.

Mit 7000 Mitarbeitern in 60 Ländern vertreten

Als Glockengießerei 1820 gestartet, ist die Wieland Werke AG heute Europas größter Kupferverarbeiter. Das Großunternehmen hat bundesweit vier Fabriken sowie Gesellschaften in mehr als 60 Ländern und kam zuletzt mit 7000 Mitarbeitern auf einen Umsatz von 3,4 Mrd. €. Wieland gehört der Ulmer Unternehmerfamilie Schleicher. Rohre, Bänder, Profile und andere Halbzeuge von Wieland stecken in Fußbodenheizungen, Wasserleitungen und -hähnen, Schlüsseln, Weißer Ware, in Kommunikations- und Unterhaltungselektronik, Fahrzeugen, Münzen und vielem mehr.
Erwin Mayr (49, verheiratet, drei KInder) stammt aus Wertingen. Er studierte Physik in Ulm und promovierte. Vor seiner Zeit bei Wieland arbeitete er viele Jahre in der Schweiz und verfügt über eine doppelte Staatsbürgerschaft. Mayr ist passionierter Läufer und Tischkicker-Spieler.