Wenn er am Steuer sitzt, wirkt selbst Opel fahren lässig. Seit einigen Jahren ist Jürgen Klopp Markenbotschafter des traditionsreichen Autobauers aus Rüsselsheim. Was Opel dem 51-jährigen Fußballtrainer für seine Dienste und Auftritte in Werbespots bezahlt, ist nicht bekannt. Das Geld dürfte Opel auf Sicht aber gut angelegt haben. Denn wo immer Jürgen Norbert Klopp, Spitzname Kloppo, auch auftaucht, stellt sich Erfolg ein.
Derzeit ist der gebürtige Schwabe Teammanager des FC Liverpool. Mit dem Klub aus dem Nordwesten Englands will er an diesem Samstag nach den Sternen greifen: Das Finale der Champions League steht an. Liverpool trifft in Madrid auf Tottenham Hotspur, einen Rivalen aus der heimischen Premier League.

Jürgen Klopp: Champions-League-Sieg wäre sein größter Triumph

Jürgen Klopp – Champions-League-Sieger mit Liverpool! Was wäre das für ein Triumph. Ein Sieg in der Königsklasse wäre die Krönung einer bemerkenswerten Trainerkarriere, in der es beileibe nicht nur bergauf ging.
Jürgen Klopp weiß, wie sich Enttäuschung anfühlt, wie Niederlagen schmerzen. 2002 und 2003 verpasst er als Trainerneuling jeweils auf grotesk knappe Weise mit Mainz 05 den Aufstieg in die Bundesliga. 2003 platzt der Mainzer Traum am letzten Spieltag in Braunschweig. Der 1,91 Meter große Blondschopf weint hemmungslos. Es ist herzergreifend. Ein Jahr später verdirbt Union Berlin Klopps 05ern die Aufstiegsparty. Man muss sich diese beiden Niederlagen in Erinnerung rufen, um zu verstehen, wie Klopp tickt.
Ob Mainz, später Borussia Dortmund oder nun Liverpool. Klopp schafft es, aus darbenden Klubs binnen überschaubarer Zeit erfolgreiche Trendsetter und seine Spieler, auf welchem Level sie sich anfangs auch befinden mögen, besser zu machen. Klopp verschreibt sich einer Aufgabe. Sein Credo: Der Coach ist nicht nur einfach Coach, sondern vieles in einem: Strippenzieher, Vordenker, Motor, Gesicht seines Klubs. Wo Klopp ist, da ist er voll und ganz. So ist und lebt Klopp Mainz 05 und Borussia Dortmund. Er ist und lebt den FC Liverpool. Wer den Fußball-Lehrer über seine Stationen und Vereine sprechen hört, merkt: Die Identifikation mit seinen Arbeitgebern ist keineswegs gespielt. Sie ist echt und emotional begründet, Klopps Wirken ist authentisch. Dort, wo dieser Trainer arbeitet, schlägt er Wurzeln.

Längst eine internationale Marke

Apropos Emotionen: Aus seinem Herzen macht Klopp selten eine Mördergrube. Auf die Frage, wo er niemals arbeiten würde, antwortet er einmal der Berliner Zeitung: „Bei Eintracht Braunschweig und Union Berlin.“ Die herzliche Abneigung gegen die Braunschweiger Eintracht und die erst vor wenigen Tagen in die Bundesliga aufgestiegenen Eisernen aus der Hauptstadt hat mit jenen sportlichen Traumata in der zweiten Liga zu tun, die Klopp Anfang des Jahrtausends als Trainer erlebt hat. Sollte er nicht gerade am Hungertuch nagen, werde er diese Vereine niemals trainieren. „Weil ich dort absolut unsportliche Schadenfreude erlebt habe. Jeweils beim Nichtaufstieg mit Mainz.“ In Liverpool ist Jürgen Klopp inzwischen in der sportlich und finanziell attraktivsten Liga der Welt angekommen, Mainz 05 ist dennoch seine große Liebe geblieben.
Dabei ist Klopp in Stuttgart geboren, in der Nähe von Freudenstadt im Schwarzwald aufgewachsen. Er studiert Sport in Frankfurt, kickt und verdient sich ein paar Kröten in der Oberliga Hessen, unter anderem in der Reserve von Eintracht Frankfurt. Dass der 51-Jährige Vater zweier Söhne gebürtiger Schwabe ist, hört man ihm nicht an. Jürgen Klopp ist längst eine internationale Marke geworden, inklusive transplantierter und aufgefüllter Haarpracht, gerichteten Zähnen und Hollywood-Lächeln. Ein Entertainer auf und abseits des Fußballfelds, schlagfertig, charismatisch, unterhaltsam. Und für viele, wie den Kollegen Ralf Rangnick oder seinen früheren BVB-Spieler Neven Sobotic, schlichtweg der beste Trainer der Welt.
Was wiederum mit der Art zu tun hat, wie er seine Mannschaften Fußball spielen lässt – mit viel, viel Tempo. Nach Ballgewinnen wird sofort nach vorne gepasst, nach Ballverlusten unmittelbar und unnachgiebig nachgesetzt. Umschaltspiel und Gegenpressing heißt das im Fußball-Deutsch. „Heavy-Metal-Fußball“, sagt Klopp dazu. Zu bewundern ist dieser Stil 2012 im DFB-Pokal-Finale gegen einen damals keineswegs schwachen FC Bayern. Wie ein Tornado fegen Klopps Dortmunder über die Münchner hinweg. Als wären Metallica auf Helene Fischer getroffen. 5:2 heißt es am Ende für Schwarz-Gelb.
Es ist kaum zu glauben: Aber noch mehr PS als der BVB anno 2012 bringen derzeit Klopps Liverpooler auf den Platz. Im Champions-League-Halbfinale vor wenigen Wochen schicken die Engländer Lionel Messis FC Barcelona mit 4:0 nach Hause. Eine solche Vollgas-Veranstaltung hat selbst das Stadion an der Anfield-Road noch nicht gesehen.

„Kloppo“ - Wie alles begann

Begonnen hat Klopps wundersame Trainerkarriere im Rhein-Main-Gebiet. Im Sommer 1990 wechselt der schlaksige Hüne von Rot-Weiß Frankfurt nach Mainz. Die 05er sind zu diesem Zeitpunkt in Liga Zwei mal wieder pleite, mehr graue Maus als bunter Karnevalsverein. Klopp ist noch Spieler. Kein Künstler, sondern Handwerker. Ein Schwarzbrot-Fußballer, der jeder Mannschaft gut tut, als Verteidiger auf dem Platz fürs Grobe zuständig ist und schon früh das, was man gemeinhin den verlängerten Arm eines Trainers nennt. Coach der Mainzer ist damals Wolfgang Frank. Ein modern denkender Übungsleiter, der den jungen Klopp maßgeblich beeinflusst, mit Viererkette statt Libero spielen lässt. Dem Gegenspieler nicht überall hin auf dem Feld folgen, Zonen- statt Manndeckung, Mannschaftsteile verschieben und den Raum auf dem Platz verdichten, Überzahl in Ballnähe schaffen, lauten die Zauberformeln, die sich der junge Jürgen Klopp zu eigen macht.
Ab 2001 darf sich Klopp in Mainz mit Rückendeckung von Manager und Vorstand als Trainer austoben. Er zahlt das Vertrauen zurück, hievt das Team und den Verein, der nur über geringe finanzielle Mittel verfügt, auf ein beachtliches Level. Als er 2008 Mainz verlässt und beim zahlungskräftigen BVB anheuert, fließen wieder viele Tränen, bei Trainer, Spielern und Fans.
In Dortmund verfügt Klopp über deutlich bessere Kicker, mit denen er seine Ideen erstmals vollends umzusetzen vermag. Die erstaunte Fußball-Welt bewundert fortan den überfallartigen Jürgen-Klopp-Fußball. Der Trainer lässt den BVB so spielen, wie er sich selbst an der Seitenlinie aufführt: leidenschaftlich, mitunter vogelwild. So etwas hat die Liga noch nicht gesehen. Es ist spektakulär.

Jürgen Klopp: Star und Teamplayer

Die Borussia rockt die Liga, wird Meister, holt den DFB-Pokal, mischt Europa auf. Dass heute selbst im tiefen Süden der Republik, in Bayern oder Baden-Württemberg, viele Kinder in BVB-Trikots herumlaufen, liegt auch an jener Zeit. Klopp hat den Grundstein für Dortmunds nachhaltige Popularität gelegt.
Der 51-Jährige ist als Trainer ein Star, als Angestellter ein Teamplayer, der Vertraute um sich schart, ein Wohlfühlklima schafft. „Ohne all die anderen wäre ich allein, und das hier in Liverpool nicht möglich“, sagt Klopp jüngst dem Fußball-Magazin Kicker. Einer dieser anderen ist der langjährige Assistent Peter Krawietz. Ein ausgewiesener Fachmann, der Klopp bei der Spielanalyse unterstützt.
In Interviews kann ihm kaum einer das Wasser reichen. Klopp, der ewige Fünf-Tage-Bart-Träger und Brillenträger des Jahres 2008, der fachkundige TV-Experte bei der WM 2006, spielt mit Kamera und Medien, ist cool, frech, eloquent, kann allerdings nach Niederlagen auch sonderbar dünnhäutig reagieren. Wer da unangenehme Fragen stellt, muss sich auf was gefasst machen.

Rückschläge stacheln ihn an

Rückschläge treffen den ehrgeizigen Trainer ins Mark und stacheln ihn gleichzeitig an. Nach zwei vergeblichen Anläufen hat Klopp mit Mainz schließlich den Aufstieg in die Bundesliga gefeiert. Auch in der Champions League soll es nach zwei misslungenen Versuchen nun endlich klappen. 2013 ist Jürgen Klopp mit Borussia Dortmund das erste Mal nah dran am Gewinn des großen Henkelpotts. Er verliert mit dem BVB im Finale der Königsklasse knapp gegen Bayern München. 2018 bremst Real Madrid seinen FC Liverpool im Endspiel aus. Da muss man durch, sagt Klopp: „Wenn man ein Finale verliert, dann ist das wie eine Medizin, die beschissen schmeckt“, findet der 51-Jährige. Er fügt hinzu: „Gute Medizin, habe ich so gelernt in meiner Kindheit, soll richtig schlecht schmecken, aber es hilft.“ Keine Frage: Jürgen Klopp ist gewillt, sich nach dreieinhalb Jahren als Liverpool-Coach am Samstag in Madrid die Krone aufzusetzen. Endspiel-Gegner Tottenham sollte sich warm anziehen.