Die Augen von Thomas Tuchel leuchteten, immer wieder huschte dem neuen Bayern-Trainer ein Lächeln über das Gesicht. Die riesige Vorfreude auf seinen Münchner Knallstart und das erwartete Gänsehaut-Duell mit Ex-Club Borussia Dortmund war bei dem 49-Jährigen zu jeder Sekunde zu spüren. „Wenn wir im Stadion sind, wird es auf jeden Fall emotional.“
Die Besonderheit der Tabellensituation, die Besonderheit der Rivalität der beiden Mannschaften. „Das wird ein heißes Match“, schwärmte Tuchel am Tag vor dem wichtigsten Saisonspiel in Fußball-Deutschland. „Das hat auf jeden Fall Signalwirkung. Wir wollen die Tabellenführung zurück.“

Eine Extradosis Prickeln

Das spektakuläre Trainer-Beben beim FC Bayern hat die große Bedeutung des deutschen Klassikers weiter erhöht. Und dass es beim in über 200 Länder übertragenen Bundesliga-Gipfel am Samstag (18.30 Uhr/Sky) dann auch noch gegen die Borussia geht, die Tuchel mit dem DFB-Pokal-Titel und Misstönen vor sechs Jahren verließ, sorgt für die Extradosis Prickeln.
„Das ist lang genug vorbei, um für mich einen Haken daranzumachen“, sagte Tuchel, der nach Dortmund auf höchstem Level bei Paris Saint-Germain und dem FC Chelsea genug Abstand fand. Die Stimmung sei „eher versöhnlich“. Nur zu gerne würde er dennoch am Topspiel-Galaabend so starten wie Sieben-Titel-Trainer Hansi Flick bei seinem ersten Liga-Auftritt als Münchner Coach: mit einem Sieg (4:0) gegen den BVB.
„Work, eat, sleep, repeat“, sei sein Motto für die ersten turbulenten Arbeitstage an der Säbener Straße gewesen, berichtete Tuchel in der fast 40-minütigen und damit ungewöhnlich langen Pressekonferenz. Er spüre „eine sehr positive Energie“ und viel „Lust“ bei den Stars auf den Neustart im 108. Bundesliga-Klassiker. Auch die zuletzt verletzten Jamal Musiala und Eric Maxim Choupo-Moting sind dafür wieder Alternativen.

Sehr kurze Vorbereitungszeit

Nach dem knallharten Ende der Amtszeit von Julian Nagelsmann musste Tuchel in der kurzen Vorbereitungszeit auf sein erstes Bundesliga-Spiel seit 2142 Tagen improvisieren. Er befürchtete bei nur einer Einheit mit dem kompletten Kader „unfaire“ Aufstellungsentscheidungen.
Geduldig gab Tuchel am Freitag Antworten auf ein breites Fragenspektrum, auch zu ihm als nicht immer ganz einfachen Charakter oder zu seinem Alter. „Dünnes Eis, mich auf meinen 50. anzusprechen“, scherzte Tuchel, der gerne von einem Gespräch mit Ehrenpräsident Uli Hoeneß berichtete. Dieser hatte die Verpflichtung begrüßt, nachdem sie in der Vergangenheit auch wegen Hoeneß mal gescheitert war. „Ich wollte ihm sagen, dass ich mein Bestes gebe, um gut auf seinen Club aufzupassen“, erzählte Tuchel.
Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic werden das nach ihrem harten Schnitt auf dem Trainerposten genaustens beobachten. In wegweisenden Wochen mit dem Pokal-Viertelfinale gegen den SC Freiburg als nächster Aufgabe und dem nahenden Champions-League-Highlight gegen Manchester City stehen auch sie nach dem Nagelsmann-Aus besonders im Fokus.

Bilanz beruhigt Oliver Kahn

Der Blick auf die Bilanz dürfte Kahn, der beim späten 2:2-Ausgleich im Hinspiel auf der Ehrentribüne getobt hatte, beruhigen. Denn die ist aus BVB-Sicht Fußball-Horror pur: Acht zum Teil klare Niederlagen und insgesamt 6:33 Tore hagelte es zuletzt in der Allianz-Arena in der Liga. Doch anders als in diesen Duellen zwischen dem Abonnementsmeister und dem regelmäßig zum Gratulanten degradierten BVB ist die Ausgangslage in einer Saison mit mehr als nur dem Hauch von Titelspannung diesmal eine andere. Ein Sieg würde den Dortmunder Vorsprung auf vier Punkte anwachsen lassen.
Die beiden Bundesliga-Großmächte, von denen seit 2009 immer eine den Titel gewann, werteten das brisante Kräftemessen nicht als Entscheidung im diesjährigen Meisterschaftskampf. „Wir werden nicht Meister sein, falls wir gewinnen, und wir werden keinesfalls die Meisterschaft abschreiben, wenn wir nicht gewinnen sollten“, sagte Tuchel. „Das Schöne ist, dass die Meisterschaft an diesem Samstag, egal wie es ausgeht, nicht entschieden sein wird“, sagte auch BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

Dortmunder wollen „Zeichen setzen“

Für Edin Terzic, Trainer von Borussia Dortmund, ist die Vorbereitung seiner Mannschaft auf das Bundesliga-Spitzenspiel beim FC Bayern München durch den Trainerwechsel beim deutschen Rekordmeister komplizierter geworden. „Natürlich verändert das ein bisschen was in der Gegnervorbereitung“, sagte Terzic am Freitag. „Durch den Trainerwechsel weiß man nicht genau, inwieweit Thomas Tuchel anknüpfen wird an das, was Julian Nagelsmann gespielt hat in den letzten Wochen oder ob er da komplett eine neue Idee reinbringt.“ Vor dem Gipfeltreffen liegt der FCB einen Punkt hinter dem BVB auf Rang zwei der Bundesliga-Tabelle.
Der Dortmunder Coach geht mit seinem in der Rückrunde noch ungeschlagenen Team optimistisch in die Partie. Terzic kann wieder auf Stammkeeper Gregor Kobel, Offensivmann Julian Brandt, Mittelfeldspieler Salih Özcan sowie die Stürmer Karim Adeyemi und Youssoufa Moukoko zurückgreifen. Leader Emre Can kehrt nach einer Gelbsperre zurück. „Wir können ein Zeichen setzen an uns und an die Konkurrenz. Wir wollen auch zeigen, dass wir anders sind als in den letzten Jahren“, sagte Terzic. Der letzte Sieg des BVB in München liegt neun Jahre zurück.