Sein Rang war schon vor allen Nachrufen erkannt: Man nannte ihn oft den letzten großen alten Mann der Liberalen – nach dem Tod Walter Scheels und Hans-Dietrich Genschers. Dass der 82-Jährige, der in der Stuttgarter Oper stets mit dem größten Applaus bedacht worden war, anders als geplant dieses Jahr beim Dreikönigstreffen fehlte, machte klar, wie schlecht es mittlerweile um ihn stand. Denn auf den zuverlässigen Klaus Kinkel konnte seine FDP immer setzen. „Ich habe meiner Partei viel zu verdanken“, vergaß der Ausnahmepolitiker denn auch nie hinzuzufügen, wenn er über seine ungewöhnliche Karriere sprach, dieses „ungeheuer erlebnisreiche Leben.“
Kritiker der Jamaika-Absage
Dabei war der geradlinige Seiteneinsteiger alles andere als ein Parteipolitiker. Erst 1991, nach seiner Ernennung zum Bundesjustizminister, war der promovierte Jurist in die FDP eingetreten. Als kurzzeitiger Parteichef der Liberalen scheiterte er 1995: „Ich war nicht glücklich und auch nicht sonderlich erfolgreich.“ Als „väterlicher Freund“ schon eher. Aus dem Hintergrund stand der bestens vernetzte Kinkel vor allem in den schwierigen letzten Jahren seiner Partei intensiv mit Rat zur Seite. Demut und Solidität hielt er für angemessen. Mit Lindners Absage an eine Jamaika-Koalition 2017 freilich tat er sich schwer: „Es ist nicht klug, sich die Schelle des Scheiterns umzuhängen.“
Ziehvater, Mentor und bis zuletzt enger Weggefährte („wir waren sehr, sehr eng, wenn auch nie Duzfreunde“) war Hans-Dietrich Genscher für Kinkel. Der damalige Innenminister holte den fleißigen jungen, zum Widerspruch neigenden Beamten aus dem Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz 1969 als persönlichen Referenten und nahm ihn später mit ins Außenministerium, wo Kinkel Leiter des Planungsstabes war. „Das ist mir geschenkt worden, dass ich Innen- wie Außenpolitik intensiv erleben durfte.“
Und dazu noch die Welt der Geheimdienste: Klaus Kinkel war knapp vier Jahre Präsident
des Bundesnachrichtendienstes. Noch als Staatssekretär im Bundesjustizministerium, der Kinkel dann 1982 wurde, begann er Kontakte zu den hungerstreikenden RAF-Gefangenen zu knüpfen. Als Ressortchef machte er sich dafür stark, jenen, die ihre Strafe abgesessen hatten, ein Ende der Haft zu ermöglichen. Sein Wort von der Versöhnung war umstritten, ebnete aber den Weg zu Begnadigungen. Mit Wolfgang Schäuble handelte er den Vertrag zur deutschen Einheit aus.
des Bundesnachrichtendienstes. Noch als Staatssekretär im Bundesjustizministerium, der Kinkel dann 1982 wurde, begann er Kontakte zu den hungerstreikenden RAF-Gefangenen zu knüpfen. Als Ressortchef machte er sich dafür stark, jenen, die ihre Strafe abgesessen hatten, ein Ende der Haft zu ermöglichen. Sein Wort von der Versöhnung war umstritten, ebnete aber den Weg zu Begnadigungen. Mit Wolfgang Schäuble handelte er den Vertrag zur deutschen Einheit aus.
Kinkel als Nachfolger Genschers
Richtig populär wurde Klaus Kinkel von 1992 an als Nachfolger Genschers an der Spitze des Auswärtigen Amtes. Inhaltlich präpariert dafür wie kaum ein anderer, ging es ihm vor allem darum, das wiedervereinigte Deutschland als verlässlichen Partner und berechenbaren Nachbarn zu präsentieren. Mit Kanzler Helmut Kohl verband ihn ein von gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis: „Er hat mich in den langen Jahren nicht ein einziges Mal beschissen.“ Dass beide Dickschädel sein konnten – Kinkel erinnerte sich, wie er einst Türen schlagend Kohls Amtszimmer verließ –, tat dem keinen Abbruch.
Die diplomatische Art war seine nicht. Gerade heraus sein, sagen, was ist, war die Devise des in Metzingen geborenen und in Hechingen aufgewachsenen „preußischen Schwaben“ aus gut bürgerlicher Familie. Er ließ sich nicht verbiegen. „Ich bin kein Weltklugscheißer“, sagte er in der für ihn typisch derb-raubauzigen Sprache. Wobei Kinkel gleichzeitig mit ungemein nuancierten Wendungen seine beamteten Dolmetscher vor ganz neue Herausforderungen stellte: Die mussten jeweils Übersetzungen finden für schwäbische Zuschreibungen wie „Cleverle“, „Käpsele“ oder „Röhrle“. Und wenn der Außenminister befand, ihm gegenüber sitze ein „Entenklemmer“, bedurfte es einer eleganten Umschreibung für den Geizkragen.
Durch Krebsleiden lange Zeit angeschlagen
Der Vater von vier Kindern, eine Tochter verunglückte tödlich, stand zu seinem unüberhörbaren Idiom. Er war, obwohl er bereits seit Jahrzehnten mit seiner Frau Ursula im Rheinland lebte, Schwabe aus Leidenschaft. Über viele Jahre, zuletzt durch sein Krebsleiden schon gesundheitlich angeschlagen, trat er für den Förderverein Schwäbischer Dialekt auf, füllte die Säle mit launigen Bemerkungen über Sprache und Mentalität seiner Landsleute. Natürlich reiste er per Bahn auf eigene Kosten an, nahm kein Honorar („Unabhängigkeit war mir immer das Wichtigste“), aber vom Vesperteller eine Wurst für Jago, den Labrador mit. Memoiren wollte er nie schreiben: „Ich nehme mich nicht so wichtig“, sagte der vielfach ehrenamtlich Tätige und süchtige Leser, der stolz auf seine 255 Regalmeter Literatur war.