Zwerginnen ohne Bärte? Elben mit Kurzhaar-Frisur? Hobbits, die keine sind? Für viele Fans der Welt von „Herr der Ringe“ ist klar: Was Amazon aus ihrem Lieblingsuniversum macht, ist schlicht Verrat an den Ideen J.R.R. Tolkiens. Online-Foren quellen seit Monaten über mit vernichtender Kritik, jeder neue Trailer wird auf Youtube zerpflückt. „Nichts davon hat damit zu tun, was Tolkien geschrieben hat“, ätzt der US-Blogger Jonathan Watson von „TheOneRing.com“ – nur ein Beispiel von vielen für die Stimmung unter Fans.

Amazons PR-Strategie: „Diversity“ statt Werktreue?

Von ungefähr kommt das nicht. Fast scheint es, als legte die PR von Amazon Prime Video es darauf an, Millionen Tolkien-Enthusiasten weltweit vor den Kopf zu stoßen. In Interviews schwärmten Schauspielerinnen und Schauspieler mehr von „Diversity“ als von den Büchern. Die Serien-Macher erklärten, dass sich in Mittelerde unsere heutige Welt widerspiegeln solle – für Hüter der Werktreue eine Horrorvision. Ahnungslose Influencer wurden für peinliche PR-Clips eingespannt, die Trailer sahen derart aseptisch und billig aus, dass selbst neutrale Film-Experten sich fragen, wohin das Budget von einer halben Milliarde Dollar geflossen sei.
Hält die Kritik der Fans an kosmetischen Änderungen für "nicht gesund": Mháire Stritter vom Fantasy-Portal "Orkenspalter TV".
Hält die Kritik der Fans an kosmetischen Änderungen für „nicht gesund“: Mháire Stritter vom Fantasy-Portal „Orkenspalter TV“.
© Foto: Nico Mendrek/Orkenspalter TV
„Viele Fans sind skeptisch, da sie schlechte Erfahrungen gemacht haben“, sagt Mháire Stritter, Moderatorin bei „Orkenspalter TV“, ein Online-Portal, das sich intensiv mit Fantasywelten und Rollenspielen beschäftigt. Auch sie bemängelt die Beliebigkeit in Tonfall und Design der Trailer-Bilder. An diesem Problem krankte schon die Serien-Umsetzung des Fantasy-Zyklus’ „Das Rad der Zeit“, die Amazon kürzlich grandios in den Sand setzte.

Ist Fan-Ärger wegen bartloser Zwerginnen gerechtfertigt?

Auch die „Hobbit“-Kinofilme hätten viele Tolkien-Fans desillusioniert, sagt Stritter. „Respekt vor dem Quellenmaterial haben Produktionsfirmen ja leider eher selten. Und Tolkien-Fans bleiben doch gern sehr werkgetreu.“ Wobei Kritik an Details wie Zwergenfrauen, die laut „Kanon“ eigentlich Bärte tragen müssten, auch übertrieben sei. „Tolkien hat selbst nie eine endgültige Version seines Hauptwerks fertiggestellt“, sagt Stritter. Für manche Änderung gebe es auch durchaus Anknüpfungspunkte in den Büchern. Die toxische Stimmung in der Szene aufgrund eher kosmetischer Aspekte sei insgesamt eher „nicht gesund“. Dass Mittelerde in der Amazon-Version diverser daherkommt und People of Color auch Elben und Zwerge spielen, sollte aus ihrer Sicht erst recht kein Thema sein. „Aber leider kann man mit ,Kritik‘ auf dieser Basis an den richtigen Stellen viele Klicks generieren.“
So bleibt am Ende die entscheidende Frage, ob „Die Ringe der Macht“ trotz allem eine Geschichte erzählt, die dem Geist Tolkiens und der Mythologie Mittelerdes gerecht wird – oder doch nur ein weiteres austauschbares Fantasy-Franchise ohne Seele begründet. Für positive Überraschungen ist noch Raum.