Zu Beginn unseres Interviews, nach drei, vier Fragen, klopft es an der Tür. Florence Kasumba schaut herein: „Maria, ich will Dir kurz Tschüss ­sagen.“ Maria Furtwängler springt auf, umarmt zum Abschied ihre neue Tatort-Kollegin, mit der sie am Vormittag in Hamburg vor der Presse über die neue Krimi-Folge gesprochen hat, um später einige Einzelinterviews zu geben. Auf die Schnelle tauschen sie jetzt ihre Telefonnummern aus, freuen sich auf ein  Wiedersehen. „Eine coole Frau“, sagt Maria Furtwängler lachend. Am 3. Februar werden sie zum ersten Mal gemeinsam im Tatort (ARD, 20.15 Uhr) auftreten.

Frau Furtwängler, Kommissarin Charlotte Lindholm bekommt eine neue Kollegin.
Wie verstehen sich die beiden Frauen?

Im Film tut sich Charlotte schwer mit der neuen Kollegin. Nach dem „Fall Holdt“, der sie extrem gebeutelt hat, wird sie in eine andere Dienststelle abgeordnet. Sie fühlt sich zurückgesetzt, gedemütigt, in ihrem Stolz gekränkt. In dieser Verfassung trifft sie auf die neue Kommissarin, die auch eine Alphafrau ist. Das führt zwangsläufig zu Konflikten …

 … und im echten Leben?

Da habe ich viel Sympathie für Florence Kasumba und bin neugierig: Woher kommt sie? Was hat sie für eine Geschichte? Wie erlebt sie Deutschland? Ich war schockiert zu hören, wie oft sie in unserem Land Reaktionen auslöst, die sie als Alltagsrassismus empfinden muss. Dass ein Mensch auch heute noch nach seiner Hautfarbe, seiner Herkunft beurteilt wird, ist unfassbar. Diese Diskriminierung dürfen wir nicht hinnehmen.

Was war für Sie, abgesehen von der Tatort-Kommissarin, Ihre wichtigste Rolle?

Ich neige dazu, immer den jüngsten oder den nächsten Film für den wichtigsten zu halten. Aber über all die Jahre gesehen war der Mehrteiler „Die Flucht“, der in den letzten Kriegsmonaten in Ostpreußen spielt, ein besonderes Erlebnis. Noch heute denke ich: Wie wunderbar, dass ich dabei war, als ein so relevantes Stück deutscher Geschichte verfilmt wurde.

Wie viel von der Alphafrau Charlotte Lindholm, die auch eine sehr sensible Frau mit großen Selbstzweifeln ist, steckt in Maria Furtwängler?

Stark, sensibel, in bestimmten Situationen mit Unsicherheiten behaftet – das bin ich auch. Wenn auch auf andere Weise als meine Figur. Was nichts mit mir zu tun hat, ist Charlottes Unfähigkeit, im Team zu arbeiten.

Frauen und Männer

Sie als extrem attraktive und erfolgreiche Frau sind unsicher?
Mal ehrlich, viele von uns Frauen haben doch inzwischen ihren Schutzpanzer, tragen eine gewisse Selbstsicherheit zur Schau, die wir auch zu inszenieren wissen. Aber das schützt uns nicht davor, von unseren alten Selbstzweifeln gequält zu werden. Mir passiert das, wenn ich mich überfordert fühle, weil ich mir wieder zu viel vorgenommen habe, statt raus in die Natur zu gehen und dort aufzutanken, was ich sehr liebe. Wir fragen uns doch immer wieder, ob wir dieses oder jenes richtig machen, gut genug sind, nicht noch perfekter sein könnten. Männer sind da meist anders.

Sie beneiden die Männer um ihre Selbst­sicherheit?

Ab und zu schon. Plakativ gesagt: Da steht mancher mit dünnem Haar und dickem Bauch vor dem Spiegel und sagt: „Ist doch alles okay so!“ Unter Männern gibt es manchmal schon eine unglaubliche Selbstherrlichkeit. Die beruhigt ­allerdings immerhin die Nerven.

Stimmt es, dass Sie als Kind lieber ein Junge gewesen wären?

Das war etwas ganz Archaisches. Wenn wir spazieren gingen, konnten meine Brüder immer im Stehen pinkeln, und ich als Mädchen musste umständlich in die Knie gehen. Außerdem fand ich es toll, richtig stark zu sein. Als ich vier war, wollte ich Lkw-Fahrerin werden, weil ich eine sehr imposante Frau am Steuer eines Lkw beobachtet hatte. Sie saß ganz oben, vor einem Riesenlenkrad mit dicken Armen – und strahlte Kraft und Macht aus. Übrigens: Ich kann das hier ganz einfach erzählen. Aber wehe ein Mann sagt, er habe sich als Kind gewünscht, ein Prinzessinnenkleid anzuziehen und sich die Fingernägel zu lackieren ... Dass wir das alles so früh kategorisieren, ist ein Jammer.

Welches Frauenbild hat Ihnen Ihre Mutter, die Schauspielerin Kathrin Ackermann, vermittelt?

Ein widersprüchliches. Sie hat sehr emanzipiert geredet und wenig emanzipiert gelebt. Sie hat den Haushalt ganz allein geschmissen, mein Vater hat nie einen Finger gerührt – obwohl sie berufstätig war und mehr zum Familieneinkommen beigetragen hat als er.

Sie selbst haben einmal gesagt, dass Sie mit sich hadern, weil Sie sich dem „Diktat von Sexyness“ unterwerfen, wenn Sie auf einer Gala ein unbequemes Kleid tragen, in dem Sie auch noch frieren.

Ja, und das spiegelt wider, dass auch ich bestimmten Vorstellungen entsprechen will, obwohl ich weiß, wie fragwürdig das ist. Glauben Sie mir, ich arbeite daran – und bin die Letzte, die sagt: Ich weiß, wie es geht. Allerdings habe ich mich nie auf mein Äußeres verlassen oder damit gerechnet, dass das genug sein könnte. Als junge Frau fand ich mich überhaupt nicht schön – mit dieser ­Hundebissnarbe unter einem Auge, die ich entstellend fand, obwohl man sie kaum sieht. Dafür dachte ich, ich sei ­lustig und etwas schneller im Kopf als andere.

Ihre MaLisa-Stiftung hat die Frauen-Präsenz in Film und Fernsehen untersuchen lassen. Welcher Befund hat Sie am meisten irritiert?

Schockiert haben mich vor allem die Ergebnisse im Kinderfernsehen. Da ist nicht eine von drei Figuren weiblich wie im Erwachsenenfernsehen, sondern nur eine von vier. Auch dort erklären vorwiegend Männer die Welt. Und wenn eine Frau daneben steht, erklärt sie maximal die Tierwelt. Ich hatte einfach angenommen, dass man im Kinderfernsehen weiter ist. Und dann ist das Thema der älteren Frauen natürlich ein Trauerspiel.

Inwiefern?

Es gibt im Fernsehen, aber nicht nur dort, nur ganz wenige kraftvolle Identifikationsfiguren für ältere oder alte Frauen. Nicht ohne Grund tun wir uns mit dem Prozess des Alterns so schwer. Ein ­alterndes Frauengesicht ist gewissermaßen der Worst Case. Bei älteren Männern assoziieren wir Kompetenz, Erfahrung und oft auch Macht – und dadurch Attraktivität. Was ist das für ein Denken, das uns da eingepflanzt worden ist? Wenn wir Frauen uns nicht immer wieder dagegen stemmen, tragen wir selbst zu einer Verfestigung dieser Verhaltensmuster bei – und auch zu einer bestimmten Form von Respektlosigkeit.

Sie wurden nach Veröffentlichung der Studie im Interview von einem Mann gefragt, ­ob Sie die Menschen in Deutschland erziehen wollen.

Also in erster Linie will ich mich selbst erziehen. Ich will wachsamer mit ­meinen unbewussten Vorurteilen umgehen und nicht mehr mit dem Augenrollen der Männer hadern, wenn ich sage: Ich bin Feministin. Viele Frauen, und da nehme ich mich selbst gar nicht aus, tun sich schwer damit, nicht zu gefallen. Diese Angst steuert unser Verhalten – und das schränkt uns natürlich ein.

Auf welche Weise?

Wir ziehen unsere Forderungen nach Veränderung nicht konsequent durch, weil wir eben auch denken: Ach, irgendwie ist es schön, wenn er mich toll findet. Ich selbst habe früher laut über ­Blondinenwitze gelacht. Heute bin ich da sehr viel wachsamer, weil ich begriffen habe, dass viele Frauen versuchen, sich über die Abwertung anderer Frauen selbst aufzuwerten. Wir sind leider immer noch viel zu wenig solidarisch untereinander.

Bekommt das die junge Frauen-Generation besser hin?

Vielen gelingt es besser als uns, zum Beispiel meiner erwachsenen Tochter. Anderen gelingt es nicht, etwa den jungen Frauen, die vor lauter Beauty auf Instagram und Youtube gar nicht merken, dass sie gerade wieder die Rolle rückwärts machen.

Ihr erster Job: Ärztin

Wie kommt Ihr Mann damit klar, mit einer bekennenden Feministin verheiratet zu sein?

Ach, wissen Sie, er ist da sehr souverän. Er ist den Umgang mit starken Frauen gewohnt – denken Sie an seine Mutter Aenne Burda. Sie war zwar keine Feministin, aber ihrer Zeit doch weit voraus.

Sie mögen es nicht, als Millionärsgattin bezeichnet zu werden.

Richtig, weil das auch wieder so ein Klischee ist. Er macht seinen Job – und ich mache meinen.

In Ihrem ersten Job waren Sie Ärztin, bevor Sie sich ganz für das Schauspielen entschieden haben.

Ich war sehr gerne Ärztin, mit großem Interesse für Psychosomatik, weil ich glaube, dass viele Leiden eine seelische Ursache haben. Es lag mir, analytisch und rational an Erkrankungen heranzugehen. Aber ich habe irgendwann entdeckt, dass es für mich die größere Herausforderung ist, mich als Schauspielerin zu öffnen und innere Vorgänge sichtbar zu machen. Eine Herausforderung auch deshalb, weil ich nicht der Typ war und bin, der sich hinstellt und sagt: Seht her, das ist der Bauchladen meiner Emotionen. Heute bin ich sehr froh über diese Entscheidung, obwohl es zu den wichtigsten Dingen gehört, einen guten Arzt zu haben.

Sie sind Kuratoriumspräsidentin von „German Doctors“ und waren schon für ­einige Projekte in Afrika, Indien und auf den Philippinen, wo Ihre Stiftung einen ­Zufluchtsort für misshandelte Frauen geschaffen hat. Was hat Sie bei diesen ­Reisen am meisten berührt?

Ein Zwillingspärchen, beide stark unterernährt. Für den Jungen gab es noch eine Überlebenschance, weil die abgemagerte Mutter ihn mehr gestillt hatte als das Mädchen. Ich habe erlebt, dass Frauen in vielen Ländern nur wenig oder gar nichts wert sind. Es fehlen ja auch weltweit viele Millionen Mädchen, weil sie erst gar nicht zur Welt kommen oder nicht lange leben durften. Das tut furchtbar weh. Aus meinem Schmerz wollte ich etwas Konstruktives machen. Deshalb unterstütze ich Mädchen und Frauen, die bisher nur verachtet und diskriminiert worden sind. Ich hoffe, dass ich auf diese Weise dazu beitragen kann, dass sie starke Frauen werden.

Info: Ein Fahrrad für die erste Rolle

Die erste Gage von Maria Furtwängler war ein Fahrrad für ihre Rolle, die sie als Siebenjährige in dem TV-Film „Zum Abschied Chrysanthemen“ spielte. Heute ist die 52-Jährige eine der gefragtesten deutschen Schauspielerinnen, ihr Tatort-Debüt hatte sie 2002. Sie ist verheiratet mit dem Verleger Hubert Burda und hat zwei erwachsene Kinder. Gemeinsam mit ihrer Tochter Elisabeth gründete Maria Furtwängler die MaLisa Stiftung für die Stärkung von Frauen. Mit der Unterstützung von „German Doctors“ initiierten sie das Malisa Home-Projekt, das sich um misshandelte Frauen auf den Philippinen kümmert. Nach ihrem Studium hatte Maria Furtwängler zunächst als Ärztin gearbeitet, bevor sie sich ganz dem Schauspielen widmete. Ihr Großonkel war der berühmte Dirigent Wilhelm Furtwängler (1886 bis 1954).

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