Ob gespielt oder nicht, Thomas Tuchel gab offenbar erst mal den Ahnungslosen, als Hasan Salihamidzic ihn anrief. „Was willst Du?“, fragte er den Sportvorstand des FC Bayern bei der ersten Kontaktaufnahme. „Wenn Du keinen Bock hast, leg‘ auf“, antwortete Salihamidzic. Tuchel blieb dran, und nach einem schnell vereinbarten Treffen für den Abend wurde er in die Nacht entlassen – mit dem Angebot, Nachfolger des ahnungslosen Julian Nagelsmann zu werden.
Sechs Tage nach der ersten kleinen Frotzelei am Telefon leitet Tuchel an diesem Montag sein erstes Training an der Säbener Straße, allerdings nur mit einem Rumpfkader. Bis zum Klassiker am kommenden Samstag (18.30 Uhr/Sky), dem Bundesliga-Topspiel gegen Tabellenführer Borussia Dortmund, muss er den einen Punkt zurückliegenden Münchnern ihre „unverständlichen Leistungsschwankungen“ austreiben, die Vorstandschef Oliver Kahn und Salihamidzic bei Tuchels Einführung penetrant beklagten.
Im Gegensatz zu Kahn und Salihamidzic, die Nagelsmann mit Leichenbittermienen einen „exzellenten Trainer“ nannten und ihm trotzdem noch ein paar Watsch‘n verpassten, verbreitete Tuchel bei seiner Präsentation am Samstag gute Laune. Es sei für ihn eine „Ehre und Auszeichnung, von Bayern München angefragt zu werden“. Und er vergaß nicht, dafür seinen Dank „an Olli, Brazzo, Herrn Hainer und“ – ja, in der Tat – „Uli Hoeneß“ zu richten.
Tuchel machte sofort klar, dass er weiß, worauf er sich eingelassen hat. Mit seiner Unterschrift bei einem der „größten Klubs Europas“, ja „in der Welt“, sei „klar definiert: Es geht ums Gewinnen“. Und zwar schon am Samstag. „Die Herausforderung kann nicht höher sein“, sagte er zum Duell mit seinem Ex-Klub, und nein, ergänzte er mit einem Lächeln, es habe ihn „nicht davon abgehalten, weiter zu verhandeln und die Aufgabe mit Freude anzugehen“.
Tuchel, der einen Vertrag bis 2025 unterschrieben hat, präsentierte sich selbstbewusst, aber keineswegs überheblich. „Wir“, sagte er über sich und seine am Ende wohl drei Assistenten, „werden mit allem, was wir haben, versuchen, diese drei Titel zu holen. Dafür sind wir hier, für nichts anderes.“

Trainerwechsel bei Bayern: Keine Panikreaktion

Ihrem bisherigen Trainer, das gaben Kahn und Salihamidzic zu verstehen, haben sie es nicht mehr zugetraut, die Zukunft erfolgreich zu gestalten. Kahn, dem Nagelsmanns Rauswurf angeblich „die ein oder andere schlaflose Nacht“ bereitet hatte, betonte: „Wir haben jetzt einen der besten Kader in Europa und trotzdem ist die Leistungskontinuität der Mannschaft nicht besser geworden.“ Die Trennung sei keine „Panikreaktion“, sondern „wohlüberlegt“ gewesen.
Kahn und Salihamidzic bemühten die Leistungsschwankungen „seit dem vergangenen März“ fortwährend als Rechtfertigung für ihre Entscheidung, Nagelsmann vor den entscheidenden Begegnungen in die Saison vor die Tür zu setzen. Salihamidzic erwähnte darüber hinaus mehrfach, „dass die Konstellation zwischen Trainer und Mannschaft nicht mehr gestimmt hat“. Eine Behauptung, der Nationalspieler Joshua Kimmich rund eindeutig widersprach: „Ich kann sagen, dass der Trainer nicht die Kabine verloren hat.“
Von ihrem neuen Trainer mit seinen „überragenden Qualitäten“ (Kahn) erwarten sie bei den Bayern, dass er möglichst schnell alles in den Griff bekommt. Tuchel, 2021 Champions-League-Sieger mit dem FC Chelsea, kündigte an, er werde das erforderliche Vertrauen zu den Spielern auf dem Platz aufbauen, „es hilft allen, rauszugehen, den Ball zu sehen, das Gras zu riechen und Vorfreude zu schaffen“.
Dank der „Ausgangslage, die Julian mit der Mannschaft geschaffen hat, sind wir Ende März noch in der Lage, alle Titel zu gewinnen“, stellte er fest.

Joshua Kimmich: „Wenig Liebe, wenig Herz“

Kritisch haben Nationalmannschaftskapitän Joshua Kimmich und Leon Goretzka den Trainer-Wirbel bei ihrem FC Bayern kommentiert. „Klar ist das kurios“, sagte der 28-jährige Kimmich nach dem 2:0 der DFB-Auswahl am Samstag gegen Peru über die Ablösung Julian Nagelsmanns durch Thomas Tuchel. „Am Ende des Tages ist so das Geschäft, wenig Liebe, wenig Herz. Wir müssen lernen, damit umzugehen und auch mit der Entscheidung zu leben“, sagte der DFB-Kapitän.
Goretzka (28) sagte: „Wir haben eine extrem enge Beziehung zu Julian gepflegt. Wenn so jemand plötzlich nicht mehr da ist, ist es erstmal ein Schock.“  dpa